Lange Wartezeiten im Notfall - Brandenburger Rettungsdienste klagen über Bagatelleinsätze

Do 17.08.23 | 10:33 Uhr | Von Amelie Ernst
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Rettungssanitaeter des Deutschen Roten Kreuz. (Quelle: dpa/Sorge)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 17.08.2023 | Material: Katrin Neumann | Bild: dpa/Sorge

Spätestens nach 15 Minuten sollen Rettungsdienste in Brandenburg am Einsatzort sein – zumindest in 95 Prozent der Fälle. Doch in kaum einem Landkreis wird diese Zielvorgabe erreicht. Das Problem sind zu viele Bagatelleinsätze. Von Amelie Ernst

Wer im Landkreis Ostprignitz-Ruppin die 112 wählt und von der Leitstelle als Notfall eingestuft wird, den erreicht in den allermeisten Fällen innerhalb einer Viertelstunde ein Rettungswagen. Genaugenommen in 85 Prozent der Fälle.

Doch 95 Prozent sollten es eigentlich sein. Das bleibe auch das Ziel in seinem Landkreis, sagt Mathias Wittmoser. Er ist der Leiter des Amtes für öffentliche Sicherheit und Verkehr in Ostprignitz-Ruppin. "85 Prozent sind nicht das, was eigentlich geschafft werden soll. Aber unser Landkreis nimmt sich da nichts mit anderen Flächen-Landkreisen."

Nur Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) erreichen Vorgabe

Tatsächlich erreichen nach eigenen Angaben nur die Städte Brandenburg/Havel und Frankfurt/Oder die 95 Prozent-Vorgabe (Brandenburg/Havel: 96,84 Prozent; Frankfurt (Oder): 95,22 Prozent). Vor allem, weil die Einsatzwege in Städten in der Regel kürzer sind.

Bei den Landkreisen reicht das Spektrum von 81 Prozent im Landkreis Spree-Neiße bis zu 93 Prozent im Barnim und in der Uckermark. In Potsdam sind die Rettungswagen in knapp 95 Prozent innerhalb einer Viertelstunde vor Ort. Die Landkreise Oder-Spree und Oberspreewald-Lausitz sowie die Stadt Cottbus konnten auf rbb-Anfrage keine konkreten Zahlen für das Jahr 2022 liefern.

Ein weiterer Grund für die mäßigen Quoten sei neben den oft weiteren Wegen auf dem Land das fehlende Personal für die Rettungswagen, meint Amtsleiter Mathias Wittmoser. Es mangele speziell an Rettungs- und Notfallsanitätern. Dabei seien die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen "gar nicht so schlecht", doch natürlich gehe es um Schichtdienste. "Deshalb gibt es mehr und mehr den Trend zu gucken: Kann ich dasselbe Geld nicht auf einfache Art und Weise verdienen."

Längst fühlten sich die Kolleginnen und Kollegen nicht mehr auf ewig an einen Arbeitgeber gebunden, so wie früher oft. Für viele seien die Ausbildung und die Arbeit auf dem Rettungswagen auch nur eine Zwischenstation – beispielsweise vor einem Medizinstudium. Andere entschieden sich irgendwann für den weniger stressigen Innendienst oder die Arbeit in der Notaufnahme.

Nicht nur Notfälle

Sieben neue Rettungssanitäter bilden die Ruppiner Kliniken im Auftrag des Landkreises pro Jahr aus; außerdem ist eine weitere, zehnte Rettungswache in Ostprignitz-Ruppin geplant (in Wildberg/Temnitztal). Doch das Kernproblem sei eigentlich ein anderes, meint Andreas Berger-Winkler, Regionalvorstand der Johanniter in Südbrandenburg. Nachwuchs für den Rettungsdienst finde er noch genug. Doch die gleiche Zahl an Kolleg:innen müsse sich um immer mehr Bagatellanrufe kümmern.

"Es ist schon schade, wenn man irgendwo hinfahren muss und derjenige sagt 'Ich wollte mich heute mal durchchecken lassen, habe das Problem aber schon seit drei Wochen'. Und dann parallel ein zweiter Notruf eingeht und jemand einen Herzinfarkt hat. Das sind die Dinge, die die Probleme verursachen."

"Der Rettungsdienst wird manchmal als Dienstleistung angesehen"

Die Zahl der Bagatelleinsätze nimmt stetig zu, ebenso die Zahl der Einsätze insgesamt. Verschiedene Träger bestätigen diesen Eindruck. Gefühlt seien 40 Prozent der Einsätze keine Notfälle, schätzt Armin Viert, Geschäftsführer Rettungsdienst in Märkisch-Oderland. 30.000 Einsätze sind es in dem Landkreis inzwischen insgesamt pro Jahr; 15.000 im Kreis Ostprignitz-Ruppin.

Überall könnten es ohne die Bagatellanrufe deutlich weniger sein. "Der Rettungsdienst wird manchmal wie eine Art Dienstleistung angesehen. Aber der ist für die Notfälle da", ärgert sich Andreas Berger-Winkler. "Und manchmal gibt es auch so Forderungen: 'Ich möchte das jetzt, und wenn ich jetzt keinen Rettungswagen kriege, dann beschwere ich mich beim Vorgesetzten!'"

Kinder und Jugendliche besser schulen

Dieses Anspruchsdenken habe in den vergangenen Jahren zugenommen, bestätigt Notfallmedizinerin Claudia Scheltz. Sie ist Vorstandsmitglied in der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND e.V.) und hört Ähnliches auch aus anderen Bundesländern. "Der Bürger hat ein Bedürfnis, sich bei jedem bisschen abzusichern. Auch ich habe als Notärztin schon mal einer Mutti erklären müssen, wie man Wadenwickel macht." Die Lösung liegt für Scheltz vor allem in mehr Information – auch über Notfallpraxen und über die Nummer 116 117, die bei nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen weiterhelfen. Außerdem sollte schon Kinder und Jugendlichen gezeigt werden, was bei leichten Verletzungen und Erkrankungen zu tun ist. "Da Aufklärung betreiben, Pflaster kleben, Verband anlegen, etwas schienen." Und erklären, wann man wirklich die 112 ruft und wann nicht.

Armin Viert, Rettungsdienst-Geschäftsführer in Märkisch-Oderland, schlägt zudem vor, spezielle Krankenwagen für Einsätze vorzuhalten, die offensichtlich keine Notfälle sind. Auch Gemeindenotfallsanitäter und Tele-Medizin könnten als Alternative zu teils weit entfernten Notfallpraxen in Frage kommen. Denn wenn die Bagatellfälle für Rettungsdienste künftig öfter wegfallen würden, dann wäre auch die 15 Minuten-Hilfsfrist in Brandenburg öfter zu erreichen.

Sendung: radioens, 16.08.2023, 16:10 Uhr

Beitrag von Amelie Ernst

41 Kommentare

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  1. 41.

    Echt jetzt?? Oma wird ja wohl nur die Betreuung übernehmen, wenn sie dafür körperlich und geistig fit genug ist und hat ja selbst wohl auch schon mindestens ein Kind groß gezogen und weiß das man von Fieber und Erbrechen nicht stirbt. Und bevor sie deshalb den NOTARZT ruft wird sie ja wohl lieber die Eltern anrufen. Bitte sagen Sie mir dass es nur ein unglückliches Beispiel war.

  2. 40.

    Und ich werde mir Ihre Worte merken, dass, wenn jmd Hilfe braucht, demjenigen keinen Krankenwagen zu rufen, weil ich den ja unter Kontrolle habe...? Sehr schräger Kommentar von Ihnen!

  3. 39.

    Wieso? Ein Rettungswagen mit Blaulicht fällt halt auf. Und wenn die Familie uns erzählt, was vorgefallen ist, ohne uns zu fragen..... also nix Kontrolle!

  4. 37.

    Grundsätzlich gehe ich da voll mit, die Eltern stehen in der Verpflichtung. Aber was geschieht wenn die Eltern dem nicht nachkommen? Vielleicht weil sie es nicht besser wissen oder uneinsichtig sind?
    Also ist es auch verständlich das ggf. auf de Schule abzuschieben. Da ist es dann eine Vorgabe und wird in den Lehrplan mit eingebaut. Ob die Kinder es am Ende vom Tag umsetzen steht dann aber auch nochmal auf nem ganz anderen Blatt...

  5. 36.

    Richtig, es müsste gestreikt werden. Keiner dieser Gesetzgeber würde so bei diesem Lohn arbeiten. Sie appellieren an das Gewissen der Mitarbeiter haben aber selbst keins. Da hilft nur eins Streiken ohne schlechtes Gewissen oder Klageflut.
    Meines Wissens nach ist diese Art von songenannten Bereitschaftsdiensten, die nixht Bezahlt werden, verboten.
    : Zeitachridt RETTUNGSDIENST von August? 2021. Dort war wohl ein Urteil drin
    Haltet durch

  6. 35.

    Na, Sie scheinen ja Ihre Nachbarn gut unter Kontrolle zu haben.

  7. 34.

    Aktuell wird über Schließungen von Kliniken diskutiert.-- Und dass Kliniken Schwerpunktkliniken werden sollen.

    Gerade in Zeiten einer alternden Gesellschaft sollte man auch Kliniken --samt ausreichend Krankentransportwagen--vorhalten, die schnell Hilfe bei Pflegeproblemen anbieten.
    Z.B. Abklärung eines Sturzes ( Hausärzte dürfen seit Jahren keine Röntgenaufnahmen mehr machen)--oder Hilfe, wenn der Katheter verstopft ist.....

    Ich habe in BW jahrelang für einen besseren Rettungsdienst gekämpft.
    Wartezeiten auf einen Krankentransport betrugen beinahe täglich bis zu 8 Stunden.
    Es wurden Rettungswachen verlegt und zusätzliche Wagen in Betrieb genommen. Wenn schon die Anfahrt in ländlichen Bereichen mehr als 15 Minuten dauert-dann müssen Rettungswachen eventuell verlegt werden, auch um eine Duplizität besser ausgleichen zu können.

    Mannheim hat eine eigene Rettungsleitstelle erkämpft, weil die Stadt von der DRK- Leitstelle bei Missständen kaum Infos erhalten durfte-

  8. 33.

    Ne, die Leute sind faul und bequem. Und es ist halt einfacher, dass die Rettung vorbeikommt, statt sich selber zu bewegen. Nachbarn von uns schreien auch gleich nach dem Rettungsdienst, nur weil das Töchterchen hüstelt. Und das tagsüber in der Woche, wohlgemerkt!

  9. 32.

    @Kommun: Mit Verlaub, wir sprechen nicht über jeden einzelnen und seltenen(!) Fall, der wg eines nicht erfolgten Notarzteinsatzes zum Tode führt. Und was bitte ist "dieses aktuelle System"? Wir haben es mit einem gesellschaftlichen Phänomen zu tun, in der viele denken, ihnen stünde jederzeit alles und jetzt zu. Das spiegelt sich auch im Rettungswesen wider. Dem ist nicht durch Pauschalregelungen beizukommen sondern durch Bildung und Aufklärung.

  10. 31.

    Von den Jahren 2017-2020 existiert eine Studie ." Notfallversorgung in Brandenburg: Rettungswagen kommen überdurchschnittlich oft zum Einsatz" (IGES-8.9.2021)

    Auswahl Zitate : Nur jeder Dritte kennt den ärztlichen Bereitschaftsdienst----...Bundesland mit dem viertgrößten Anteil an über 65-jährigen. So sind auch mehr als die Hälfte der stationär aufgenommenen Notfallpatienten Pflegebedürftige, häufig aus Pflegeheimen...Eine weitere Verbesserung der vertragsärztlichen Versorgung könnte aber dazu beitragen, Notfalleinweisungen aus Pflegeheimen zu verhindern....

    Wenn kein Arzt ins Pflegeheim kommen kann--muss eine Klinik angefahren werden. Niemand in einem Pflegeheim--auch keine Angehörigen..würde die Verantwortung übernehmen, stundenlang auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu warten. Und wer privat Angehörige pflegt-.wird bei Problemen evtl. einen Rettungswagen rufen, weil die Beschaffung eines Beförderungsscheins für einen Krankentransport zu viel Zeit beanspruchen würde...

  11. 30.

    Ich hoffe, dass Sie gewerkschaftlich eingebunden sind und streiken! "48 Stundenwoche, wovon ich 7 bis 12 Stunden NICHT bezahlt bekomme. In Urlaubszeiten und Grippewellen auch mal 84 h pro Woche" – wenn selbst die Berufshelfer das so mitmachen, wie soll sich da etwas zum Positiven verändern? Bringen Sie die Gesetzerlasser bitte dazu, dass Menschen wie Sie in den Gesetzgebungsprozess eingebunden werden und nicht lediglich Lobbyisten und fragwürdige "Experten" angehört werden. Danke für Ihre Arbeit. Die anderes verdient als Balkonklatscher.

  12. 29.

    Zur "Meinung, dass man zunächst jeden medizinischen Einsatz auslegen müsste": Beispiel Übelkeit – reicht von Stesssymptom bis zum Herzinfarkt. Med. Versorgung sollte stets angstfrei erfolgen. Arme Menschen (das ist in D. jeder 5.) würden aus Furcht ggf. nicht anrufen und ggf. sterben oder zum teuren Pflegefall werden.

    Dieses aktuelle System funktioniert hinten und vorn nicht, eine ordentliche grundlegende Reform täte gut. Druck und Stress führen nicht zum gesellschaftlichen Frieden.

  13. 28.

    Blöder Datenschutz auch, verhindert, dass ich Idi mit teurer Krankheit mehr Beitrag zahlen muss als der Noch-Gesunde. Ich will's haben wie drüben überm Teich!

  14. 27.

    Datenschutz abschaffen, alle med. und privaten Daten bei FB/X/etc. posten! Aber Achtung, könnte gecancelt werden, wenn's das unpassende Körperteil betrifft.

  15. 26.

    Ja, die Rettung wird zu immer mehr Bagatellen gerufen. Der Bürger/die Bürgerin sind verunsichert. Der Hausarzt schafft es nicht mehr, da er mehr verwaltet als heilt. Hilfskräfte kann er nicht bezahlen, die Krankenkassen deckeln sein Einkommen auf Anraten der Politik. Notaufnahme und Rettungsstellen gelten als "nicht patientennahe" Bereiche im Krankenhaus und sind ein Zuschussgeschäft. Warum soll die Krankenhausleitung dort mehr Personal einsetzen als nötig, es bringt kein Geld (dank der oben erwähnten Deckelung durch KKen und Politik). Die Kolleginnen und Kollegen bei 112 müssen mit den Schilderungen der Bürgerinnen und Bürger klarkommen und Entscheidungen treffen, die weitreichend sein können. Wir, als Retter (ups, Beruf verraten) stehen dann vor dem Bürger oder der Bürgerin und versuchen das Beste daraus zu machen. Für alle. Übrigens in einer 48 Stundenwoche, wovon ich 7 bis 12 Stunden NICHT bezahlt bekomme. In Urlaubszeiten und Grippewellen auch mal 84 h pro Woche.

  16. 25.

    Notrufeinsätze , die sich als Bagatelle raustellen, gnadenlos in Rechnung stellen ! Und bei nicht zahlen, gleich den Schmuck und die Lamborghini der gesamten 15 köpfigen Bagage einkassieren.

  17. 24.

    „ die Öffnungszeiten wie MoMiFr von 10-11:30 und DiDo von 14-16:00 haben“ und „ es keine Vorschrift gibt zu Öffnungszeiten“

    Die Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) und der Bundesmantelvertrag (BMV-Ä) geben ganz klare Richtlinien betreffend des Sprechstundenumfangs vor. Also nix da mit, es gibt keine Vorschrift.

    Hausbesuche, Fortbildungen und Verwaltungsarbeiten sind ebenfalls verpflichtend zu erledigen. Was, wie auch aufwendigere intensive Untersuchungen/Behandlungen, sicherlich außerhalb der Sprechstunden für akut Erkrankte geschieht.

    Ja. Für alle ist es ärgerlich Monate auf einen Termin beim Facharzt warten zu müssen. Deshalb ohne Not den Rettungsdienst zu verständigen, stellt für die zeitgleich darauf angewiesenen Notfälle absolut keine Bagatelle dar.









  18. 23.

    „Warum gibt es heutzutage immer mehr den Drang, irgendwelche Verpflichtungen weg vom Elternhaus auf andere Institutionen abzuschieben?“
    Vielleicht weil es jede/r andere besser kann und macht als die Eltern? Ansonsten ganz Ihrer Meinung.
    Im kalten Krieg - grins - muss im 8. oder 9. Schuljahr gewesen sein, Jungs GST-Grundwehrausbildung und Mädchen 1.-Hilfe-Lehrgang.

  19. 22.

    „Warum gibt es heutzutage immer mehr den Drang, irgendwelche Verpflichtungen weg vom Elternhaus auf andere Institutionen abzuschieben?“
    Vielleicht weil es jede/r andere besser kann und macht als die Eltern? Ansonsten ganz Ihrer Meinung.
    Im kalten Krieg - grins - muss im 8. oder 9. Schuljahr gewesen sein, Jungs GST-Grundwehrausbildung und Mädchen 1.-Hilfe-Lehrgang.

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