Geschichte der Ostermärsche - Streitbare Pazifisten
Seit mehr als 60 Jahren wird zu Ostern gegen Atomwaffen und für Abrüstung demonstriert. Ob die Forderungen der Friedensbewegung realistisch sind oder pazifistische Utopien darstellen, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Von Oliver Noffke
Wer organisiert die Ostermärsche?
Die Ostermärsche, Fahrradtouren oder Kundgebungen werden von lokalen Friedensaktivist:innen oder -gruppen organisiert. Das Netzwerk Friedenskooperative bündelt die Informationen.
Das Netzwerk spricht sich für ein atomwaffenfreies Europa aus. Unter anderem wird der Abzug der Atomwaffen vom Fliegerhorst Büchel gefordert. Die Anlage in Rheinland-Pfalz gilt als letzter Bundeswehrstandort an dem die USA Nuklearsprengköpfe lagern. Offizielle Angaben dazu gibt es allerdings nicht.
Laut der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen (ICAN), das für seine Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, sollen 2017 noch 20 Bomben vom Typ B61 in Büchel gelagert worden seien. "Jede dieser Bomben hat eine maximale Sprengkraft, die mit der von 13 Hiroshima-Bomben vergleichbar ist", schreibt ICAN [icanw.de].
In diesem Jahr steht erneut Russlands Krieg in der Ukraine im Fokus sowie die Situation im Nahen Osten. "Ein Waffenstillstand und Frieden für die Menschen in Israel und Palästina müssen endlich her", heißt es auf der Webseite des Netzwerks Friedenskooperative. Das Bündnis sammelt die Termine der einzelnen Aktionen sowie Ideen für mögliche Aktionen und Themen. Verantwortlich für die Durchführung sind allerdings die lokalen Akteure [friedenskooperative.de].
Wie sind die Ostermärsche entstanden?
Die Ostermärsche gehen auf die Anti-Atom-Bewegung der späten 1950er und frühen 60er Jahre zurück. 1958 haben britische Friedensaktivisten erstmals das Osterfest genutzt, um gegen die Pläne ihrer Regierung zur atomaren Aufrüstung zu demonstrieren. Rund 10.000 Menschen beteiligen sich daraufhin an einem Marsch von London zu einem Kernforschungszentrum im rund 80 Kilometer entfernten Aldermaston.
Parallel dazu streitet in Bonn der Bundestag darüber, ob die Bundeswehr im Rahmen der Nato atomar ausgerüstet werden soll. Dass andere Bündnispartner also ihre Atomsprengköpfe in deutschen Militäranlagen lagern dürfen. Die Bevölkerung ist mehrheitlich dagegen. Doch nach einer emotionalen Debatte setzen CDU und CSU das Vorhaben mit ihrer Parlamentsmehrheit durch [bundestag.de]. Insbesondere in der SPD ist der Ärger anschließend groß. Die Partei initiiert deshalb die Kampagne "Kampf dem Atomtod", die von Gewerkschaften, Kirchen und einigen bekannten Persönlichkeiten unterstützt wird.
Vier Wochen nach der Abstimmung im Bundestag gehen in einigen Großstädten insgesamt rund 120.000 Menschen auf die Straße. In der gesamten Nachkriegszeit gab es bis dahin keine größere politische Demonstration im Land. Vor dem Hamburger Rathaus geht eine pazifistische Gruppe für 14 Tage rund um die Uhr in einen Dauerprotest. Auf die Aktion geht der Begriff "Mahnwache" zurück. Wie in Großbritannien ist auch in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern das oberste Gebot der Bewegung, gewaltlos Widerstand zu leisten.
Der Beschluss des Bundestags wird unterdessen umgehend genutzt. Schon 1960, also zwei Jahre nach der Abstimmung, sollen 1.500 Atomsprengköpfe aus den USA in der Bundesrepublik lagern.
Politische Vereinnahmung in der DDR, Niedergang im Westen
Mitte der 1960er verbreiten Singegruppen Lieder der westdeutschen Friedensbewegung in der DDR. Teilweise werden die Texte auf die Staaten des Warschauer Pakts umgedichtet. Der Regimeführung gelingt es jedoch die Situation zu nutzen und verstärkt ihre Kritik an der Bonner Atompolitik. Einige der Protestlieder werden später bei den staatlichen Mai-Demonstrationen in Ost-Berlin gesungen.
Die Kubakrise und der Ost-West-Konflikt zwischen den Weltmächten verstärkt in den folgenden Jahren die Angst vor einem nuklearen Krieg. In der Bundesrepublik gewinnt die Friedensbewegung stark an Zulauf. 1968 beteiligen sich im gesamten Bundesgebiet 300.000 Menschen an Ostermärschen. Doch im gleichen Jahr beginnt das vorläufige Ende der Bewegung.
Das blutige Ende des Prager Frühlings desillusioniert viele, die gerade noch forderten, westliche Regierungen sollten abrüsten. Truppen aus der Sowjetunion, Bulgarien, Polen und Ungarn besetzten im August die Tschechoslowakei, um die anhaltenden Proteste gegen die kommunistische Führung dort zu ersticken. 98 Zivilisten starben. Dass der Osten nachzieht, wenn der Westen abrüstet, erschien jetzt wie Fantasie.
Gleichzeitig rissen innerhalb der bundesdeutschen Friedensbewegung die Bruchlinien auf. Viele studentische Gruppen erweitern ihre Forderungen: Insbesondere eine konsequente Aufarbeitung der NS-Zeit und Entnazifizierung der Verwaltungen steht bei der 68er-Bewegung im Mittelpunkt. Die Friedensbewegung zersplittert. 1970 werden die Aktionen zu Ostern vorerst eingestellt.
Zweiter Frühling
Ab Ende der 1970er Jahre erlebte die Friedensbewegung ein Comeback. Der Nato-Doppelbeschluss provozierte in vielen westlichen Staaten Massenproteste. Darin war zwar die Forderung festgehalten, USA und Sowjetunion sollten Verhandlungen zu Abrüstungen aufnehmen; vorher wollte die Nato Westeuropa mit knapp 700 neuen nuklearen Sprengköpfen absichern - erst Abschreckung, dann Gespräche. Die Angst vor den folgen eines Atomkriegs erfasste erneut viele Menschen.
Neben Großdemos, die zwischen 1979 und 1983 quasi ganzjährig abgehalten wurden, fanden auch die Ostermärsche wieder mehr Zulauf. Bis zu 700.000 Menschen beteiligten sich während der 1980er Jahre an den westdeutschen Ostermärschen. Nach dem Fall der Mauer nahm das Interesse wieder ab.
Kritik von außen und innen
Der Überfall Russlands auf die Ukraine wurde zu einem weiteren Stresstest für die Friedensbewegung. Einige Forderungen wurden von breiter Seite als völlig unrealistische Fantasien kritisiert. Slogans wie "Frieden schaffen ohne Waffen" seien eine "Arroganz unerträglicher Art" gegenüber den Menschen in der Ukraine, sagte etwa der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD).
Die Bewegung wurde erneut zerrissen. Auf der einen Seite standen diejenigen, die an den radikal-pazifistischen Maximalforderungen der Bewegung festhalten wollten – und damit auch Waffenlieferungen an die angegriffene Ukraine ablehnten. Dem standen andere entgegen, die dies als indirekte Unterstützung Russlands bezeichneten und kritisierten, dass auf diese Weise Putin nicht aufgehalten werden könne. Bei den Berliner Organisator:innen wurden die unterschiedlichen Ansichten schließlich derart unvereinbar, dass es neben dem offiziellen noch einen alternativen Ostermarsch gab.
In diesem Jahr wird es in der Hauptstadt eine gemeinsame Kundgebung geben. Angesichts der steigenden Zahl an Kriegen und bewaffneten Konflikten in der Welt ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass der Richtungsstreit dauerhaft unterdrückt werden kann. Auch in Zukunft wird innerhalb der Friedensbewegung um den Weg zu einer Welt ohne Kriege und Atomwaffen gerungen werden.
Wo finden in der Region welche statt?
- Königs Wusterhausen, Donnerstag, 28. März, 17 Uhr
- Cottbus, Samstag, 30. März, 11.15 Uhr
- Berlin, Samstag, 30. März, 13 Uhr
- Brandenburg (Havel), Samstag, 30. März, 14 Uhr
- Frankfurt (Oder), Sonntag, 31. März, 14 Uhr
- Schwarzheide, Montag, 1. April, 11 Uhr
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 30.03.2024, 19.30 Uhr