Berliner SPD wählt neue Spitze - Dreikampf auf den letzten Metern

Di 16.04.24 | 06:04 Uhr | Von Jan Menzel
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Drei Bewerberduos für den Landesvorsitz der Berliner SPD stellen sich am 12.03.2024 den Mitgliedern vor. (Quelle: dpa/Hannes P Albert)
Audio: rbb24 Inforadio | 06.04.2024 | Jan Menzel | Bild: dpa/Hannes P Albert

Die Mitglieder der Berliner SPD haben die Wahl zwischen einem eher pragmatisch-konservativen oder linken Kurs, zwischen bekannten oder neuen Köpfen. Und sie entscheiden, wie es für die SPD wieder aufwärts gehen kann. Von Jan Menzel

  • drei Duos treten zur Wahl des neuen Landesvorsitzes der Berliner SPD an
  • Basisvotum der Mitglieder bis Freitagabend möglich
  • absolute Mehrheit ist für Wahlsieg notwendig, es kann zu einer Stichwahl kommen

Über mangelnde Auswahl können sich die 18.042 stimmberechtigten Mitglieder der Berliner SPD nicht beklagen. Gleich drei Kandidierenden-Paare wollen den Vorsitz des Landesverbands übernehmen.

Amtsinhaber Raed Saleh hat sich die 27 Jahre alte Marzahner Bezirkspolitikerin Luise Lehmann als Partnerin an seine Seite geholt. Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel will es zusammen mit der ehemaligen Sport-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini wissen. Und der stellvertretende Landesvorsitzende Kian Niroomand kandidiert gemeinsam mit der ehemaligen Vorsitzenden der SPD-Frauen Jana Bertels.

Bisher kein klares Favoriten-Team

Auf mehreren Foren sind die Teams in den vergangenen Wochen aufeinandergetroffen. Zwei Mal wurde vor vollen Reihen im Angesicht des großen Vorsitzenden Willy Brandt, der als Statue im Atrium der Parteizentrale steht, diskutiert. Am Dienstag können in einem Online-Forum ein letztes Mal Unentschlossene überzeugt werden. Wer auf den letzten Drücker abstimmen will, kann das noch bis Freitag, 22 Uhr, tun.

Wobei sich auch jetzt auf den letzten Metern noch kein klares Favoriten-Team herauskristallisiert hat. Auch der Applaus auf den Foren war in dieser Hinsicht kein verlässlicher Gradmesser. Dafür gab es eine große Frage, die über allen Diskussionen schwebte und von den beiden Herausforderer-Teams offensiv behandelt wurde: Braucht es einen personellen Neustart für die Berliner SPD?

Kritik an Raed Saleh

Diese Frage beziehungsweise Kritik zielt auf Raed Saleh. Seit dreieinhalb Jahren ist er Landesvorsitzender der Berliner SPD. Noch länger, seit 2011, steht er an der Spitze der Abgeordnetenhausfraktion. In diese Zeit fällt eine ganze Reihe historisch schlechter Wahlergebnisse. "Was ich wirklich faszinierend finde: Raed, jedes Mal tust du so, als hättest du mit alldem gar nichts zu tun", merkt Jana Bertels süffisant an und bringt damit zur Sprache, was viele Jusos und parteiinterne Skeptiker der Koalition mit der CDU denken. Saleh hat nicht nur die Politik der SPD in den letzten Jahren maßgeblich gestaltet. Er hat die Partei auch in das schwarz-rote Bündnis geführt.

Der Amtsinhaber wiederum weiß, dass hier sowohl sein Schwachpunkt als auch seine Stärke liegen. Keiner der Mitbewerber verfügt über ein solches Netzwerk in der Berliner SPD und so langjährige Regierungserfahrung wie er. Die Frage nach der Verantwortung sei "berechtigt", wenn man so lange dabei sei, räumt er ein. Am Ende gehe es aber um beides: "Erfahrung" und einen "neuen Blick". Für letzteren hat sich Saleh Luise Lehmann als Partnerin an seine Seite geholt. Die junge Ärztin und Parteilinke war bis zu ihrer Kandidatur kaum über die Grenzen ihres Heimatbezirks Marzahn-Hellersdorf hinaus bekannt.

Ob das als neuer Impuls reicht, ziehen auch Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini in Zweifel. Wenn Saleh weiter an der Parteispitze bleibe, mache das einen echten Neuanfang und einen anderen Umgang in der Partei, in der regelmäßig erbitterte Grabenkämpfe toben, unmöglich, lassen beide mal mehr mal weniger deutlich durchblicken. Hikel und Böcker-Giannini haben sich auch inhaltlich am stärksten von der Politik der SPD in den letzten Jahren abgesetzt.

"Umsonst-Stadt" spalte die Gesellschaft

Die Kritik der beiden Parteirechten zielt auf das ab, was sie als "Umsonst-Stadt" bezeichnen. Gemeint sind die beitragsfreie Kita, kostenfreie Hortbetreuung, das Gratis-Schul-Mittagessen aber auch das von der SPD im letzten Wahlkampf versprochene 29-Euro-Ticket. "Wir haben einen Nerv getroffen", ist Nicola Böcker-Giannini überzeugt. "Mit der Kostenfreiheit für alle verstärken wir die Spaltung der Gesellschaft, weil Qualität und Ergebnisse der Angebote nicht stimmen", ergänzt Martin Hikel und spielt darauf an, dass auch Spitzenverdiener von den kostenlosen Angeboten profitieren.

Wo aber genau sie die Gebührenfreiheit ganz oder teilweise abschaffen möchten, lassen beide im Ungefähren. Das müsse in der Partei weiter diskutiert werden. "Starke Schultern müssen in Zukunft wieder mehr tragen als schwache, damit unsere Gesellschaft zusammenhält", umschreibt Martin Hikel die Idee.

Die beiden Parteilinken Jana Bertels und Kian Niroomand halten dagegen schon den Begriff der "Umsonst-Stadt" für einen Fehlgriff. Was das eigentlich sein solle, fragt Niroomand. "In Zeiten steigender Lebenshaltungskosten und explodierender Mieten können wir als SPD doch nicht suggerieren, dass dieses Leben umsonst ist. Wer das tut, hat diese Stadt nicht verstanden und diskutiert an der Lebenswirklichkeit hunderttausender Menschen vorbei." Sie beide stünden daher klar zu den kostenfreien Bildungsangeboten, ergänzt Bertels.

Auch Raed Saleh und Luise Lehmann wirken nicht so, als seien sie unglücklich darüber, mit diesem Thema konfrontiert zu werden. "Raed und ich stehen klar dafür auf, dass wir als Sozialdemokratie Armut ganz konsequent bekämpfen", sagt Lehmann. Und Saleh kommt regelrecht in Rage, als er von der hart arbeitenden Bevölkerung und Menschen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssten, spricht. "Deswegen ist es richtig, die gebührenfreie Bildung zu haben von der Kita bis zur Uni. Deswegen ist es richtig, das 29-Euro- und das Sozialticket zu haben, um die Menschen zu entlasten."

Unklar, wie viele Mitglieder abstimmen werden

Was aber bei den Mitgliedern argumentativ verfangen könnte, ob möglicherweise auch ganz andere Punkte die Wahl entscheiden, fällt selbst langjährigen Genossen und Parteistrategen schwer vorherzusagen. Eine weitere große Unbekannte ist, wie viele Genossinnen und Genossen beim Basisvotum überhaupt mitmachen. Bis Ende vergangener Woche hatten rund 30 Prozent ihre Stimme abgegeben.

Viele Funktionäre rechnen damit, dass die drei Duos am Ende mehr oder minder gleichauf liegen könnten und somit keiner im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit erreicht. Sollte es so kommen, fällt die Entscheidung über den SPD-Landesvorsitz in einer Stichwahl der beiden Bestplatzierten. Das Sieger-Duo wird dann Ende Mai auf einem Landesparteitag ganz offiziell gewählt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.04.2024, 23:00 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

23 Kommentare

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  1. 23.

    Den langen find ick jut, der aus Neukölln, der OB. Ehrlicher und kluger Typ!

  2. 22.

    "97% für die SpD?"
    Wovon träumen sie denn? Die SPD verliert weiter an Stimmen, zZt. liegt sie lt. Umfragen bei rund 21%

    "Ein Grund, um ins Berliner Umland zu ziehen."
    Na da würde ich mich an ihrer Stelle aber vorher mal erkundigen!

    "Denn da wird sich ein Politikwechsel vollziehen."
    Damit könnten sie vielleicht sogar recht mit haben!

  3. 20.

    97% für die SpD?
    Ein Grund, um ins Berliner Umland zu ziehen.
    Denn da wird sich ein Politikwechsel vollziehen.
    Kein rot-grünes Komplomarat mit Duldung der CdU, deren Profillosigkeit nicht nur in Berlin langsam lächerlich wird.
    Ich hatte große Hoffnungen bei der Wahl der CdU gelegt und was bekommt man?
    Rückgradlose Grünenpolitik mit "christlichen" Anstrich mit blassen Rot.

  4. 19.

    Na dann mal los, liebe Berliner. 97% sind zu schlagen.

  5. 18.

    Die Berliner SPD hat nur dann eine Chance, wenn ihr ein echter Neustart ohne Saleh gelingt. Er ist maßgeblich verantwortlich für eine inhaltlich und personell ausgebrannte Partei. Es war nicht die Qualität, die Personen in Verantwortung brachte, sondern die bedingungslose Loyalität. Die Mitglieder können dem nun endlich ein Ende setzen.

  6. 17.

    Hui....hui....hui...., einer der wenigen SpD-Wähler, die noch an der Stange der langsam untergehenden SpD klammern.

  7. 16.

    Nö, von alleine passiert hier nischt. Der ist noch irgendwo versteckt und zeigt sich nicht, weil er noch nicht entdeckt wurde...

  8. 15.

    Nah. Ein potentieller Vorsitzender dürfte nicht erst gesucht werden, sondern müsste sich ganz selbstverständlich von alleine ergeben. Alles andere ist im Ergebnis halbgar. Und so ist es hier.

  9. 14.

    Nichts gegen die Anzahl, die Vielfalt der Ideen und Prioritäten der einzelnen Bewerber...
    Wenn jetzt noch DIE Persönlichkeit dazukäme, die dies in einer Person verkörpert, ebenso redegewandt ist, praxis- und realitätsnahe Ideen einbringen kann und dem Ideal der "alten SPD" entspricht, ohne sich nach allen Seiten zu verbeugen und zu verbiegen - dann wäre alles gut!
    Wo bist du! Erscheine!

    Kan man nicht einen Wettbeerb "BSDNSPDV" ins Leben rufen - "Berlin sucht den neuen SPD-Vorsitzenden"?

  10. 13.

    ....Sie haben mit Ihrer Kritik vollkommen recht. Da ich allerdings ein positiv denkender Mensch bin, versuche ich darin auch eine Chance für einen Neustart zu sehen. Es kann allerdings auch genau das passieren, was Sie beschreiben. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Ich bin kein SPD-Wähler, fände es aber trotzdem schade, wenn solch eine Partei in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Ich denke, die SPD ist nach wie vor im Parteienspektrum wichtig und ich fände es schade, wenn sie unter die Räder kommt.

  11. 12.

    Die SPD kann bei vielen Wählern nichts mehr reißen.
    Da ändert die Wahl für den Vorstand auch nichts mehr.

  12. 11.

    Mit ihren Thesen zur "Umsonststadt" dürfte sich Hikel & Co ins Abseits der SPD gebracht haben. Die kostenfreie Kita gilt der großen Mehrheit der Genossen als sozial- und bildungspolitischer Meilenstein.

  13. 10.

    Ich halte diese "Variationsbreite" eher als Beleg/Indiz für Schwäche und innere Zerrissenheit, bedeutet das nämlich, dass es niemanden gibt, der eine allgemeingültige Akzeptanz hat. Und man eher am Anfang steht. Freunde der Partei nennen das dann "Aufbruch" und "Erneuerung". Ich bin da eher skeptisch. Gerade in Zeiten von Unsicherheit braucht man ein klares Profil und Gesicht. Ich kann da leider keins erkennen.

  14. 9.

    Hui.... hui.....hui...,
    nun, Realitätsferne scheint in den letzten Jahren nicht nur in der Politik vorzuherrschen, sondern ist schon tief verwurzelt in den Köpfen der Wählerschaft.
    Heutzutage einen Unterschied zwischen CDU, SPD und Grünen zu finden, grenzt schon an Realitätsverweigerung.
    Letztlich sind die letzten Ankündigungen des CDU Oberbürgermeister nur wieder ein Beweis, in wieweit selbst die CDu vom Gedankengut der Grünen korrumpiert wird.
    Es ist also völlig egal, ob man Grün, Schwarz oder Rot wählt, es fehlt an Alternativen.
    Und mit dem Saleh an der Spitze der SPD wird das Profil, dass schon mit diesem Müller verraten wurde, eher noch schwammiger und zur Beute der Grünen.
    Schön aber, dass auch auf dem Artikelbild Saleh als Schattenmann im Hintergrund zu sehen ist.
    Da sollte er aber auch bleiben.

  15. 8.

    "Braucht es einen personellen Neustart für die Berliner SPD?" Nicht nur das - dem vorangestellt, müsste allerdings ein inhaltlicher Neustart stehen. Seit dem 'Magdeburger Modell' im Jahr 1994, hat sich die SPD selbst zum Spielball von Linkspopulisten und GrünenInnen degradiert und im latenten Anbiederungsprozess um Regierungsbeteiligungen ihr eigenes Profil verloren. Die aktuelle Auswahl steht repräsentativ für inhaltliche Desorientierung und personelle Schwäche. Egal, welches Duo am Ende vorne liegt, es wird vom internen Gezänk alsbald zermürbt werden.

  16. 7.

    „….in der Partei, in der regelmäßig erbitterte Grabenkämpfe toben,…“

    Das ist ein großes Problem welches die Wähler uA auch quittieren, Parteien die intern uneins und zerstritten sind empfinden viele Menschen als verunsichernd und unzuverlässig.

  17. 6.

    ......zusätzlich würde ich Sie gerne noch fragen: was daran ist falsch, eine Variationsbreite an Kandidaten als Wahlmöglichkeit anzubieten? Ich finde diese Idee gar nicht so verkehrt, denn dann kann man sehen, was die Mehrheit der Berliner SPD bevorzugt.

  18. 5.

    "Für die Mitglieder der SPD eine Wahl zwischen Pest und Cholera."
    .....möglichst verbal zu übertreiben scheint im Internet ein beliebtes Mittel zu sein. Wäre es nicht auch etwas weniger dramatisch gegangen oder hat diese Rhetorik von Ihnen einen bestimmten Zweck? Und dann noch die Spitze mit Schröder als dem letzten "nicht grünen" Kanzler. Damit ist Ihr Rundumschlag dann auch perfekt oder? Allerdings weiß ich durch Ihren Kommentar jetzt in etwa, welcher Partei ich Sie zuordnen kann. Danke.

  19. 4.

    Das hat Herr Saleh schon wirklich geschickt gemacht die letzten Jahre. Das ohnehin schon schwache(Konkurrenz)-Personal mit den eigenen Ellenbogen, erst im Bezirk, dann in der Stadt, so weit zurückgedrängt, dass selbst katastrophale Wahlergebnisse nicht zum Verlust der eigenen Posten führen und somit den Begriff der Verantwortlichkeit völlig ad absurdum geführt.

    Dass der Mann ernsthaft weiterhin kandidiert, zeigt, dass die Berliner SPD auf dem besten Weg in die Bedeutungslosigkeit ist.

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