Verfassungsschutzbericht für Berlin - Verfassungsschutz sieht innere Sicherheit durch Extremisten stark gefährdet

Di 16.07.24 | 14:38 Uhr | Von Sabine Müller
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Michael Fischer, Leiter vom Berliner Verfassungsschutz, nimmt an einer Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen Berliner Verfassungsschutzberichts teil am 16.07.2024. (Quelle: picture alliance/dpa/Paul Zinken)
Video: rbb24 Abendschau | 16.07.2024 | Nachrichten | Bild: picture alliance/dpa/Paul Zinken

Rein zahlenmäßig betrachtet hat sich bei den extremistischen Gruppen in Berlin zuletzt nicht viel verändert. Entwarnung gibt der Verfassungsschutz aber nicht - im Gegenteil. Von Sabine Müller

Der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, Michael Fischer, warnt vor einer wachsenden Bedrohung durch extremistische Bestrebungen. Die Herausforderungen für seinen Nachrichtendienst seien "im vergangenen Jahr spürbar gewachsen", schreibt er im Verfassungsschutzbericht 2023: "Die Bedrohungen für unsere Demokratie haben sich in nahezu allen von uns bearbeiteten Phänomenbereichen intensiviert." Fischer nennt hier sowohl Islamismus und auslandsbezogenen Extremismus als auch Rechts- und Linksextremismus.

Nachdem im vergangenen Jahr vor allem die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Fokus des Lageberichts standen, liegt der Schwerpunkt diesmal auf den antisemitischen und israelfeindlichen Attacken seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Laut Verfassungsschutz versuchten fast alle verfassungsfeindlichen Gruppierungen, die Eskalation des Nahost-Konflikts für ihre eigene Agenda zu instrumentalisieren. Vor allem junge Menschen sollten politisiert und radikalisiert werden.

"Hass auf alles Jüdische Teil der Ideologien aller verfassungsfeindlichen Bereiche"

"Antisemitismus und Hass auf alles Jüdische sind Bestandteile der Ideologien aller verfassungsfeindlichen Phänomenbereiche", beklagt Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Eine besonders relevante Rolle bei den anti-israelischen und antisemitischen Aktionen auf Berlins Straßen, an Universitäten, Schulen und Kultureinrichtungen sowie in den sozialen Medien spielten laut Bericht Verfassungsfeinde aus dem islamistischen Spektrum und dem auslandsbezogenen Extremismus - dieser umfasst verfassungsfeindliche Bestrebungen von ausländischen Organisationen und ihrer in Deutschland aktiven Strukturen, die nicht religiös motiviert sind. Hervorgehoben wird hier die Gruppierung "Samidoun", die den Angriff auf Israel unter anderem öffentlich auf der Neuköllner Sonnenallee bejubelte. Genannt werden außerdem die Hamas selbst, Anhängerinnen und Anhänger des türkischen Rechts- und Linksextremismus sowie der salafistischen Szene.

Zahlreiche Straftaten wie ein Brandschlag auf eine Synagoge sowie Angriffe auf Jüdinnen und Juden, aber auch Polizisten und Journalisten wirkten sich auf die Sicherheitslage in Berlin aus. Auch rechtsextremistische Gruppierungen fielen laut Bericht mit antisemitischer und anti-israelischer Propaganda auf und verbanden das mit rassistischer und migrationsfeindlicher Agitation. In der linksextremistischen Szene sieht der Verfassungsschutz als Reaktion auf die Eskalation in Nahost "eine tiefe, ideologisch begründete Spaltung". Neben Solidarität mit Israel (insbesondere bei Postautonomen) gab es auch Unterstützung für pro-palästinensische Proteste.

Sorge vor Russland bleibt

Für den Verfassungsschutz bestimmte der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die ersten Monate des vergangenen Jahres. Vor allem in der rechtsextremistischen Szene war er inhaltlicher Schwerpunkt von Propaganda und Aktionen. Zum Beispiel wurde Angst vor einer neuen "Flüchtlingswelle" geschürt, Gruppierungen agierten als Multiplikatoren für russische Staatspropaganda sowie von Desinformation. Eine Ausnahme bildete auch 2023 wieder die Partei "Der III. Weg", die sich pro-ukrainisch positioniert. Sie sieht die Ukraine als Teil des "weißen Europas", das im Kampf gegen ein "raumfremdes Vielvölkerimperium" verteidigt werden müsse.

Russlands Krieg gegen die Ukraine dominierte auch Propaganda und Handeln der "Reichsbürger und Selbstverwalter" (Gruppierungen oder Einzelpersonen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihr Rechtssystem leugnen und ablehnen). Viele von ihnen sehen Russland als möglichen "Erlöser" oder "Befreier" Deutschlands von einem vermeintlichen "Besatzerregime", heißt es im aktuellen Lagebericht.

Sorge bereiten dem Berliner Verfassungsschutz weiterhin auch die Aktivitäten russischer Nachrichtendienste. Das Bedrohungspotential wird "auf unverändert hohem Niveau" gesehen, Russland nutze die Dienste, um seine wirtschaftlichen und politischen Ziele durchzusetzen. Das "Aktionsrepertoire" habe sich dabei in den vergangenen Jahren vergrößert. Neben klassischer Spionage beobachte man auch "hybride Bedrohungen" wie Cyberangriffe, Sabotageakte oder Desinformationskampagnen.

Berliner Moschee im Terror-Fokus

Die Gefährdungslage insbesondere durch jihad-salafistischen Islamismus sieht der Verfassungsschutz in Berlin laut Bericht - wie auch in ganz Deutschland - als "unverändert hoch" an. Nachdem Terrororganisationen wie "al-Qaida" und dem "Islamischen Staat" (IS) bereits seit Jahren zu Anschlägen im Westen aufriefen, wird das "größte Gefährdungspotential" nun bei der Gruppierung "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISPK) gesehen. Mit ihr habe eine weitere international operierende Terror-Organisation ihre Aktivitäten in Berlin verstärkt, heißt es. Der ISPK hatte sich unter anderem zu dem Anschlag mit 140 Toten auf eine Veranstaltungshalle bei Moskau im März bekannt.

In den Fokus der ISPK-Propaganda geriet auch die "Ibn-Rushd-Goethe-Moschee" in Moabit. Unter anderem wurde sie im ISPK-Online-Magazin mehrfach für ihre liberale Haltung gegenüber Homosexuellen kritisiert, es war die Rede von einem "Hort der Teufelsanbetung". Im vergangenen Oktober schloss die Moschee, deren Gründung maßgeblich auf die Rechtsanwältin Seyran Ateş zurückgeht, aufgrund islamistischer Terrorbedrohung bis auf Weiteres.

Weitgehend Stagnation bei Personenpotential

Beim Blick auf die Zahl der involvierten Personen sieht der Verfassungsschutz wenig Bewegung in der extremistischen Szene in Berlin. Allerdings macht die Warnung von Leiter Michael Fischer vor "intensivierten Bedrohungen" deutlich, dass die reine Zahl allein noch nichts über besorgniserregende Aktivitäten der Szene aussagt. Zusätzliches Personal rekrutieren konnte einzig das islamistische Spektrum. Ihm wurden im vergangenen Jahr in Berlin 2.380 Personen zugerechnet, ein Plus von 110 Menschen. Davon werden 920 als "gewaltorientiert" eingeschätzt. Anteil am Personal-Plus dürfte die intensive Arbeit der jihad-salafistischen Szene in den sozialen Medien haben. Sie werden als Propaganda- und Rekrutierungsplattformen genutzt, um vor allem Jugendliche und junge Erwachsene anzusprechen.

"Spürbar professionalisiert" haben ihre Internet-Propaganda laut Verfassungsschutz auch "Reichsbürger und Selbstverwalter", die Reichweiten-Zuwächse besonders in Telegram-Gruppen und Kanälen erzielen. Die Szene mit einem gleichbleibenden Personenpotential von etwa 700 vernetzte sich "zunehmend im digitalen Raum". Stagniert hat das Personenpotential sowohl im Linksextremismus (3.700) als auch im Rechtsextremismus (1.450). Während die Zahl der Gewaltorientierten im linksextremistischen Spektrum weiter sank (von 850 auf 650), stieg sie in der rechtsextremistischen Szene leicht - hier gilt gut die Hälfte als gewaltorientiert.

Aktivste Gruppierung bei den Rechtsextremisten bleibt die Partei "Der III. Weg", obwohl ihre Mitgliederzahl 2023 erstmals seit Jahren stagnierte und sie mit 80 Personen nur etwa halb so viele Mitglieder hat wie "Die Heimat". "Der III. Weg" gilt aber als wichtiges Auffangbecken für "aktionsorientierte Rechtsextremisten".

Wie immer hat der Verfassungsschutz auch Rechtsextremisten in den Berliner Sicherheitsbehörden im Visier. 2023 wurden 115 neue Fälle erfasst, "bei denen tatsächlich Anhaltspunkte für den Verdacht auf ein politisch rechts motiviertes Fehlverhalten vorlagen", heißt es im aktuellen Bericht.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.07.2024, 14:40 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

34 Kommentare

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  1. 34.

    Blöde Frage! Das wissen Sie doch selber. Und die Übergriffe nehmen zu! Also tun Sie nicht so scheinheilig. Und lassen Sie gefälligst das Spalten!

  2. 33.

    "Wie geht es eigentlich den Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland? Werden die immer noch täglich angegriffen? Müssen die Ihre religiöse Zugehörigkeit immer noch verstecken?"
    Beschmissen. Ja und ja, müssen sie, nicht immer noch - schon wieder!
    "Auch das muss zur Wahrheit gesagt werden."!!

  3. 31.

    Ich kann dazu leider nichts finden, habe sie eine Quelle für mich? Danke.

  4. 30.

    Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in 2018 geurteilt.

    Hetze, Bestrebungen gegen die FDGO u. a. reichen für Entzug von Grundrechten nicht aus.

    Sonst könnte jeder der die Todesstrafe fordert, da Verfassung u. a. dies verbietet, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit entzogen werden.

  5. 29.

    Interessante Aussage. Bislang konnte ich nur die naive SPD mit denen in Zusammenhang bringen.

  6. 27.

    Sparen sie sich ihre naive Fragestellung und denken sie einfach an den 07.10.2023 zurück.

  7. 26.

    Können sie auch nicht, die faschistischen "Graue Wölfe" werden von cDU/cSU geschützt. Die braucht man noch.

  8. 25.

    Danke für den informativen Beitrag.

  9. 24.

    Was ist denn naturextremistisch? Meinen Sie Menschen, die mit den Naturgesetzen argumentieren? Und was ist queerextremistisch? Meinen Sie Menschen, die mit ihrem gottgegeben Lebensumstand in Frieden leben möchten?

  10. 23.

    Der aufmerksame und sinnvolle Verfassungsschutz schützt unser alle ZUsammenleben in Freiheit, Demokratie und Frieden.

  11. 22.

    Habe ich "Graue Wölfe" überlesen? Auch die Suchfunktion spuckt nix aus.

  12. 21.

    Glauben Sie auch an das, was Sie hier schreiben ? Vier Diskutanten, eine Meinung !? Vor allem : Es sind fast immer die Gleichen. Ist es das, was Sie meinen ? Im Gegensatz zu Ihnen, empfinde ich das nicht als Qualitäts -Journalismus, ob nun Talkshow oder Nachrichten-Sendung. Precht hat es auf den Punkt gebracht: Die Nachricht wird im Gegensatz zu früher, heute gleich mit kommentiert. Hanns Joachim Friedrichs würde sich im Grabe umdrehen.

  13. 20.

    >"Das heißt, der Angeklagte bekommt kein Gehör, sondern nur der Ankläger. Das wird dann als guter und sauberer Journalismus, also die 4.Gewalt im Staate, verkauft."
    Bitte dabei auch die unterschiedlichen Presse-Formate beachten! Wenn ein ausgewiesener oder selbsternannter Fachmann als Stellungnahme zu einem Sachverhalt zu Wort kommt, dann ist dies eine Wiedergabe seiner Meinung. Nachfragen, evtl. kritischer Art mit Gegenargumenten, gibts in Formaten wie Interview oder Talk-Shows. Nachrichtenjournalismus ist Wiedergabe eines Geschehens ohne persönliche Wertung, kritischer Journalismus ist Auseinandersetzen mit einem Geschehen oder Taten bestimmter Personen.
    >"Wenn die von Ihnen genannten Institution mit im Boot sitzen, dann wird alles zur Makulatur."
    Kann ich so nicht bestätigen. Meine Beobachtung: Politische Entscheidungen werden immer angegriffen durch Umweltorganisationen, Verbraucherorganisationen, die Presse und auch von Privatklägern.

  14. 19.

    Das wusste ich gar nicht. Ich dachte das die bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Also haben die strafrechtlich zumindest sauber gearbeitet.

  15. 18.

    Und jetzt wollen Sie den Fragenden bedrohen, @ Fragende? Ich habe keinerlei Sympathie mit BDS und Terroristen, ich sehe keinen Menschen jüdischen Glaubens, der hier irgendwen bedroht, ich sehe nur jene, die Berlin brennen sehen wollen und das richtet sich eindeutig gegen unsere Gesellschaft, gegen uns alle und hier müssen wir alle lauter werden, gegen den Antisemitismus in diesem Land, gegen Hass auf andere, die hier von Schulen, Universitäten, vertrieben werden sollen, lauter gegen den Hass gegen jüdische Menschen. Machen Sie doch mit, gegen Antisemitismus. Mensch zu sein zu Menschen. Es ist gar nicht so schwer.

  16. 17.

    Wie Du mir, so ich Dir ! Es ist nur ein Frage der Zeit ! Das erklärt auch die Angst und Hysterie der Etablierten vor einem möglichem Machtverlust. Solange wie man einen anderen quälen und schikanieren kann, ist alles in Ordnung und rechtens. Aber wenn man selbst in die Rolle gedrängt wird, sieht das plötzlich ganz anders aus.

  17. 16.

    Nein, dafür gibt es einstweiligen Rechtsschutz. Compact beschäftigt 25 Mitarbeiter (sozialversicherungspflichtig) und wurde seit Gründung vor 14 Jahren 0,00 mal strafrechtlich verurteilt.

  18. 15.

    Es wird sicherlich vor Gericht gehen, das wird sich Jahre hinziehen und dann wird ein Gericht feststellen, dass dies nicht gerechtfertigt war. Dann wird Faeser und ihre Truppen und diese Ampel längst schon Geschichte sein! Wie groß muß die Angst dieser Scheindemokraten vor den "Rechten" und den nächsten Wahlen sein?

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