Interview | Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus - "Es gibt rechte Vorfälle verschiedenster Art an nahezu jeder Schule in Berlin"

Fr 05.07.24 | 09:40 Uhr
  10
Schüler einer Grundschule arbeiten in einem Klassenzimmer. (Quelle: dpa/Bernd Weißbrod)
Bild: dpa/Bernd Weißbrod

Bei antidemokratischen Vorfällen in der Schule können Lehrkräfte Hilfe hinzuziehen. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus bietet auch Fortbildungen in Berlin an. Beraterin Anna Schmidt erklärt, welche Kompetenzen Lehrkräften vermittelt werden.

rbb|24: Frau Schmidt, gibt es einen "Rechtsruck" an Schulen?

Anna Schmidt: Im Moment bekommen wir viele Anfragen wegen rechtsextremer Flyer, die vor Schulen verteilt werden, oder etwa wegen rassistischer Aussagen im Unterricht oder auf dem Pausenhof. Es gibt eine größere Verunsicherung vor allem bei angehenden Lehrkräften, darüber, wie sie mit Vorfällen umgehen können, etwa mit provokanten Nachfragen im Geschichtsunterricht.

Unserer Einschätzung nach steigt die Sensibilität der Lehrkräfte dafür, was sie als problematisch wahrnehmen und wo sie einen Handlungsbedarf sehen. Wir hatten schon immer eine hohe Nachfrage aus dem Schulbereich. Das ist ein relevantes Feld, weil man als Lehrkraft den Auftrag hat, demokratische Werte zu vermitteln.

In den wenigsten Fällen werden die Lehrkräfte es mit gefestigten Weltbildern oder Kindern und Jugendlichen zu tun haben, die aus rechtsextremen Elternhäusern kommen. Nichtsdestotrotz gibt es kein unschuldiges Nachplappern, denn es deutet immer auch auf eine fehlende Distanz zum rechtsextremen Gedankengut hin. Das muss man klar sagen.

Wenn man als Lehrkraft ein Problem an der Schule erkannt hat und sich bei Ihnen meldet - wie arbeitet dann die Mobile Beratung?

Wir sind in erster Linie eine Beratungseinrichtung, geben aber auch Fortbildungen und Weiterbildungen. Menschen treten an uns heran, weil sie ein Problem wahrnehmen und etwas verändern möchten. Im Kontext Schule sind das zumeist rassistische oder rechte Aussagen und Verhalten von Schülern oder Schülerinnen, weswegen wir dann von Lehrkräften oder auch manchmal Eltern angefragt werden. Wir wissen aber auch, dass solche Aussagen auch von Lehrkräften getätigt werden.

Wir versuchen nach dem Dreiklang "Wahrnehmen, Deuten, Handeln" zu arbeiten. Wir finden heraus, was passiert ist und ob es davor schon Vorfälle gab. Dann analysieren wir das gemeinsam: Gibt es etwa Radikalisierungstendenzen bei den Schülerinnen und Schülern? Woher kommen die Dinge, die gesagt wurden? Zum Schluss entwickeln wir Handlungsmöglichkeiten. Da stellen sich die Fragen: Wie ist die Schule generell aufgestellt, wie unterstützend sind das Kollegium und die Schulleitung?

Zur Person

Wie sieht so eine Fortbildung in der Praxis aus?

Wir fangen in den Fortbildungen immer mit einem theoretischen Input an, etwa mit einer Definition von Rechtsextremismus. Aber auch, wie verbreitet bestimmte Einstellungen in der Bevölkerung sind. Einige Einstellungsmerkmale wie Rassismus oder Antisemitismus werden von einem relevanten Teil der Bevölkerung geteilt.

Wir gucken dann, welche Themen die Lehrkräfte besonders interessieren. Im Bereich Rechtsextremismus ist das vor allem die Jugendkultur. Wir schauen uns zum Beispiel rechtsextreme Rapmusik an, YouTuberinnen, Influencer aus dem rechtsextremen Bereich und wie dort die Ideologie an die Jugendlichen herangetragen wird.

Im zweiten Teil legen wir den Fokus auf die Praxis. Wir suchen ganz konkrete Beispielsituation heraus - etwa Situationen, die die Lehrkräfte selbst erlebt haben. Diese Beispielsituationen besprechen wir anschließend und versuchen eine Art Werkzeugkoffer zu schaffen, aus denen sich die Lehrkräfte bedienen und über Konsequenzen entscheiden können. Die Bandbreite reicht von einem einfachen Nachfragen bis hin zu einem Verweis. Sie muss den einzelnen Lehrkräften dann für die Situation passend erscheinen.

Wie gut sind Lehrkräfte vorbereitet?

Der Umgang mit antidemokratischen Tendenzen muss verpflichtender Teil in der Ausbildung der Lehrkräfte werden. Wir haben Menschen, die Lehramt studieren und das Referendariat durchlaufen und sich nicht ein einziges Mal mit diesen Themen auseinandersetzen mussten. Ob sich Lehrkräfte weiter- und fortbilden, hängt also viel vom persönlichen Engagement ab - das kann nicht sein.

Oft werden wir zu schulpraktischen Seminaren eingeladen, die Lehramtsanwärter:innen während ihres Referendariats begleiten. Aber das hängt immer von den Seminarleitungen und ihrem Engagement ab. Die müssen sich dann dahinter hängen, damit die Lehramtsanwärter:innen für einen Tag von den Unterrichtsverpflichtung befreit werden.

Im Prinzip stecken wir da in einer Spirale: wir haben Lehrkräftemangel, deswegen wird sehr stark darauf geachtet, dass auch Lehramtsanwärter:innen in der Ausbildung möglichst viel unterrichten. Das geht aber an einigen Stellen auch zulasten der Ausbildungszeit.

Und wie können die Schüler:innen gestärkt werden?

Man muss Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit geben, das Schulleben demokratisch mitzugestalten. Sie sollten sich schon frühzeitig selbst als handlungswirksam erleben, denn das ist die beste Vermittlung von Demokratie, nicht der Gang zur Wahlurne alle paar Jahre.

Die Aufgabe von Lehrkräften ist natürlich auch, mit einem demokratischen Klima in der Schule die Schülerinnen und Schüler zum Widerspruch zu animieren. Das ist es, was am meisten hilft - wenn es gar nicht unbedingt immer die Lehrkraft ist, die einen Widerspruch einlegen muss, sondern wenn die Irritation auch von den Mitschülern und Mitschülerinnen kommt. Wenn die sagen: 'Hey, ich finde es nicht lustig, dass du rassistische Memes im Klassenchat verschickst.'

Was braucht es, damit Ihre Arbeit nachhaltig erfolgreich ist?

Zum einen braucht es Sensibilität, um früh gewisse Narrative wahrzunehmen. Dann kann am Anfang eine interessierte Nachfrage eine gute Reaktion sein. Vielleicht gibt es gerade ein Thema, was die Schüler und Schülerinnen interessiert und sie haben dazu bisher nur Quellen aus dem rechtsextremen Spektrum gelesen. Da kann man ansetzen.

Es braucht aber auch gute Rahmenbedingungen innerhalb der Schule. Es muss Ansprechpersonen für Lehrkräfte geben. Mit unserem Workshop können wir Lehrkräfte nicht zu Experten und Expertinnen im Bereich Rechtsextremismus machen. Sie müssen wissen, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden können. Es braucht eine Schulleitung, die sensibel ist für dieses Thema und den Lehrkräften alle Unterstützung bietet.

Und: wir müssen anfangen, darüber zu reden, auch gesamtgesellschaftlich. Aus unserer Erfahrung würden wir sagen: Es gibt rechte Vorfälle verschiedenster Art an nahezu jeder Schule in Berlin. Aber: es wird nicht drüber gesprochen, weil das schnell als ein Manko für die Schule gilt. Das Schweigen über Vorfälle ist das Manko - nicht das Darübersprechen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jonas Wintermantel, rbb|24

Sendung: rbb24 Abendschau, 05.07.2024, 19:30 Uhr

10 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 10.

    "Wir haben darüber geredet" ist schon seit Jahren das Mantra der Problemlöser in der Politik. Eigentlich müsste man sagen, zerredet ! Darüber hinaus hat man alles laufen lassen, anstatt rechtzeitig zu reagieren und einzugreifen. Das rächt sich irgendwann auch mal. Die wahren Ergebnisse zeigen sich langsam immer mehr und mehr. Das ist wie ein Haus, in dem sich im Fundament immer mehr Risse bilden und größer werden. Da man nichts dagegen getan hat, ist irgendwann dann auch mal Schluss und das Haus wird unbewohnbar und einsturzgefährdet.

  2. 9.

    Sie focusieren den Umgang miteinander auf eienen Punkt, um vom allgemein feindlichen Umgang auf breiter Ebene abzulenken, aber dort ist die Wurzel des von Ihnen focusierten Problems begründet.

  3. 8.

    In Berlin? Diesmal nicht die böse Lausitz, wer hätte das gedacht?! Nee, ich bin nicht schadenfroh, stelle nur fest, dass das eben kein Phänomen der Lausitz ist und Schüler überall gleich sind. Es gibt kein Patentrezept, weder hier noch da.

  4. 7.

    Ich behaupte nicht, dass man alles vom Staat abhängig macht.
    Sie schreiben selbst, „es geht doch aber um den allgemeinen Umgang miteinander“.

    Genau der fremdenfeindliche Umgang miteinander würzt noch die Probleme. „Es muss angefangen werden, nicht nur geredet werden was ist zu tun“, da ist die Bevölkerung und die Politik zusammen gefragt. Nicht - derjenige oder diejenige - ist schuld daran, sondern jeder der pauschal gegen andere Menschen ist. Ich weiß, in einer Großstadt ist es nicht einfach. „Bei uns gibt es das nicht", dass höre ich ebenfalls in meiner Gemeinde. Wenn es stimmt, dann erübrigt sich eine Auseinandersetzung im Umfeld, bei der Schule und Privat.
    Das soll nicht heißen, dass man sich für die Probleme anderer die auftauchen, nicht kümmert.






  5. 6.

    Was meinen sie was passiert wenn die Probleme in der Schule angesprochen werden? Ich sage es ihnen, die Probleme verlagern sich nach draußen. Man muss sich doch fragen welche Geschichtskenntnisse denn Schüler heute erlangen ?
    Welche Zukunftsperspektiven haben denn junge Menschen. Das stimmt doch alles vorne und hinten nicht. Ursachen bekämpfen statt plakatives "wir haben darüber geredet".

  6. 5.

    Wenn man schon beim Fußball (EM) aktiv wegschaut, dann wundert es mich nicht, dass es in den Schulen nicht anders ist.

  7. 4.

    Naja, also man kann ja nicht alles nur vom Staat abhängig machen. Wenn es strafrechtlich relevant ist, ist es ein Fall für die Justiz. Insgesamt geht es doch aber um den allgemeinen Umgang miteinander. Da helfen Verbote allein nicht. Es geht um eine offene Kommunikations- und Fehlerkultur, (nicht nur) in der Institution Schule. Es reicht nicht, sich z.B. ein Schild an die Tür zu hängen mit "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Wenn der zweite Teil regelmäßig weggelassen wird, ändert sich nichts. Man muss darüber reden, was in der Schule abgeht an rassistischen, diskriminierenden, gewalttätigen etc. Vorfällen, damit Lösungen gefunden werden können. Leider erlebe ich im Alltag oft das Gegenteil, es wird behauptet, "bei uns gibt es das nicht". Und somit kann keine weitere Auseinandersetzung stattfinden. Deckel drauf - und gut? Sieht man ja, wohin das führt. Wir können das nicht länger ignorieren!

  8. 3.

    Nach den klugen Reden von Mittwoch im Parlament und den Versprechungen, kann es nur noch ein wenig dauern, bis diese Zustände endgültig beseitigt sind. Bis dahin noch etwas Geduld. Das wird auch das Vertrauen weder zurück bringen !

  9. 2.

    Deutschland lebt mit einer Doppelmoral, da ist es vorprogrammiert das es sich in der Schule zeigt. Was sollen die Lehrkräfte dagegen machen können, wenn der Staat beim Rechtsextremismus vieles durchgehen lässt und kein Verbot ausspricht? Siehe zum Bsp. die umstrittene Zeichen bei der EM. Es muss angefangen werden, nicht nur geredet werden was ist zu tun. Kinder, Jugendliche äffen vieles nach was den Erwachsenen vom Staat erlaubt wird. Die Lehrkräfte sitzen dabei auf zwei Stühlen, wenn es heißt es ist doch noch nicht verboten.

  10. 1.

    Solange die Devise gilt: Reden ist silber, schweigen ist Gold, wird sich leider nicht viel ändern. Das ist auch mit anderen Problemen so, sei es Mobbing, Gewaltvorfälle, Diskriminierung… die Liste lässt sich fortführen.
    Wenn Schulleitungen mehr Angst haben, dass der Ruf der Schule leidet, anstatt dass eine offene Kommunikationskultur herrscht, bleibt nur ein individueller Umgang damit.

Nächster Artikel