Gefangenenaustausch - Angehörige von Opfer des "Tiergarten-Mörders" enttäuscht

Fr 02.08.24 | 09:18 Uhr
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt die frei gelassenen Personen, die mit einem Flugzeug nach dem Gefangenenaustausch mit Russland auf dem militärischen Teil des Flughafen Köln/Bonn ankommen. (Foto: dpa)
Audio: rbb24 Inforadio | 02.08.2024 | Lothar Lenz | Bild: dpa

Russland und der Westen haben einen beispiellosen Deal gemacht: Ein verurteilter Mörder und Spione kommen im Austausch für politische Gefangene frei. Das stößt bei einigen auf Unverständnis. Möglich machte das eine besondere Weisung.

Das vorzeitige Ende der Haft für den "Tiergarten-Mörder" Wadim K. hat bei den Angehörigen des Opfers Enttäuschung ausgelöst. "Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige", teilten diese über ihre Anwältin Inga Schulz der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit. "Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt", teilten sie mit.

Der Russe Wadim K. kam am Donnerstag im Zuge eines großangelegten Gefangenenaustausches zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern frei.

Bei der beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT wurden insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener und Kremlkritiker ließen Deutschland, die USA und Partnerländer Wadim K. und unter Spionageverdacht stehende Häftlinge aus Russland gehen. Russland ließ unter anderen den wegen Spionage verurteilten "Wall Street Journal"-Korrespondenten Evan Gershkovich sowie prominente Oppositionelle wie Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin frei.

Unter den deutschen Staatsbürgern, die frei kamen, war der in Belarus zunächst zum Tode verurteilte und später begnadigte Rico K. Auch Patrick S., der nach Behördenangaben wegen Cannabis-Gummibärchen im Gepäck am Flughafen in Sankt Petersburg festgenommen worden war, wurde an Deutschland übergeben.

2021 wurde sogar besondere Schwere der Schuld festgestellt

Wadim K. wurde vom Berliner Kammergericht 2021 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem stellte es die besondere Schwere der Schuld fest, was normalerweise eine Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschließt. Die Angehörigen des von Wadim K. ermordeten Georgiers waren im Prozess als Nebenkläger aufgetreten.

Opfer hatte in Deutschland Schutz gesucht

Laut Urteil hat der Russe am 23. August 2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin im Auftrag staatlicher russischer Stellen den Georgier tschetschenischer Abstammung heimtückisch erschossen. Dafür habe der frühere Oberst einer Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB eine Alias-Identität erhalten.

Das Opfer hatte in Deutschland Schutz gesucht. Der Mann hatte während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt. Nach Moskauer Darstellung war er für Dutzende Tote unter russischen Sicherheitskräften verantwortlich. Russische Behörden hatten ihn als tschetschenischen Terroristen eingestuft.

Justizministerium wies Generalbundesanwalt schriftlich an

Wadim K., der aus Sicherheitsgründen mehrfach von einer Haftanstalt zur nächsten verlegt worden war, saß nach dpa-Informationen zuletzt im baden-württembergischen Offenburg ein. Die Entscheidung zu seiner Freilassung traf nicht der in solchen Fällen zuständige Generalbundesanwalt Jens Rommel, sondern das Bundesjustizministerium. Eine Sprecherin teilte auf Anfrage mit, der Generalbundesanwalt sei zwar grundsätzlich zuständig für die Aussetzung der Strafvollstreckung. Das Ministerium habe ihn im Fall von Wadim K. am vergangenen Montag jedoch schriftlich angewiesen, die Vollstreckung auszusetzen, um den Gefangenenaustausch zu ermöglichen.

Kanzler Scholz nimmt Freigelassene in Köln/Bonn in Empfang

Unterdessen hat Bundeskanzler Olaf Scholz in der Nacht zu Freitag 13 Freigelassene am Flughafen Köln/Bonn empfangen. "Das war sehr bewegend", erklärte er im Anschluss. "Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet, das muss sehr klar gesagt werden und deshalb ist es auch wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben."

Die schwierige Entscheidung sei von der Koalition nach sorgfältiger Beratung und Abwägung gemeinsam getroffen worden, der Oppositionsführer - Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) - frühzeitig informiert und nach eigenem Bekunden einverstanden gewesen.

Nach dem Treffen mit den Freigelassenen bezeichnete Scholz den Austausch als richtige Entscheidung. "Und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte, dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind."

Amnesty International begrüßt Austausch - warnt aber auch

Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth schrieb auf X, manchmal müsse man "aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen". Justizminister Marco Buschmann räumte ein, für die Freiheit der Gefangenen habe man schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Mit Blick auf die Ausweisung des verurteilten Mörders Wadim K. sagte er: "Ein besonders bitteres Zugeständnis verantworte ich als Justizminister."

Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sieht die Freilassung des sogenannten Tiergarten-Mörders zwiespältig. Er fürchte, "der Propagandaeffekt für Putin ist enorm", sagte Hardt am Freitag im ARD-"Morgenmagazin. Der russische Präsident könnte nun jedem gedungenen Mörder praktisch sagen: "Ihr seht, ich hole euch raus".

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Gefangenenaustausch, warnte aber vor den Folgen solcher Deals. "Die russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen", sagte der stellvertretende Generalsekretär in Deutschland, Christian Mihr.

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.08.2024, 9 Uhr

49 Kommentare

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  1. 49.

    Terroristen sind wohl immer die anderen. Und wenn Tschetschenen in Russland den Aufstand proben, ist‘s wohl ok.
    Wenn sie in die Ukraine einfallen … Der Feind meines Feindes ist mein Freund - und umgekehrt.
    Ich kann dieser Doppelmoral nicht folgen. Tut mir leid.

  2. 48.

    Korrekt und Sie haben es immer noch nicht verstanden. Das Justizministerium ist Exekutive und kann dem Bundesstaatsanwalt Anweisungen geben. Sie posten Inhalte ohne deren Aussage zu verstehen.

  3. 47.

    Na logisch ... zum Verhandeln gehören mind. zwei ,Parteien'.
    Etwas anderes habe ich auch nicht geschrieben!

  4. 46.

    "...begrüßte den Gefangenenaustausch, warnte aber vor den Folgen"
    Was denn nun war's nun richtig oder falsch? Solch Geeire lieb ich

  5. 45.

    Was für eine schwierige Entscheidung und Abwägung. Wie sie sich auswirkt, wird man erst in der Zukunft sehen. Ich hoffe, es wirkt sich nicht negativ aus. Dass die Angehörigen des "Tiergarten-Möders" enttäuscht sind, kann ich dabei vollkommen nachvollziehen.

  6. 44.

    Sie vergessen, dass es sich um westliche Journalisten gehandelt hat, und die Vorwürfe waren an Haaren herbeigezogen, von wegen Spionage, da es einer Einschleußung in dortige Strukturen bedürft hätte, die es nicht gab. .
    Ergo, diese Festnahmen waren nur ein Mittel zum Zweck, Putin sammelte für seinen geplanten Austausch!

  7. 42.

    @I Robot, das 'Kanzlerwort': ich glaube Anfang '22 zum Thema AKW.
    Das 'Kanzlerwort' ist die Stärke des Kanzlers und gleichzeitig seine Schwäche.
    Seine Stärke weil er es nutzen kann, wenn er es für richtig hält. Seine Schwäche, wenn er es nutzen muss um durchzusetzen, was er für richtig hält.

  8. 41.

    @ Sabi, sollte die Aufforderung zum verhandeln nicht zuerst an den Aggressor gehen? Und das wir uns richtig verstehen, der Aggressor ist Russland.

  9. 40.

    @ Ole, da hab ich was die RAF angeht ganz andere Erinnerung. Erst später hat Schmidt jegliche Verhandlung abgelehnt. Und auch Israel hat bisher einige Geiseln über den Verhandlungsweg frei bekommen.

  10. 39.

    @ Helle, erst informieren, dann posten. Für beide Länder liegt eine Reisewarnung vor.

  11. 37.

    Aber Putins Handeln hat ja gerade frappierende Parallelen zum Terror Stalins.
    Ich würde das heute Rußland nicht mit der Sowjetunion gleichsetzen. Aber Traditionslinien sind (leider!) unübersehbar.
    Oder sehen Sie die Sowjetunion heute noch als ein Positivum? Ich nicht.

  12. 36.

    Oh man...

    Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, umgangssprachlich auch „Kanzlerprinzip“ genannt, obwohl dieses noch weitere Kompetenzen des Kanzlers regelt, ist in Art. 65 S. 1 des Grundgesetzes (GG) geregelt. Sie stärkt die Stellung des Bundeskanzlers im politischen System der Bundesrepublik. Eine fast gleichlautende Vorschrift enthielt bereits die Weimarer Verfassung.

    Richtlinien bedeuten in diesem Zusammenhang Grundlinien der Regierungspolitik, also die allgemeine politische Ausrichtung, nicht dagegen jedes Detail der Regierungspolitik. Allerdings können auch Einzelfragen für die politische Ausrichtung wesentlich und dann Gegenstand von Richtlinien sein. Nach dem Ressortprinzip führt jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und eigenverantwortlich.

    Die Richtlinienkompetenz wirkt einzig auf die Bundesregierung als Teil der Exekutive, nicht aber auf die Legislative (Bundestag und Bundesrat) oder die Judikative (Gerichte).

    Nun ist aber auch gut.

  13. 35.

    Widerspruch!
    ,Verhandeln' ist nicht gleich ,Untergeben'!

    Wie lange sollen noch täglich Menschen sterben?
    Wie viele Millionen sollen die Rüstungskonzerne noch verdienen?
    Wie weit soll die weltweite Aufrüstung noch gehen?

  14. 34.

    Jeder Verurteilte in Russland ist nach unserer Auffassung unschuldig, Rechtsstaat und so.

  15. 33.

    "... Die politische Geiselnahme von Unschuldigen oder die übermäßige Aburteilung von Kleinstvergehen lohnen sich für Diktatoren, ..."

    Wo kann man über die "Schuld/Unschuld" etwas nachlesen? Haben Sie evtl. einen zuverlässigen Link parat.

    "Kleinstvergehen" ... meinen Sie die wegen Cannabis-Gummibärchen?
    Wenn es in einem Land (egal ob Russland oder sonst wo) verboten ist, sollte man sich daran halten, ansonsten wird es bestraft.
    Oder gibt es in dieser Beziehung verschiedene Auslegungen im Westen?
    Siehe z.B. Deutscher in thailändischer Haft wegen Drogen

  16. 32.

    Woher haben sie ihre Erkenntnis, dass die 13 eingetauschten Bürger völlig unschultig im russischen Gefängnis waren? Hierzu wurden keine Hinweise veröffentlicht.

  17. 31.

    Und nochmals: nein, würde es nicht. Sie haben lediglich den Sachverhalt nicht verstanden. Googeln Sie doch bitte einfach Beispiele für Richtlinienkompetenz. Sie verwechseln eigenständige Führung und Weisungsbefugnis.

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