Gefangenenaustausch - Angehörige von Opfer des "Tiergarten-Mörders" enttäuscht
Russland und der Westen haben einen beispiellosen Deal gemacht: Ein verurteilter Mörder und Spione kommen im Austausch für politische Gefangene frei. Das stößt bei einigen auf Unverständnis. Möglich machte das eine besondere Weisung.
Das vorzeitige Ende der Haft für den "Tiergarten-Mörder" Wadim K. hat bei den Angehörigen des Opfers Enttäuschung ausgelöst. "Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige", teilten diese über ihre Anwältin Inga Schulz der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit. "Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt", teilten sie mit.
Der Russe Wadim K. kam am Donnerstag im Zuge eines großangelegten Gefangenenaustausches zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern frei.
Bei der beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT wurden insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener und Kremlkritiker ließen Deutschland, die USA und Partnerländer Wadim K. und unter Spionageverdacht stehende Häftlinge aus Russland gehen. Russland ließ unter anderen den wegen Spionage verurteilten "Wall Street Journal"-Korrespondenten Evan Gershkovich sowie prominente Oppositionelle wie Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin frei.
Unter den deutschen Staatsbürgern, die frei kamen, war der in Belarus zunächst zum Tode verurteilte und später begnadigte Rico K. Auch Patrick S., der nach Behördenangaben wegen Cannabis-Gummibärchen im Gepäck am Flughafen in Sankt Petersburg festgenommen worden war, wurde an Deutschland übergeben.
2021 wurde sogar besondere Schwere der Schuld festgestellt
Wadim K. wurde vom Berliner Kammergericht 2021 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem stellte es die besondere Schwere der Schuld fest, was normalerweise eine Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschließt. Die Angehörigen des von Wadim K. ermordeten Georgiers waren im Prozess als Nebenkläger aufgetreten.
Opfer hatte in Deutschland Schutz gesucht
Laut Urteil hat der Russe am 23. August 2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin im Auftrag staatlicher russischer Stellen den Georgier tschetschenischer Abstammung heimtückisch erschossen. Dafür habe der frühere Oberst einer Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB eine Alias-Identität erhalten.
Das Opfer hatte in Deutschland Schutz gesucht. Der Mann hatte während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt. Nach Moskauer Darstellung war er für Dutzende Tote unter russischen Sicherheitskräften verantwortlich. Russische Behörden hatten ihn als tschetschenischen Terroristen eingestuft.
Justizministerium wies Generalbundesanwalt schriftlich an
Wadim K., der aus Sicherheitsgründen mehrfach von einer Haftanstalt zur nächsten verlegt worden war, saß nach dpa-Informationen zuletzt im baden-württembergischen Offenburg ein. Die Entscheidung zu seiner Freilassung traf nicht der in solchen Fällen zuständige Generalbundesanwalt Jens Rommel, sondern das Bundesjustizministerium. Eine Sprecherin teilte auf Anfrage mit, der Generalbundesanwalt sei zwar grundsätzlich zuständig für die Aussetzung der Strafvollstreckung. Das Ministerium habe ihn im Fall von Wadim K. am vergangenen Montag jedoch schriftlich angewiesen, die Vollstreckung auszusetzen, um den Gefangenenaustausch zu ermöglichen.
Kanzler Scholz nimmt Freigelassene in Köln/Bonn in Empfang
Unterdessen hat Bundeskanzler Olaf Scholz in der Nacht zu Freitag 13 Freigelassene am Flughafen Köln/Bonn empfangen. "Das war sehr bewegend", erklärte er im Anschluss. "Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet, das muss sehr klar gesagt werden und deshalb ist es auch wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben."
Die schwierige Entscheidung sei von der Koalition nach sorgfältiger Beratung und Abwägung gemeinsam getroffen worden, der Oppositionsführer - Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) - frühzeitig informiert und nach eigenem Bekunden einverstanden gewesen.
Nach dem Treffen mit den Freigelassenen bezeichnete Scholz den Austausch als richtige Entscheidung. "Und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte, dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind."
Amnesty International begrüßt Austausch - warnt aber auch
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth schrieb auf X, manchmal müsse man "aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen". Justizminister Marco Buschmann räumte ein, für die Freiheit der Gefangenen habe man schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Mit Blick auf die Ausweisung des verurteilten Mörders Wadim K. sagte er: "Ein besonders bitteres Zugeständnis verantworte ich als Justizminister."
Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sieht die Freilassung des sogenannten Tiergarten-Mörders zwiespältig. Er fürchte, "der Propagandaeffekt für Putin ist enorm", sagte Hardt am Freitag im ARD-"Morgenmagazin. Der russische Präsident könnte nun jedem gedungenen Mörder praktisch sagen: "Ihr seht, ich hole euch raus".
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Gefangenenaustausch, warnte aber vor den Folgen solcher Deals. "Die russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen", sagte der stellvertretende Generalsekretär in Deutschland, Christian Mihr.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.08.2024, 9 Uhr