Urteil gegen Semsrott - "Frag den Staat"-Chefredakteur von Landgericht verwarnt

Fr 18.10.24 | 15:41 Uhr
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Arne Semsrott (r), Chefredakteur des Internetportals «FragdenStaat» steht am 16.10.2024 zu Beginn eines Prozesses gegen ihn im Berliner Landgericht. (Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka)
Audio: rbb 88.8 | 18.10.2024 | Ulf Morling | 13:20 Uhr | Bild: dpa/Bernd von Jutrczenka

Der Journalist Arne Semsrott weiß, dass er mit seinem Handeln gegen das Gesetz verstoßen hat. Das Landgericht sieht das ebenfalls so - hat aber ein mildes Urteil gesprochen.

Der Journalist und Aktivist Arne Semsrott ist nach der Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten verwarnt worden. Das Landgericht Berlin sprach den Chefredakteur des Internetportals "FragDenStaat" wegen des Straftatbestands der verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (§353d StGB) schuldig.

Die Richter entschieden sich für eine milde Strafe: Semsrott muss eine Geldstrafe von 1.000 Euro (20 Tagessätze je 50 Euro) nur dann zahlen, wenn er innerhalb des nächsten Jahres erneut straffällig wird.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe von 2.000 Euro (40 Tagessätze je 50 Euro) beantragt. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

Journalist lehnt Einstellung des Verfahrens ab

Wäre es nach dem Gericht gegangen, hätte das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden können. Das hatte Semsrott abgelehnt, weil so eine grundsätzliche Klärung nicht möglich gewesen wäre. Mit dem Urteil wird der Fall nun den Bundesgerichtshof beschäftigen, denn der 36-Jährige hat bereits angekündigt, in Revision zu gehen.

Der Journalist hatte vor Gericht eingeräumt, drei Beschlüsse des Amtsgerichts München ins Netz gestellt zu haben - im Wissen, dass dies laut Gesetz verboten ist. Aus seiner Sicht verstößt die bestehende Gesetzeslage gegen die Presse- und Wissenschaftsfreiheit. Die Vorschrift sei nicht mehr zeitgemäß angesichts der Entwicklung der Medienlandschaft. Sie führe "zu einer Schere im Kopf", so Semsrott in seinem letzten Wort im Prozess.

Gesetz untersagt wortgetreue Veröffentlichung

Nach dem Gesetz (§ 353d Strafgesetzbuch) ist eine wortgetreue Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Verfahren nicht zulässig. Das Gesetz droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe an. Der Gedanke hinter der Strafnorm ist, dass Zeuginnen und Zeugen sowie Laienrichter vor einem Prozess nicht beeinflusst werden sollen durch vorläufige Ermittlungsergebnisse.

Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtsfrage im Hinblick auf die Pressefreiheit hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht und nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht erhoben.

Aus Sicht von Semsrott und seinen Anwälten sowie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die den Fall unterstützt, ist dies verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat bislang jedoch anders entschieden. Der Deutsche Journalisten-Verband forderte die Bundesregierung auf, den Paragrafen zu reformieren. "Er ist längst nicht mehr zeitgemäß und kriminalisiert Journalistinnen und Journalisten, die einfach nur ihrer Arbeit nachgehen", erklärte die stellvertretende DJV-Bundesvorsitzende Mariana Friedrich nach dem Urteil.

Semsrott: Vorschrift führt zu "Schere im Kopf"

Im konkreten Fall handelte es sich um Beschlüsse im Verfahren gegen die Letzte Generation wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Es ging um Durchsuchungen bei Mitgliedern, die Beschlagnahme der Webseite sowie die Überwachung des Pressetelefons der Gruppe. Das Vorgehen der Justiz sorgte seinerzeit für Kritik.

Um angemessen über den Umgang mit der Gruppe diskutieren zu können, seien Originaldokumente und Zitate daraus nötig, argumentierte Semsrott. Dies gelte in Zeiten von Fake News umso mehr. Die bestehende Norm sei nicht mehr zeitgemäß.

Aus Richtersicht führt aber gerade die veränderte Medienlandschaft dazu, dass die "Funktionstüchtigkeit des Strafverfahrens hohen Gefahren" ausgesetzt ist. "Wir sind der Meinung, dass es erst recht dieses Schutzes bedarf", so Richter Bo Meyer.

Gericht: Gesetznorm nicht verfassungswidrig

Es gehe nicht darum, dass die Justiz oder Richter nicht kritisiert werden dürfen, betonte Meyer. Eine inhaltliche Wiedergabe solcher Dokumente sei jederzeit möglich. Bei der wortgetreuen Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten aus laufenden Ermittlungsverfahren bestehe aber die Gefahr, dass sie nicht richtig eingeordnet würden.

Aus Sicht des Gerichts ist die Strafnorm nicht verfassungswidrig. Richter Meyer machte aber deutlich, dass in jedem Einzelfall abgewogen werden müsse. Es müsse jeweils "ein Kompromiss zwischen der Pressefreiheit und der Funktionsfähigkeit des Strafverfahrens" gefunden werden.

Sendung: rbb 88.8, 18.10.2024, 13:30 Uhr

51 Kommentare

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  1. 50.

    "...die in ihrer Arroganz und Selbstgefälligkeit glauben, über dem Gesetz zu stehen"

    So weit würde ich nicht gehen. Ich verstehe das als den Versuch, auf gerichtlichem Wege neue Standards zu erstreiten, um zukünftig "besser" berichten zu können.
    Dem Richterspruch kann ich trotzdem gut folgen.

  2. 49.

    Ein weiterer Beleg für die Hybris vieler Journalisten (übrigens kein Lehrberuf, jeder kann sich so nennen und einen Presseausweis beantragen, wenn er z.B. für eine Schülerzeitung oder den Angelverein schreibtt) die in ihrer Arroganz und Selbstgefälligkeit glauben, über dem Gesetz zu stehen

  3. 48.

    Einige Kommentartoren sollten vielleicht einmal recherchieren, was Frag den Staat und die Gesellschaft für Freiheitsrechte bisher so gemacht haben. Die sind nicht links, sondern liberal. Sie schauen nicht auf wirtschaftliche Themen, sondern auf Gesellschaft und Recht und das aus einem Blickwinkel eines liberalen Humanismus. Sie unterscheiden Menschen nicht nach Herkunft und setzen sich für alle Menschen und vor allem für die freiheitlich demokratische Idee von Rechtsstaatlichkeit ein.

  4. 47.

    "Mal abgesehen davon dass "linksgrün" ein rechtsextremes Narrativ ist"
    Die Grünen sind in keiner üblichen Bedeutung des Wortes "links".

  5. 46.

    Die ÖR sind zur "Einhaltung journalistischer Standards" und "einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung" verpflichtet und sollen "die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen". Dass sie keiner Weltanschauung oder politischen Richtung nahestehen sollen - egal ob diese in der Bevölkerung eine Mehrheit hat oder nicht - kann man ableiten.

    Zu journalistischen Standards gehört auch die Trennung von Nachricht und Meinung. Außerhalb weniger als Kommentar gekennzeichneten Rubriken haben sie sich jeder Meinungsbekundung zu enthalten, sondern nur ausführlich zu berichten was geschah und welche Standpunkte zu einem Thema existieren, ohne irgendeinen davon hervorzuheben oder zu verschweigen.

    §26:

    https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Medienstaatsvertrag_MStV.pdf

  6. 44.

    Wo ist die gegebene Objektivität, wenn manch Politiker als Gesetzgeber durch ihre Immunität gerne den Mund unbedacht öffnen, es in der Presse landet und Richter auf Grundlage von Gesetzen erstmal sachlich die Dinge zusammenführen? Ein laufenden Gerichtsverfahren ist oftmals transparenter in den Unterlagen als die Grabenkämpfe im Reichstag, wer denn im Recht ist um auf einer Geschwätzeslage Gesetze umzusetzen.

    Die Transparenzwahrung innerhalb der Gewaltenteilung hat für den Bürger sicher einen Stellenwert, wie er sich vertreten lassen will und wie die Gesetzesumsetzer arbeiten.

    Ein Zeuge beruft sich auf seine gemachte Wahrnehmung. Ein Laienrichter sollte die Eignung haben Beschlüsse mit einem Gesetz in Verbindung zu bringen.

  7. 43.

    Für Sie habe ich auch ein erklärendes Beispiel: Das Wort „progressiv“ bedeutet
    nicht, dass dies für Linksgrüne zutrifft. Aber sie benutzen dies für sich populistisch und sogar in der Sache falsch. Denn auch Liberale oder Konservative können progressiv sein: in der Digitalisierung, im Bürokratieabbau im Freiheitsstreben usw. Und auch Linksgrüne können rückwärtsgewandt sein: Mit sozialistischen Verteilungsideologien, in der Absenkung des Bildungsniveaus oder Verarmungsstrategien die sich ökonomisch bewiesen haben.
    Wenn also dieses Wort für sich verwendet wird, dann will man ablenken vom Eigentlichen.

  8. 42.

    „Könnten Sie einmal den Begriff " neutral " und die praktische Anwendung in der Medienlandschaft kurz erklären“
    Das ist schwer. Aber es gibt Formulierungen die (auch falsch) bewerten statt informieren:
    Da sind andere schon weiter
    progressive Parteien
    könnte Vorreiter
    Rechrfertigungen von Nötigung und Straftäter z.B. der LG
    falsche Sprachformen statt neutrale Verständigung und richtigem Plural
    Einseitige (!) Steigerungsformen von Krieg (brutal, Angriffs-),
    gesichert rechtsradikal..., immer verwendet nervt, wenn anderes Extremes z.B. der Antifa milde dargestellt wird.
    Das alles müsste als Erklärung reichen. Was die Kommentarauswahl und den praktizierten mutwilligen Nickdiebstahl betrifft, ist einleuchtend oder selbsterklärend, wenn die Anzahl der Meinungen von dem allgemeinen Meinungsbild nach links zu stark abweicht.

  9. 38.

    Ich verstehe nicht, wenn das Volk immer für so dumm eingestuft wird. Ich denke, jeder normale Mensch sollte in der Lage sein, sich eine eigene Meinung bilden zu können.

    Warum muss etwas so formuliert und entschärft werden, damit es dem Bürger vorgesetzt werden kann.

    Dieses Land schafft sich doch selbst ab. Proganda von rechts, von links, aus der Mitte.

    Vor wahlen und Krieg wird am meisten gelogen, lernte ich in meiner Schulzeit nach der Wende im Osten. Und ich muss sagen, es stimmt. ;-)

  10. 37.

    Objektiv betrachtet und unter Hinzuziehung der desaströsen Wahlergebnisse ist es eine Tatsache , das "die weitaus größere Mehrheit nicht noch mehr linksgrüne Positionen will". Mit Ihrem Weltbild kommen Sie natürlich nicht zu diesem Ergebnis.
    Erkundigen Sie sich doch mal bei den beiden zurück getretenen Vorsitzenden der Grünen und dem rudimentären Rest der Linken, den Wagenknecht zurück gelassen hat, warum der Zuspruch im Land immer mehr abnimmt ?

  11. 36.

    Es ist eben keine objektive Feststellung, wenn man durch sein Weltbild gefärbtes subjektives Urteil abgibt, welches keiner objektiven Überprüfung standhält.

    Das fängt schon damit an indem man fälschlich behauptet "die weitaus größere Mehrheit nicht noch mehr linksgrüne Positionen will".

    Mal abgesehen davon dass "linksgrün" ein rechtsextremes Narrativ ist, versucht man damit seine eigene "Meinung" zu verallgemeinern.

  12. 35.

    Es ist eben keine objektive Feststellung, wenn man durch sein Weltbild gefärbtes subjektives Urteil abgibt, welches keiner objektiven Überprüfung standhält.

    Das fängt schon damit an indem man fälschlich behauptet "die weitaus größere Mehrheit nicht noch mehr linksgrüne Positionen will".

    Mal abgesehen davon dass "linksgrün" ein rechtsextremes Narrativ ist, versucht man damit seine eigene "Meinung" zu verallgemeinern.

  13. 34.

    Das Weltbild ist doch bei der objektiven Feststellung, das etwas linksgrünlastig ist, unerheblich. Wenn es so ist, dann ist es so. Wenn man feststellt, dass es stark regnet, kann man schlecht sagen, es ist trocken und strahlender Sonnenschein.

  14. 32.

    Ein Urteil ist getroffen: dudu, wie bei allen Urteilen gegen "Aktivisten".

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