Ehrenamt und finanzielle Förderung - Warum der E-Sport unbedingt ein Sport sein will
Sind E-Sport und Gaming wirklich Sport? Ja, sagt die Berliner Politik. Sie will E-Sport als gemeinnützig anerkennen. Finanzielle Förderungen und ehrenamtliche Strukturen wären die Folge - vielleicht aber auch mehr Kontrolle und neue Geldquellen. Von Jakob Lobach
"Sein oder Nichtsein?" Anfang des 17. Jahrhunderts stellte William Shakespeare in "Hamlet" diese existentiellste aller Frage. Nicht nur im Londoner Globe-Theater sollen anschließend bis zu 3.000 Menschen Schauspielern bei der Erörterung der Frage zugeguckt und zugehört haben. Gute vier Jahrhunderte später sind es andere Spielformen, die die ganz großen Massen erreichen - der E-Sport beispielsweise. Doch bei der Frage bleibt's.
Bereits im Jahr 2015 dauerte es nur rund anderthalb Minuten, bis alle 12.000 Tickets für die "League of Legends"-Weltmeisterschaft in der Mercedes-Benz Arena vergriffen waren. Mehr noch: In den vergangenen Jahren hat der E-Sport weltweit geboomt – immer begleitet von der ebenfalls existenziellen Frage: "Sport oder kein Sport?" Oder etwas ausführlicher: Sollten E-Sport und Gaming offiziell als Sport anerkannt werden und als gemeinnützig gelten?
Während nicht nur der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) diese Frage klar verneint, plädieren Gaming-Akteure und auch Berliner Politiker dieser Tage erneut für eine Anerkennung. Sie erhoffen sich neue Zugänge zu Kindern und Jugendlichen, eine geregeltere Gaming-Branche und große wirtschaftliche Potenziale für die Stadt Berlin.
Alles eine Frage der Definition
All das führt auch Klara Schedlich auf, wenn sie über das Thema E-Sport und die Frage nach der Gemeinnützigkeit spricht. Die 22-jährige Berlinerin sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und ist in ihrer Partei unter anderem Sprecherin für Sportpolitik. "E-Sport ist Sport", sagte Schedlich kürzlich im rbb24 Inforadio und führt nun rbb|24 gegenüber aus: "Sport ist herausfordernd, stärkt Teamgeist und hat einen positiven Gesellschaftseffekt - all das bringt E-Sport meiner Meinung nach mit." Und nach der eher ausbleibenden physischen Bewegung gefragt, sagt Schedlich: "Die Definition von Sport beinhaltet meistens körperliche Aktivitäten, aber eben nicht immer. Vor allem geht es um den Wettkampfcharakter."
Allgemein fällt in der Diskussion um den E-Sport auf, wie wichtig Definitionen und deren Auslegungen sind. Klar, um zu entscheiden, ob E-Sport nun Sport ist oder nicht, muss man sich einig sein, was E-Sport und Sport überhaupt sind. So definiert etwa der DOSB "Sport" deutlich mehr über körperliche Bewegung. In seinen Aufnahmekriterien setzt er eine "sportartbestimmende motorische Aktivität" voraus und schließt die "Bewältigung technischen Gerätes ohne Einbeziehung der Bewegung des Menschen" explizit aus. In etwas weniger komplizierten Worten: Aus Sicht des DOSB ist E-Sport zwar Gaming, aber definitiv kein Sport. Die einzige Ausnahme: Spiele, bei denen sich neben dem digitalen Avatar auf dem Bildschirm auch der Spieler an der Konsole bewegt.
Für Melvin Frank liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Er ist Referent der Geschäftsführung bei Eintracht Spandau, einem Berliner E-Sport-Klub, der sowohl ein professionelles "League of Legends"-Team betreibt als auch im Entertainment-Bereich tätig ist. "Wenn wir ein Gaming-Video produzieren und bei Youtube hochladen, das unterhalten soll, ist das per Definition natürlich weniger Sport", sagt Frank. Training und Spiele des besagten "League of Legends"-Teams seien aus seiner Sicht hingegen "definitiv Sport". Zum einen aufgrund des organisierten Wettkampfes im Stile anderer Profis-Sportarten, zum anderen gehe die "kognitive Leistungsfähigkeit beim E-Sport immer einher mit der körperlichen Leistungsfähigkeit". Sprich: E-Sportler müssten auch körperlich fit sein.
Gemeinnützig für die Sportförderung
"Sport oder kein Sport?" – die Frage bleibt kompliziert. Deutlich klarer ist, warum diese Frage aus Sicht von Politik und E-Sport-Akteuren so wichtig ist: Wird der E-Sport nämlich offiziell als Sport anerkannt, würde damit auch seine sogenannte Gemeinnützigkeit anerkannt. Das wiederum würde bedeuten, dass der E-Sport von Bund und Ländern im Rahmen der Sportförderung finanziell bezuschusst werden könnte. So könnten E-Sportler Vereine gründen, die wiederum anders besteuert werden als Unternehmen und ehrenamtliche Trainer und Mitarbeiter engagieren könnten. Dazu könnten E-Sport-Organisationen ehrenamtliche Bildungsarbeit leisten, aber auch kommunale Räumlichkeiten – beispielsweise Sportstätten – nutzen.
Was alles gemeinnützig und damit förderungswürdig ist, regelt in Deutschland die sogenannte "Abgabenordnung" des Justizministeriums. 26 gemeinnützige Zwecke sind dort vermerkt: die Förderung von Wissenschaft und Forschung, die der Religion oder auch die der Kriminalprävention. Unter Punkt 21 steht "die Förderung des Sports (Schach gilt als Sport)". Schach, aber eben kein E-Sport. Hinter der Frage, ob E-Sport nun Sport ist oder nicht, steht also eine noch entscheidendere: Will die Politik in Deutschland E-Sport und Gaming finanziell fördern und hierbei zumindest in Teilen ehrenamtlich strukturieren?
Ehrenamtliche statt kommerzielle Strukturen
Bereits die vergangene Bundesregierung schrieb 2018 in seinen Koalitionsvertrag, dass sie "den eSport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht" anerkennen wollte. Auch im Vertrag der aktuellen Regierung von 2022 steht: "Wir [...] machen E-Sport gemeinnützig." Nur umgesetzt wurden die Pläne bislang nicht. Vermutlich auch, weil ein solcher Schritt kontrovers wäre.
So gibt es neben den Befürwortern des E-Sports auch diejenigen, die das Zocken – egal, ob in der Freizeit oder als Profi – eben nicht gefördert sehen wollen. Dass mehr Gaming zu weniger Bewegung und Aktivitäten abseits von Schreibtisch und Bildschirm führt, scheint schließlich nur logisch. Auch das Argument von gewaltverherrlichenden Inhalten wird weiterhin oft vorgebracht. Es ist eine Sorge, die Melvin Frank nicht wegdiskutieren will, aber nicht für entscheidend hält. "Gezockt wird sowieso – das ist eine Realität, die man anerkennen muss", sagt er.
Auch Klara Schedlich spricht von der "Lebensrealität junger Menschen". Ihr Gegenargument im Kern: Wenn Kinder und Jugendliche schon zocken, dann wenigstens in einem gesteuerten und ehrenamtlichen Rahmen. "Wenn der E-Sport nicht gefördert wird, dann setzen sich kommerzielle Modelle und Interessen durch", sagt Schedlich. Und obwohl Eintracht Spandau als GmbH selbst ein solches kommerzielles Modell ist, gibt Melvin Frank der Abgeordneten recht. Es sei schließlich "im Interesse der Gesellschaft", wenn gemeinnützige Organisationen und nicht gewinnorientierte Unternehmen "nachhaltige Strukturen" im E-Sport gestalten.
Ein Beispiel könnten, laut Frank, etwa Orte für Jugendliche sein, an denen sie gemeinsam spielen, aber darüber hinaus betreut und geschult werden könnten – etwa in ihren Medienkompetenzen oder mit Blick auf nicht-digitale Ausgleiche zum Zocken. Dazu könnten E-Sport-Vereine Sozialkompetenzen fördern und auch Anlaufpunkt für Kinder, Jugendliche und deren Eltern sein. "Es geht nicht darum, das Zocken gemeinnützig zu machen, sondern die Strukturen drumherum", sagt Frank. Sowohl er als auch Schedlich sehen E-Sport und Gaming als einen Zugang zu Kindern und Jugendlichen, den man nutzen sollte.
Politik plädiert für die Gemeinnützigkeit des E-Sports
Eine zusätzliche Komponente kommt wie üblich noch dazu: die wirtschaftliche. Bereits Ende des vergangenen Jahres berichtete die "Games Wirtschaft" von 120 in Berlin ansässigen Unternehmen aus dem Gaming-Sektor. Und auch nach dem erwähnten "League of Legends"-Finale von 2015 haben weitere, zahlreiche und internationale E-Sport-Turniere in Berlin stattgefunden. Das, so wirkt es, will sich nun auch die Berliner Politik zunutze machen.
So spricht Klara Schedlich beispielsweise von E-Sport-Turnieren in der Max-Schmeling-Halle und anderen der Stadt gehörenden Sportstätten. Diese würden Hotelübernachtungen, Umsätze für die Gastronomie und mehr mit sich bringen, glaubt sie. "E-Sport ist für Berlin ein großer wirtschaftlicher Faktor, den wir nutzen sollten", sagt Schedlich rbb|24 gegenüber. Die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey erklärte vor einigen Wochen beim rbb gar, sie wolle, "dass Berlin die Games-Hauptstadt Nummer 1 in Deutschland wird." Laut Schedlich ist die Anerkennung von E-Sport als Sport und gemeinnützig ein zentraler Schritt hierfür. Auch die regierende CDU spricht sich - in Person von ihrem E-Sport-Sprecher Ariturel Hack - aktuell sehr vehement genau dafür aus.
Es könnte "ganz simpel" sein
Aber wie sähe der Weg zur Anerkennung überhaupt aus? "Eigentlich ist es ganz simpel", sagt Klara Schedlich und erklärt: "Wir müssen uns als Abgeordnete nur einigen. Wir können einen parlamentarischen Beschluss fassen und als Land Berlin E-Sport so als Sport anerkennen." Der E-Sport könnte dann auf die Berliner Sportförderung zurückgreifen – ohne einen Beschluss auf Bundesebene oder gar eine Einigung mit dem DOSB.
Zumindest juristisch und in Berlin wäre die Shakespeare-artige Frage "Sport oder kein Sport?" damit erst einmal beantwortet. Abseits von Paragrafen und Abgabeordnungen hingegen dürften die Diskussionen um die Sportlichkeit von E-Sport und Gaming weitergehen.