Interview | Ex-Cottbuser und -Hachinger Gerhard Tremmel - "Ich würde die Relegation abschaffen"
Gerhard Tremmel stand in der Bundesliga für Cottbus und Unterhaching im Tor. Vor dem Relegationsduell beider Teams erklärt Tremmel, wem er die Daumen drückt, was er von der Aufstiegsregelung hält und warum Pele Wollitz der Richtige für Energie ist.
rbb|24: Herr Tremmel, Sie sind gebürtiger Münchner, standen in der Jugend und später in der Bundesliga im Tor der SpVgg Unterhaching. 2006 kamen Sie nach Cottbus, blieben dort vier Jahre. Hand aufs Herz, welchem Team drücken Sie in der Relegation (Hinspiel am Mittwoch, 20:30 Uhr im rbb Fernsehen (Brandenburg) und im rbb|24-Livestream) die Daumen?
Gerhard Tremmel: Das ist eine schwierige Frage; eher Unterhaching, muss ich sagen. Da liegen meine Wurzeln, das ist meine Heimat gewesen. Ich habe bei Bayern und 1860 München in der Jugend gespielt, meine Familie stammt aus dieser Stadt. Ich wollte immer in München bleiben, das war mein großer Traum. Aber im Leben eines Profis gehört es dazu, die Vereine zu wechseln. Wobei ich sagen muss, ich hatte in Cottbus auch eine schöne Zeit im Laufe meiner vier Jahre dort.
Eine emotionale Verbundenheit mit Energie ist also nach wie vor vorhanden?
Ja, weil ich dort meine beste Bundesliga-Zeit hatte. Im ersten Jahr habe ich kaum gespielt, es war eine extrem schwere Zeit für mich, aber am Ende hat sich alles zum Guten gewendet. Ich hatte zwei tolle Jahre in der Bundesliga, anschließend ging ich mit dem Verein nochmal in die zweite Liga, obwohl ich eigentlich nach Hamburg hätte wechseln sollen. Aber daraus wurde nichts, weil dort Dietmar Beiersdorfer entlassen wurde, von dem ich bereits die Zusage hatte, und so blieb ich Energie ein weiteres Jahr erhalten.
Sie spielten dann auch eine Saison unter Trainer Claus-Dieter Wollitz. Welche Erinnerung haben Sie an ihn?
Jeder kennt Pele Wollitz. Er ist sehr emotional und nimmt kein Blatt vor den Mund. Er versprüht viel Energie in der Umkleidekabine und versucht seine Mannschaft immer permanent zu pushen. Wir beide hatten auch ein sehr gutes Verhältnis. Ich denke, er ist ein guter Trainer, der auch sehr gut zu Energie Cottbus passt.
Was macht die Klubs Unterhaching und Cottbus aus?
Außer, dass beide Bundesliga gespielt haben, gibt es eigentlich kaum Gemeinsamkeiten. Beide hatten zuletzt mit finanziellen Problemen zu kämpfen, aber da gibt es ja mehrere Vereine in der dritten und vierten Liga, die ähnliche Probleme haben. Cottbus ist ein großer Verein des Ostens und Haching im Gegensatz dazu nur ein Vorort von München, der es 1999 geschafft hat, in die Bundesliga aufzusteigen. Das war im Grunde eine einmalige Geschichte. Das wäre so, wie wenn heute Sandhausen in die Bundesliga aufsteigen würde. Einfach unglaublich. Es war klar, dass Haching irgendwann wieder runtergeht und nicht die Power hat, um sich langfristig in der ersten oder zweiten Liga zu halten.
Bei der SpVgg hat man das Gefühl, das ist ein kleiner Verein mit familiärer Atmosphäre, wo nicht alles vom sportlichen Erfolg abhängt. Liegt auch deshalb der Druck in den beiden Relegationsspielen eher bei Energie?
Ja, irgendwie hat man bei Haching fast das Gefühl, sie möchten gar nicht aufsteigen. Vor circa einem Jahr war ich mal wieder dort. Es hat sich nicht allzu sehr verändert im Vergleich zu früher. Man kann dort in Ruhe arbeiten. Der Verein ist für junge Trainer eine sehr gute Plattform. Das hat man jetzt auch gesehen mit Sandro Wagner, der dort wirklich einen guten Job als Trainer gemacht hat. Das muss man ganz klar sagen, weil die finanziellen Rahmenbedingungen dort wahrlich nicht so gut sind.
Sie haben mit Energie Cottbus 2009 selbst Relegation gespielt, damals um den Verbleib in der Bundesliga gegen den 1. FC Nürnberg. Cottbus stieg am Ende ab. Wie haben Sie damals die Relegation erlebt?
Es war eine sehr hohe nervliche Belastung. Wir hatten nicht die beste Saison gespielt und hatten dann über die Relegation nochmal die Chance, in der Bundesliga zu bleiben. Damals hatte ich aber das Gefühl, dass die Mannschaft nicht bereit war für diese Spiele, obwohl ich mit aller Macht die Klasse halten wollte. Doch die Vorzeichen waren nicht gut, um dort als Sieger hervorzugehen, denn die Mannschaft war einfach nicht intakt. Das Hinspiel haben wir dann 0:3 verloren. Einige Transfers waren damals nicht so gut integriert, aber das ist elementar für eine Mannschaft wie Cottbus. Da muss die mannschaftliche Geschlossenheit zu 100 Prozent da sein, sonst hast du keinen Erfolg.
Wie stehen Sie zur Relegation?
Ich würde sie abschaffen, ganz eindeutig. Nehmen wir mal das Beispiel Hamburger SV: Die haben letztes Jahr eine gute Saison gespielt, sind Dritter in der zweiten Liga geworden. Scheitern dann in der Relegation gegen eine schwache Mannschaft von Hertha BSC, die es eigentlich nach den Leistungen nicht verdient gehabt hätte, in der Bundesliga zu bleiben. Jetzt war der HSV wieder in der Relegation und hat es gegen Stuttgart erneut nicht geschafft. Diese Regelung wird dem Sportlichen einfach nicht gerecht. Ich denke, dass das englische Modell wesentlich reizvoller ist: Mit drei direkten Absteigern, zwei Aufsteigern und der dritte Aufstiegsplatz wird dann im Playoff ausgespielt. Das steigert am Ende auch die Wertigkeit der zweiten Liga, weil es definitiv drei Aufsteiger gibt.
In der Regionalliga Nordost steigt momentan ja nicht mal der Meister auf ...
(unterbricht) ... das finde ich auch eine schwachsinnige Regelung. Für mich gehört der Meister in die nächsthöhere Liga. Punkt. Wofür spiele ich denn? Wenn du Meister wirst, musst du einfach aufsteigen. Eine Mannschaft steht die ganze Saison oben und am Ende steigt sie nicht auf, weil sie die Relegation verliert. Das geht so nicht. Vielleicht muss man die Regionalliga auf vier Staffeln reduzieren, aber das ist dann wahrscheinlich wieder eine Frage des Geldes. Ein Meister der Regionalliga sollte aufsteigen. Das hört man ja fast von allen Seiten.
Wer wird am Ende in die dritte Liga aufsteigen, Cottbus oder Haching?
Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Mannschaften zu wenig kenne. Solche Spiele sind immer 50:50-Angelegenheiten, da kommt es viel auf die Tagesform an. Einen Favoriten gibt es aus meiner Sicht nicht.
Sie haben viel erlebt in Ihrer Karriere: Sie gaben im Jahr 2000 völlig überraschend Ihr Debüt in der Bundesliga im Derby gegen 1860, beim legendären 2:0 von Haching gegen Leverkusen am letzten Spieltag standen Sie im Tor, mit Swansea gewannen Sie den englischen Ligapokal in Wembley. Was war Ihr sportliches Highlight?
Es gab viele Höhepunkte, aber der Ligapokal mit Swansea war mit Sicherheit das Größte. Im Sport geht es ja immer darum, etwas zu gewinnen. Bei den Olympischen Spielen sind es Medaillen und im Fußball sind es eben Meisterschaften und Pokale. Solche Titel bleiben aber für viele Profis unerreichbar. Deshalb steht dieser Pokalsieg in England für mich ganz oben.
Herr Tremmel, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Fabian Friedmann, rbbSport.
Gerhard Tremmel wird sowohl am Mittwoch als auch am Sonntag der TV-Experte der rbb|24-Übertragung der Relegationsspiele zwischen Energie Cottbus und der SpVgg Unterhaching sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.06.2023, 12:15 Uhr