30 Jahre "Weisser Ring" - Wer hilft, wenn der Täter verurteilt, aber die Wunden nicht verheilt sind?
Seit 30 Jahren hilft der Weisse Ring Menschen, die Opfer von Verbrechen wurden. Der Verein unterstützt damit diejenigen, die oft schon vor dem Gerichtsprozess allein gelassen werden und auch danach mit Traumata kämpfen - so wie Kerstin Proksch.
Kerstin Proksch geht zögerlich über den Radweg. An einer Stelle, nicht weit vom Ort Maust (Spree-Neiße)entfernt, geht es für sie nicht mehr weiter. "Hier kriege ich Herzklopfen, es geht nicht", sagt sie, sichtlich mit sich kämpfend.
Seit dem 3. August 2019 ist das Leben von Proksch nicht mehr wie es vorher war. An eben dieser Stelle ist sie brutal überfallen worden - von einem Stalker. Der Mann war ihr einstiger Lebenspartner. Dass Proksch die Beziehung beendet hatte, verkraftete er offenbar nicht. Unerbittlich schlug er auf sein Opfer ein, die Folgen spürt sie bis heute.
"Machst du Schluss mache ich dein Leben kaputt"
Einen Lungenriss, Rippenbrüche, einen Jochbeinbruch, ein Mittelgesichtsbruch, ein Fingerbruch, Bissspuren und ein Schädel-Hirn-Trauma erleidet Proksch. Vier Mal wird sie operiert, ihr Gesicht muss rekonstruiert werden. Die psychischen Folgen bleiben weiterhin.
Auch heute noch hat Kerstin Proksch Probleme damit, eine Allee entlang zu spazieren. Ihr Puls gehe dann schneller. "Da ist immer noch diese Angst, es könnte jemand hinter dem Gebüsch vorkommen, hinter einem Baum stehen", sagt sie.
Dass sie von dem Mann überfallen wurde, mit dem sie ihr Leben zuvor verbracht hatte, macht die Sache noch schlimmer. "Ich habe eine Beziehung beendet zu einem Mann, der mich psychisch und gewaltvoll unterdrückt hat", erzählt sie. Der Täter, mittlerweile verurteilt, habe immer zu ihr gesagt: "Machst du Schluss, mache ich dir dein Leben kaputt."
Hilfe vom Weissen Ring - seit 30 Jahren
Fünfeinhalb Jahre muss ihr Ex-Partner im Gefängnis bleiben - wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Täter ist verurteilt, die Wunden beim Opfer, vor allem die seelischen, bleiben aber. Unterstützung erhält Kerstin Proksch während und nach dem Prozess vom Weissen Ring, einem Opferhilfeverein.
Seit 30 Jahren gibt es den Verein in Brandenburg, 19 Außenstellen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten unterhält der Weisse Ring. Zum Jubiläum gratulierte auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). In der Mitteilung wird das Engagement der Vereinsmitglieder gewürdigt, deren Arbeit mitunter belastend sein könne. Ihr Engagement sei "alles andere als selbstverständlich und zugleich unschätzbar wertvoll". Vor allem das Gefühl, nicht allein zu sein, helfe den Opfern von Verbrechen - egal ob nach Einbrüchen, Überfällen, Gewalttaten.
No-Stalking-App entwickelt
Das hat auch Kerstin Proksch nach dem Angriff auf sie geholfen. Ihr Ansprechpartner ist Lothar Pohle, Außenstellenleiter im Landkreis Spree-Neiße - auch heute noch. Proksch und Pohle hätten Gespräche geführt, er habe einfach zugehört, erzählt er. bei den Gerichtsverhandlungen war er dabei und der Verein unterstützte Proksch auch finanziell - mit einem sogenannten Hilfescheck. Der ist für eine anwaltliche oder psychotherapeutische Beratung gedacht.
Der Weisse Ring hat Erfahrung mit solchen Fällen, wie dem von Proksch. Stalking sei ein Kriminalitätsphänomen, das weiter zunehme, so die Landesvorsitzende des Rings, Barbara Richstein. Das Problem bei Stalking-Fällen sei aber die Beweissicherung. Deshalb hat der Verein eine No-Stalking-App entwickelt, mit der mögliche Beweise - also Ton-, Video- oder Fotoaufnahmen - auf einem externen Server gespeichert und so einem Zugriff durch den Täter entzogen werden. Nur gemeinsam mit der Polizei könne auf die Daten zugegriffen werden. Vor Gericht können die Beweise dann verwertet werden, so Richstein. "Wenn der Täter das Handy zerstört, sind die Beweise immer noch da", sagt die Landesvorsitzende.
Richstein hofft, dass die App auch dafür sorgt, dass Verbrechen verhindert werden - eine weitere Aufgabe, der sich der Weisse Ring stellt. "Wir sind im Grunde genommen Lotsen in diesem Hilfesystem", so Richstein.
Mittlerweile ist Kerstin Proksch selbst Mitglied im Weissen Ring. Ohne dessen Hilfe, sagt sie, hätte sie die schwere Zeit nicht überstanden.
Sendung: Antenne Brandenburg, 05.10.2023, 15:10 Uhr