Interview | Babyboomer gehen in Rente - "Wir müssen uns über unseren kollektiven ökonomischen Wohlstand verständigen"

Mi 26.10.22 | 16:47 Uhr
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Symbolfoto: Eine Frau schiebt am 16.09.2018 eine Seniorin im Rollstuhl auf einer Einkaufsstraße in Berlin-Friedenau über eine Ampelkreuzung. Die alte Dame hält dabei eine Tüte in ihrem Schoß (Quelle: dpa / Wolfram Steinberg).
Audio: rbbKultur | 26.10.2022 | Shelly Kupferberg im Interview mit Stefan Schulz | Bild: dpa

Die Babyboomer gehen in Rente - die bisher geburtenstärksten Jahrgänge. Es kommen nicht genug Arbeitskräfte nach, um das auszugleichen. Wieso das nicht nur ein Problem für die Wirtschaft ist, erklärt der Buchautor Stefan Schulz im rbb-Interview.

rbb: Herr Schulz, worin besteht aus Ihrer Sicht das größte Problem, wenn die Babyboomer in Rente gehen?

Stefan Schulz: Wir kennen das Problem noch zu wenig. Es macht uns alle zu Pionieren. Wir sind eine der ältesten Regionen, das älteste Land hier in unserem Einzugsbereich Europa und der westlichen Welt. Wir werden uns die Aufgabe stellen müssen, uns mit unserem eigenen Alter und auch mit den vielen Alten, die kommen werden, zu versöhnen. Kein Land hat uns das bisher vorgemacht - das müssen wir uns jetzt alles erarbeiten. Hoffentlich gelingt es im ersten Versuch.

Sie sprechen von Versöhnung. Welche Konfliktlinien sehen Sie da besonders?

Zum einen werden in den nächsten zehn Jahren ungefähr 18 Millionen Menschen in Rente gehen, aber nur elf Millionen nachrücken. Irgendwer wird diese älteren Menschen, die sich einen Lebensabend in Ruhe verdient haben, versorgen müssen. Das ist die Aufgabe der Jungen. Wir können es dann nicht auf große ökonomische Konflikte ankommen lassen.

Das bedeutet auch, dass wir erst einmal die jungen Menschen selbst wieder mit einer eigenen Perspektive auf ihr eigenes Alter ausstatten müssen. Bisher scherzt man darüber. Man fragt einen jungen Menschen: Hast du schon an die Rente gedacht? Und alle winken eher ab. Das braucht jetzt ein ordentliches Programm. Wir müssen uns wirklich Gedanken darüber machen, wie wir alle wieder mit Perspektive ausstatten.

Wo sehen Sie Lösungsansätze? Was für ein Programm könnte das sein?

Wir müssen uns über unseren kollektiven ökonomischen Wohlstand verständigen und dann auch die eine oder andere Verteilungsfrage klären. Und wir müssen auch da ansetzen, wo wir ökonomisch oder politisch gar nicht weiterkommen. Wir brauchen auch ein neues zivilgesellschaftliches Verständnis davon, wie Versorgungsprobleme aussehen. Das haben wir zum Beispiel bei Corona gesehen, als Nachbarschaftshilfe plötzlich eine Rolle spielte - allein, weil man sah, dass jemand alt und hilfsbedürftig ist, hat man sich angeboten.

Solche Projekte bräuchten wir im größeren Rahmen. Wir brauchen nicht nur eine Neuverteilung von Geld, sondern auch die Erschaffung neuer Möglichkeiten von Geselligkeit. Davon können dann alle profitieren. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass wir alle gut durch die Zeit kommen.

Zur Person

Der Soziologe Stefan Schulz, Autor des 2022 erschienenen Sachbuchs "Die Altenrepublik" in Frankfurt am Main (Quelle: Presse).
Presse

Soziologe, Journalist und Autor - Stefan Schulz

Schulz hat als Journalist u.a. für die FAZ geschrieben, macht inzwischen aber vor allem Podcasts. In seinem wöchentlichen Format "Fernsehpodcast" schaut und diskutiert er mit Gästen deutsche, britische und amerikanische Abendnachrichten. Außerdem moderiert er mit Wolfgang M. Schmitt "Die Neuen Zwanziger" mit rund 50.000 regelmäßigen Hörern.

Sie haben es bereits angedeutet: Wenn zu wenige Menschen nachrücken, ist die Lastenverteilung ungerecht. Die jüngere Generation muss also unglaublich viel arbeiten, um das aufzufangen, was als Vakuum nun wirtschaftlich dasteht. Da kann man sich wahrscheinlich weniger um die Familienplanung kümmern. Wie sehr ist das ein Problem?

Das ist natürlich eines der größten Probleme. Es gibt viele Versuche, über Lebensarbeitszeit zu reden oder die Wochenarbeitszeit so auszudehnen, um die große Lücke in der Produktivität zu füllen. Wenn das Erwerbspersonenpotenzial um 20 Prozent schrumpft, kann man dann einfach 20 Prozent mehr Arbeit von jedem verlangen? Nein, das kann man nicht.

Wir wollen, dass die Jungen auch noch eigene Kinder in die Welt setzen, ihr eigenes Leben gestalten und sich nur nicht nur ökonomisch den Alten verschreiben, um deren Rente zu erwirtschaften. Meine Idee ist, dass wir - wie wir es mit dem Klimawandel machen - den demografischen Wandel politisch wirklich ernst nehmen: große Demografie, Gesetzespakete schnüren, uns wirklich Gedanken machen, wie Arbeitsverträge, Mietverträge und alle weiteren Verträge aussehen müssen, damit ein Kinderwunsch nicht immer als Allerletztes erfüllt wird.

Damit muss die eigene Erwerbsbiografie und das eigene Wohnen so gestaltet werden, dass man sich dann auch noch Kinder zutraut - dass man den Kinderwunsch nicht weiter kollektiv unterdrückt. So unterdrückt, wie wir es in Deutschland gerade haben: mit einer Geburtenzahl von 1,4 Kindern derzeit. Das liegt weit unter dem, was sich die Deutschen eigentlich wünschen.

Sie schreiben von 1,8 Kindern pro Frau - das wäre das, was Sie fordern. Sie schreiben in Ihrem Buch auch, dass der demografische Wandel nicht nur ein Problem für die Wirtschaft, sondern auch für unsere Gesellschaft und die Demokratie sei. Warum?

Die Demokratie ist nach 150 Jahren politischer Ideengeschichte und auch echter gelebter Praxis das politische Modell, auf das wir uns verständigt haben und das wir als das Beste ansehen - völlig zurecht. Aber die Demokratie ist eben am Ende auch nur das Ergebnis einer mathematischen Gleichung. Wir wählen, wir zählen durch, und dann verteilen wir die Mandate und Sitze in den Parlamenten.

Wenn wir Bundesländer wie Sachsen haben, wo die unter 30-Jährigen demnächst unter zehn Prozent ausmachen und andere Bundesländer, in denen es demnächst mehr Pflegefälle gibt als Wähler unter 30 Jahren oder 60 Prozent der Wähler über 50 Jahre alt sind, dann haben wir eine mathematische Schieflage, von der wir noch nicht wissen, wie wir die ausgleichen, bei der wir einfach nur feststellen, dass die Demografie die Demokratie schachmatt setzt.

Wir haben wenige Programme dagegen. Wir könnten über ein Familienwahlrecht nachdenken, den Kindern auch eine Stimme geben, ausgeübt beispielsweise über die Eltern. Wir brauchen vielleicht neue Arten von Wahlkämpfen, damit sich auch die Themen durchsetzen können, die nur von einer jüngeren Minderheit als wichtig empfunden werden - wie zum Beispiel der Wohnpreis. Wir haben sehr wenig Wahlkampf zum Thema Wohnpreis, obwohl die Wohnpreis-Inflation seit zehn Jahren über zehn Prozent liegt - und wir wissen ja, wie uns eine Inflationsrate von zehn Prozent unter Stress setzt.

Das sind alles Themen, die in Wahlkämpfen liegengeblieben sind. Vielleicht finden wir einen Modus, neue Wahlkämpfe mit neuen Themen zu führen, weil wir an der Demokratie selbst eigentlich nicht rütteln wollen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Shelly Kupferberg, rbbKultur. Es handelt sich um eine redigierte Fassung. Die Audiofassung können Sie anhören, wenn Sie oben links auf das Symbol im Bild klicken.

Sendung: rbbKultur, 26.10.2022, 7 Uhr

35 Kommentare

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  1. 35.

    Also verbeamtete Lehrer dürfen sich wirklich nicht beschweren. Das verheiratete Lehrerehepaar (2x A13) mit 2-3 Kindern dürfte in Brandenburg zu den Spitzenverdienern zählen. Bei Feuerwehrleuten im mittleren Dienst sieht es allerdings anders aus.

  2. 34.

    Ich will die Höhe der Pensionen nicht herabsetzen, sondern frage mich, warum Beamte nichts für Ihre eigene Pension dazuzahlen müssen.
    Gründlicheres Lesen täte Ihnen gut.

  3. 33.

    Das Beamte keine Beiträge zahlen ist dem Alimentationsprinzip geschuldet.

    Wenn .an die Pensionshöhe der Beamten herabsetzt, muss auch die Höhe der gesetzlichen Rente völlig neu berechnet werden. Dann gäbe es viel weniger als die 48%

    Simone, etwas mehr Ahnung täte Ihnen gut

  4. 32.

    Sie vergessen, dass Beamte ihre Pension ab dem ersten Euro voll versteuern müssen.

    Was soll das Beamtenbashing? Sie vergleichen Arbeiter und Angestellte mit Beamten. Dieser Vergleich hinkt gewaltig

    Wenn Beamte Beiträge in die gesetzliche Versicherung einzahlen müssten: Sie würden keinen Beitrag zahlen müssen und weiterhin 71% Pension erhalten.

    Das wäre also gut für die Rentenversicherung?

    Jeder kann sein Leben selbst gestalten und sich einen anderen Job suchen

  5. 31.

    Unter unseren Bekannten befinden sich erheblich mehr Studierte als Handwerker, die ein Haus besitzen. Etliche Handwerker haben es dann auch noch geerbt. Meine Ärzte haben fast alle ein Haus meine Frau hat auch studiert und wir haben ein Einfamilienhaus.

  6. 30.

    Sie machen ein neues Thema auf. Die gute Pension ist ein Lockmittel für diese Art des Lebensweges. Sie ist erarbeitet, wenn man sie erreicht hat. Was ist für „Simone“ günstiger? Die Pensionen oder die Beiträge für Alle während der Lebensarbeitszeit? (Pensionen erreichen nicht alle)

  7. 29.

    „Es muss unter anderem bei den Renten angesetzt werden“
    Wenn Sie das Leistungsprinzip noch konsequenter anwenden wollen, was die Einzahlzeit, die Einzahldauer und die Einzahlhöhe betrifft, dann finden Sie auch Unterstützer. Wenn Sie allerdings wegnehmen wollen, ist die Gegenwehr stark.

  8. 28.

    Versorgungsbericht des Bundesinnenministeriums: 2019 bekamen Beamte durchschnittlich 3.160 € Pension pro Monat, abzgl. private KV und Steuern. 6.5 % der Beamten erhielten sogar mehr als 5.000 €. Gesetzliche Rentner, die in die Rentenkasse einzahlen, 50% der Arbeitnehmer, 50% der Arbeitgeber, müssen mit deutlich weniger Rente auskommen als Beamte, die keine Beiträge für ihre Altersvorsorge zahlen müssen.

  9. 27.

    Ich- seit einem Monat in Altersrente nach mehr als 45 Jahren in Beschäftigung verstehe so einige Kommentare nicht.
    Es ist doch jedem selbst gewählt wie er sein Leben gestaltet.
    Dann muss man aber sich auch bewusst sein, das ich im Alter entweder vom Vermögen leben kann oder von einer geringen Rente.
    Ich habe in den letzten 17 Jahren in meiner Arbeit es erleben dürfen- fehlende Motivation, kein Interesse sein Leben zu gestalten und entsprechende Unterstützungen (Qualifikationen) anzunehmen.

  10. 26.

    Sie wollen mehr Steuern zahlen? Was meinen denn Sie, wer die fehlenden Beiträge des Arbeitgebers übernimmt? Und im Land Brb. wurde das Gehalt bei der Verbeamtung gekürzt, damit Netto nicht mehr raus kommt. So ca. 7%. Diesen Anteil müssen Sie auch noch übernehmen. Und wenn Sie jetzt sagen, die haben ja genug (was immer das ist, genug), dann reden Sie mit Polizisten, Feuerwehrleuten, Lehrern usw., also die Mehrzahl der Beamten. Viel Spaß beim Argumentieren und zahlen. Machen Sie Ihr Geldbeutel auf, nicht nur für das Klima.

  11. 25.

    Wissen Sie wenn ich Ihren Kommentar so lese, dann entsteht der Eindruck gebt jedem Rentner 700 € und Essenarken und lasst ihn fleißig Flaschen sammeln. Sind Sie der Meinung so löst man das Problem?
    Sind Sie der Meinung dass wenn ich 46 Jahre eingezahlt habe und 1700 € brutto kriege dass ich da reich bin? Ab 2026 wird die Rente zu 100% versteuert, vielleicht denken Sie mal daran.

  12. 24.

    Ich gebe Ihnen recht. Der Sozialstaat muss reformiert werden. Das weiß man schon seit 40 Jahren. Aber: Es muss unter anderem bei den Renten angesetzt werden und das traut sich keine Regierung. Denn schließlich sind die Rentner eine starke Wählerschaft, mit denen man es sich nicht verscherzen möchte.

  13. 23.

    Wie wäre es, wenn endlich ALLE, die arbeiten, in die Rente einzahlen? Also z. B. auch die Beamten. Deren Pensionen sind nicht ohne, aber selbst zahlen sie nichts ein.

  14. 22.

    Babyboomer gehen in Rente. Und das Schlimmste für unsere umlagebasierten Sozialsysteme ist, dass die Politik dass schon weit vorher hätte sehen können und immer noch an alten Systemen festhält. Schnell sind hier Reformen gefragt, sonst wird der bestehende ineffiziente Sozialstaat in naher Zukunft unleistbar...

  15. 21.

    Eine Möglichkeit wäre die Zugangszahlen zu den Unis zu begrenzen. Quasi Berufsausbildung und Studium haben das gleiche Verhältnis an verfügbaren Plätzen. Sind die Plätze an den Unis belegt, bleibt nur sich eine passende Berufsausbildung zu suchen.

  16. 20.

    Hallo Lisa, da haben Sie recht, lesen bildet! Ich lese deshalb auch gerne! Wo hat besagte Karin denn von 2 Kindern geschrieben? In diesem Thread hier jedenfalls nicht. Ich bin nicht in der Lage alle Kommentare im rbb zu lesen und mir aus den Vornamen dann Zusammenhänge zusammen zu reimen. Zwischendurch muss ich immer auch mal arbeiten ;-)

  17. 19.

    "Zukunftsgefährdung" die Meinung kann man vertreten - muss man aber nicht.
    Im Klartext wird gesagt, dass die gleiche Anzahl an Arbeitsplätze auch in Zukunft benötigt wird.
    Angesichts des technischen Fortschrittes (Automatisierung, DIY) und wirtschaftlichen Veränderung/Schrumpfung halte ich das für eine falsche Hypothese. Den Arbeitplatz des Tankwärters aus dem 50ern gibt es heute auch kaum noch.
    Und was war z.B. mit der "Angst" vor Job-Verlusten angesichts der "Digitalisierung"? Gibt es das nicht mehr?
    Daher ist das für mich 0 nachvollziehbar. Nachwuchs für den "(mutmaßlichen) wirtschaftlichen Erhalt"? Nö

  18. 18.

    Muss ich Ihnen wirklich erklären, was ein Kredit ist? Ich habe nirgendwo Ihre 400 Millionen finden können. Selbst wenn die Zahl richtig wäre, wie wollen Sie mit nicht einmal 5 Euro pro Kopf und Jahr das Demographieproblem dieser Gesellschaft lösen?

  19. 17.

    Der Spruch ! Der 35 jährige Arbeitslose Studierte Sitz zu Hause und wartet auf dem 70 jährigen Klempner. In der heutigen Zeit will keiner mehr Handwerk lernen…nur ,ich kenne kaum Studierte ,die Haus und Hof haben. Ich kenne viele 70 Handwerker die ein Häuschen oder Eigentum haben, dass gibt es aber nicht wenn ich zu Hause sitze.

  20. 16.

    Der Spruch ! Der 35 jährige Arbeitslose Studierte Sitz zu Hause und wartet auf dem 70 jährigen Klempner. In der heutigen Zeit will keiner mehr Handwerk lernen…nur ,ich kenne kaum Studierte ,die Haus und Hof haben. Ich kenne viele 70 Handwerker die ein Häuschen oder Eigentum haben, dass gibt es aber nicht wenn ich zu Hause sitze.

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