Berliner Stadtquartier "Am Tacheles" - Vom Kunsttempel zum Glanzpalast

Sa 22.04.23 | 11:09 Uhr | Von Anna Bordel
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Archivbild: Der Skulpturengarten mit der Rückfront des Tacheles am 10.10.1995.(Quelle:dpa/D.E.Hoppe)
Bild: dpa/D.E.Hoppe

Da, wo einst Künstler ihre Ideen erschufen und sich feierten, entsteht nun ein Berliner Luxuswohnquartier. Die Kunst, die bleibt, sind jetzt die Gebäudekreationen der Star-Architekten. An die Wurzeln erinnert vor allem die neue Ladenzeile. Von Anna Bordel

Frauen mit eleganten Hüten am Rande einer Galopp-Rennbahn, die Nahaufnahme eines Fußes, der in einen High Heel gleitet, eine Cricket-Kugel, die durch perfekt geschnittenes Gras rollt - die Szenen entstammen nicht aus einem Intro einer Serie zur britischen Upper-Class, sondern aus dem Imagefilm des neuen Berliner Stadtquartiers "Am Tacheles".

Was einst Kulisse für Performances, Theater und Tanz war, weicht nun Luxusapartements, Büroflächen und Geschäften, umgebaut von mehreren renommierten Architektenbüros, beauftragt vom Investor Aermont Capital. Die Höfe zieren akkurat frisierte Buchsbäume, auf der Website wird der erste vollautomatisierte Fahrradsafe Berlins sowie ein Hunde-Waschplatz angepriesen.

Es ist nicht so, dass das neu gebaute Stadtquartier am Tacheles nicht in die Umgebung passt. Eher viel zu gut. Oder genau richtig gut. Je nachdem, ob man dem alten Kunsthaus und Partyquartier nachtrauert oder nicht. Den hohen Fensteranteil, die Stockwerke-Zahl und das Raster der zur Oranienburger Straße zeigenden Fassaden haben die Architekten wie Grüntuch Ernst und Herzog & de Meuron, die auch die neue Elbphilharmonie in Hamburg schufen, vom historischen Gebäude beibehalten. Ansonsten entstehen auf den rund 85.000 Quadratmetern Gebäude, die mit dem, was dort vorher stand, wenig zu tun haben.

Noch ist das Gelände eine Baustelle. Ein Bauzaun umschließt es, durch Lücken lässt sich die noch unfertige Ladenzeile erkennen, in der mal laut Website 48 "ausgewählte" Einzelhandel-Läden und Restaurants Platz finden sollen. Durch ein Tor fährt ein Laster mit Bauschutt hinaus.

Der Wandel des "Tacheles" in der Berliner Oranienburger Straße

Großteil der Wohnungen bereits verkauft

Auf der Website sind dennoch Eindrücke von dem zu bekommen, was da entstehen soll. Futuristisch anmutende Fassaden, mal wellen- mal diamantenförmig. Auch die Preise sprechen für sich. Für im Schnitt 15.000 Euro pro Quadratmeter verkauft der Eigentümer die Wohnungen, darunter gibt es Ein-Zimmer-Apartements bis hin zu 300-Quadratmeter-Lofts. Von den 280 Wohnungen, die entstehen, sind laut der Unternehmenssprecherin Cathérine Spelter 171 Eigentumswohnungen, die restlichen werden vermietet. Bislang seien knapp 70 Prozent davon bereits verkauft.

Saftig teuer, was einst unterirdisch billig vom Land abgegeben wurde. 1998 wurde das Gelände für 2,8 Millionen Mark vom Land Berlin und für 65 Millionen Mark vom Bund an die Fundus-Gruppe des Investors Anno August Jagdfeld verkauft. Der verkaufte es 2014 weiter an die Vermögensverwaltung Perella Weinberg Partners, aus denen mittlerweile Aermont Capital hervorgegangen ist.

Was von der Kunst bleibt

Zwischen 1990 und 2012 lebte das Künstlerkollektiv Tacheles in den Räumen. Einer von ihnen war Ludwig Eben. Er betreibt mittlerweile den Humboldthain-Club. Was jetzt am Tacheles entsteht, kann er nicht fassen: "Sie haben das Tacheles abgerissen und jetzt nennen sie das neue Quartier trotzdem 'Am Tacheles'". Er weiß, dass im Tacheles auch früher nicht alles rund lief. Es gab Intrigen und Irre, wie er sagt. Vor allem am Ende, als es Streit mit den Investoren um die Räumung gab.

"Auch von der Kunst war nicht alles Weltklasse, aber ab und zu hat da ein Stern ganz hell gefunkelt", erinnert Eben sich. Kunst sei ja etwas, das nur schwerlich innerhalb eines Büro-Jobs erschaffen werden könne, sondern in Werkstätten und Diskussionen, im Austausch mit anderen Künstlern und zu allen Tages und Nachtzeiten.

Kunst soll laut dem Eigentümer auch weiter eine Rolle spielen. Damit könnte das schwedische Fotomuseum "Fotografiska" gemeint sein, das die Räumlichkeiten bezieht. Unternehmenssprecherin Spelter unterstreicht aber auch: "Das neugestaltete Stadtquartier stellt durch die einzigartigen Handschriften der Architekten und Gestalter für sich ein künstlerisches Angebot dar". Ein paar kunstvolle Graffitis aus alten Zeiten bleiben offenbar auch erhalten.

Von der Kunst war nicht alles Weltklasse, aber ab und zu hat da ein Stern ganz hell gefunkelt.

Ludwig Eben, Ex-Mitglied des Tacheles-Kollektivs

Wollen viele Käufer nur ihr Geld anlegen?

Berliner Künstler können sich an dem Ort aber nicht mehr ausleben. Ohnehin scheint die neue Bewohnerschaft des Quartiers eher international. Vier Unternehmen werden Spelter zufolge die Büroräume beziehen, darunter der Streaming-Dienst Netflix sowie der US-Pharmakonzern Pfizer.

Die Website auf der die Wohnungen angepriesen werden, erklärt Berlin mit Touri-Fakten für Menschen, die Berlin bislang aus der Ferne wahrgenommen haben. Berlin als Stadt mit 53 Seen und 70 Millionen Currywürsten im Jahr, heißt es da.

Das Angebot richtet sich explizit nicht nur an jene, die einmal vorhaben, in die Wohnungen einzuziehen, sondern auch an jene, die ihr Geld anlegen wollen. "Da die Bevölkerung schneller wächst als Wohnungen zur Verfügung stehen, ist die Leerstandsquote mit 0,9 % besonders niedrig", steht auf der Website. Aktuell geht der Investor aber davon aus, dass die meisten Käufer selbst einziehen werden. 80 Prozent hätten vor, die Wohnungen selbst zu beziehen, so Spelter.

In einem rbb-Beitrag von 2019 äußerten sich Bezirksvertreter euphorisch über das neu entstehende Quartier. Derzeit möchte sich vom Bezirk Mitte - auch nach mehrmaligen Nachfragen - niemand dazu äußern, ob das neue Quartier ein Zugewinn für die Berliner ist.

Ab Juli sollen laut Unternehmenssprecherin die ersten Bewohner einziehen. Die Läden des Quartiers sind jedenfall nicht nur für sie, sondern für alle Interessierte zugänglich, so die Sprecherin. Auch hier eine Rückkehr zu der Geschichte des Geländes: 1908 wurde das Gebäude gebaut - als Einkaufs-Passage.

Beitrag von Anna Bordel

52 Kommentare

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  1. 52.

    Ich arbeite in der Gegend und laufe täglich an der Baustelle vorbei. Ich freue mich, wenn das Tacheles eröffnet und bin gespannt, welche Firmen und Gesschäfte sich hier anfinden werden.

  2. 51.

    Geiles Objekt, wirklich.

  3. 50.

    Ich freue mich über das neue Quartier! Es entstehen dringend benötigte Wohnungen, das schöne Kaufhausgebäude bleibt erhalten und mit Grafiska bekommt die Oranienburger wieder ein spannendes Fotografiemuseum, nach dem die C/O-Berlin in die City West abgewandert ist.

  4. 48.

    " Becker " Investoren sorgen dafür, dass die Stadt Berlin überhaupt überleben kann. Investoren schaffen Arbeitsplätze und schaffen Wohnraum. Die Politik sorgt heute schon dafür, dass Investoren auch schon etliche " Sozialwohnungen " bereitstellen müssen, um überhaupt eine Baugenehmigung zu bekommen. Wenn ich immer diesen sozialistischen Einheitsbrei hier lese, von gewissen Forumsteilnehmer, muss ich mich wundern, dass Berlin überhaupt noch Investoren findet.

  5. 47.

    Toll neuer Wohnraum...es werden durchgehend Wohnungen und Häuser gebaut, nur eben alles Eigentum und unglaublich teuer. Weil der Markt es Grade hergibt. Investoren sind wi Heuschrecken, fressen alles nieder und ziehen weiter zum nächsten heißen Ding.

  6. 46.

    Endlich ist diese häßliche versiffte Ruine weg und es ist was vernünftiges draus entstanden, Berlin braucht doch Wohnungen, und die sind auch noch schick!

  7. 45.

    So ein Quatsch! Gentrifizierung ist reaktionär, nämlich ein Rückfall ins Mittelalter wo sich Reiche alles erlauben konnten.

  8. 44.

    Die Welt dreht sich, immer weiter, ob du mitmachst oder nicht.
    Auf das Alte zu bestehen, ist zu mindestens Konservativ, wenn nicht gar Reaktionär.

  9. 43.

    Aber bleiben wir im Rahmen unserer Verfassung. Und da sind wir bei Ihren Vorstellungen von Freiheit nicht mehr. Das war Inhalt meines Hinweises.

  10. 42.

    Ja, ist lange her, genau deswegen war Berlin interessant. Und als es dann alle entdeckt haben, weil es in jedem Reiseführer stand, ab da ging es leider bergab, schade.

  11. 41.

    Ach ja, das Tacheles. War schon schön. Ob sich noch jemand an den Hype um die Installation dieser alten MIG 21 erinnern kann? Oder die Pyromania Arts oder Mutiod Waste oder ... ach egal. Sowas hat Berlin mal interessant gemacht und so etwas fehlt. Einkaufstempel und Luxusbuden gibts dagegen genug. Frei nach "Juli" ... war 'ne "Geile Zeit".

  12. 39.

    Der Bauherr ist an den Bebauungsplan gebunden.
    Die von Ihnen postulierte Freiheit gibt es nur in diesem normativen Rahmen.

  13. 38.

    "Dieses Machwerk wurde RRG genehmigt. " Deutsche Sprache - Schwere Sprache.

    "In einem rbb-Beitrag von 2019 äußerten sich Bezirksvertreter euphorisch über das neu entstehende Quartier. Derzeit möchte sich vom Bezirk Mitte - auch nach mehrmaligen Nachfragen - niemand dazu äußern, ob das neue Quartier ein Zugewinn für die Berliner ist."

  14. 37.

    Na dann kann die Gentrifizierung munter weitergehen. Die Zeche bezahlt die arbeitende Bevölkerung und nicht etwa irgenfwelche Superreichen die solche häßlichen Kästen als Steuersparmodell mißbrauchen werden.

  15. 36.

    Genitiv ins Wasser, denn ist Dativ!!

    Also schön aufpassen bei einer evtl. Flussdurchquerung auf der Suche nach anderen Ufern ;)

  16. 35.

    LorenzoPrenzlauer BergSamstag, 22.04.2023 | 11:43 Uhr
    Antwort auf [Martina] vom 22.04.2023 um 11:07
    "Sie wollen uns doch nicht ernsthaft Glauben machen, (...)."

    Nein. Das möchte ich natürlich nicht. Da müsste ich mich ja Ihrer undifferenzierten Grundhaltung anschliessen.
    Die (Sozial)Wohnungs- und Stadtentwicklungspoltik der GRÜNEN befeuert eher Gentrifizierung und Verdrängung von ökonomisch eher nicht so Leistungsfähigen.
    Während DIE LINKE programmatisch und auch praktisch Politik nachweisen kann, die sich gegen solche Folgen wendet. Zum Beispiel hat DIE LINKE Berlin notorisch hilflos wedelnden Parteifunktionären der CDU, FDP, SPD, Grünen via Bande und Mietendeckelgesetz durch das Verfassungsgericht ins Pflichtenheft schreiben lassen: Soziales Wohnen-Politik ist Sache der Bundesregierung. Die aber interessiert ihre Pflicht gar nicht.
    Wieso interessieren Sie Tatsachen weniger, als Ihre Phantasien, was DIE LINKE machte, wäre sie Bundesregierung?

  17. 34.

    Anmerker Samstag, 22.04.2023 | 12:13 Uhr
    Antwort auf [Martina] vom 22.04.2023 um 11:07
    "Dieses Machwerk wurde RRG genehmigt."

    Das ist falsch. Kann jeder schon mal bei Wikipedia nachlesen. Der gültige Bebauungsplan fällt in die Zeit des CDU-SPD-Senats.
    Aber keine Ahnung welches Interesse Sie haben. Denn FDP, CDU, Immobilien-SPD, grosse Teile der Grünen - ganz rechts unten AfD - sie alle stehen im Einklang mit solchen Ergebnissen im Städtebau.
    Wie ihre praktische Politik zeigt.
    Zu welchem Zweck wollen Sie diesen Umstand verschleiern?
    Nur um mal was gegen RRG sagen zu können?
    Das können Sie doch auch so. Gibt genug berechtigte Kritik an der Politik von RRG - gerade im Städtebau.

  18. 33.

    Manch eine(r) von den Grünen schon.
    Aber die haben nix zu sagen...
    Und die Linke?
    Schwer zu sagen, da gibt es auch flotte Porschefahrer...

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