Krise bei Kiezläden - Berliner Spätis stehen auf Kleinanzeigen-Portal zum Verkauf

Sa 02.12.23 | 13:18 Uhr | Von Hasan Gökkaya
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Symbolbild: Die Leuchtschrift an einem "Späti" strahlt in einer Berliner Straße. (Quelle: dpa/W. Steinberg)
Bild: dpa/W. Steinberg

Im Internet gibt es nun auch Berliner Spätis zu kaufen. Was amüsant klingt, ist für den Verein Späti e. V. ein Alarmsignal. Wegen eines Verbots und fehlender Unterstützung durch den Senat drohe vielen Läden das Aus. Von Hasan Gökkaya

Auf dem Verkaufsportal "Kleinanzeigen" (früher eBay Kleinanzeigen) kann man alles mögliche kaufen - und neuerdings auch Spätis: Jene Kiezläden, die ein Stück Berliner Geschichte geworden sind, die gefühlt an jeder Ecke der Stadt stehen, die Bier, Sekt, Kaugummis, Ketchup, Tiefkühlpizzen, Chips und andere Produkte auch noch am späten Abend verkaufen.

"Attraktive Spätkauf-Einheit mit 75 m² Fläche verfügt über Laufkundschaftsverkehr", heißt es in einer Anzeige. In einer anderen Annonce wirbt der Verkäufer für seinen Späti, der "im Herzen des Gräfekiezes" liege. Der Preis für die Übernahme inklusive neuem Kassensystem, Kühlschränken, Regalen und Tresen: 45.000 Euro. Der neue Besitzer muss dann noch monatlich 1.800 Euro Miete abdrücken.

Wieder eine Anzeige weiter steht ein geräumiger Spätkauf zum Verkauf. Dieser verfüge über eine "sehr loyale Stammkundschaft". Der Preis für die Übernahme: "VB", was wohl für Verhandlungssache stehen soll. Die Miete? 1.500 Euro monatlich, fix.

Spätis, samt Inventar, zu kaufen im Internet, ab sofort. Alper Baba erkennt darin ein schlechtes Zeichen: "Viele sind am Ende", fasst er die Lage zusammen.

Spätis dürfen an Sonn- und Feiertagen (eigentlich) nicht öffnen

Baba kennt sich aus, er ist nicht nur Spätibetreiber, sondern auch Vorsitzender des Vereins Späti e.V., der sich für die Interessen der Berliner Spätis einsetzt und nach eigenen Angaben 200 Mitglieder zählt. "Seit der Pandemie rufen häufig Spätibesitzer bei mir an, um mir Bescheid zu geben, dass sie bald aufhören."

Der Grund dafür seien zum einen die gestiegenen Kosten; Energie, Inflation, Miete. Und ein bisschen auch die Lieferdienste. Zum anderen aber, so der Vorwurf: Die fehlende Unterstützung des Senats. "Solange Spätis an Sonn- und Feiertagen, also den umsatzstärksten Tagen, nicht öffnen dürfen, haben wir keine Chance", sagt Baba.

Worauf Baba hinaus will, ist das Berliner Ladenöffnungsgesetz. Spätis dürfen demnach in Berlin nur von Montag bis Samstag öffnen. Sonntags können nur spezielle Verkaufsstellen geöffnet haben, dazu gehören Tankstellen, Apotheken und Backgeschäfte, aber nicht Spätis. "Späti e.V." fordert deshalb seit Jahren, Spätverkaufsstellen mit Tankstellen gleichzustellen.

Der Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB), wo auch der Verein Mitglied ist, unterstützt den Vorschlag. "Wir sind dafür, dass der Einzelhandel generell an Sonntagen öffnen darf, wenn dies gewünscht wird", sagt HBB-Geschäftsführer Phillip Haverkamp. Er zählt die Spätis ausdrücklich dazu und spricht von unfairen Bedingungen, da Tankstellen an Sonntagen offen haben und neben Kraftstoff durchaus Produkte anbieten, die sonst im Supermarkt zu finden sind.

Verein schätzt: 800 Spätis in Berlin

Führt dies dazu, dass die Spätis in Berlin aussterben? Wie viele Spätis es in Berlin gibt, weiß niemand genau, weil Spätis keine offizielle Wirtschaftseinheit sind. Und auch, weil es bei Spätis eine schnellere Fluktuation gibt als bei Supermärkten oder Tankstellen. "Spätibetreiber können im Grunde ihren Mietvertrag kündigen und am selben Tag abends das Licht ausmachen", sagt Haverkamp.

In seiner Bewertung beruft er sich auf eine Schätzung des Vereins Späti e.V., wonach die Zahl der Spätis seit 2016 um 50 Prozent zurückgegangen ist. Der Vorsitzende Baba schätzt konkret, dass von den einst 2.000 Spätkaufs heute nur noch 800 übrig sind.

Den dargestellten Rückgang hält der HBB für realistisch, da es generell einen Rückgang im Einzelhandel gebe - betroffen seien vor allem kleinere und inhabergeführte Geschäfte, wie Spätis. Bundesweit geht der Handelsverband davon aus, dass bis Ende dieses Jahres 9.000 Geschäfte im Einzelhandel verloren [einzelhandel.de] gehen.

Auf einen Anruf hin bei zwei Spätibetreibern, die ihre Läden auf "Kleinanzeigen" anbieten, gibt es seitens der Anbieter wenig Interesse an einem Gespräch mit rbb|24. Vielleicht haben sie keine Lust, vielleicht wollen sie sich das Geschäft nicht schlecht reden und damit den Verkauf gefährden.

Manche Spätis verwandeln sich sonntags zu Gaststätten

Wer in Berlin sonntags unterwegs ist, wird allerdings merken, dass längst nicht alle Spätis zu haben - trotz Verbot. Der Grund hierfür ist meistens ein Trick, auf den Spätibetreiber seit einigen Jahren zurückgreifen. Aufgrund einer Klage gegen das Bezirksamt Berlin-Mitte entschieden Gerichte, dass Gaststätten sonntags öffnen dürfen - und eben dabei so aussehen dürfen wie ein Späti. Heißt, die Spätis fungieren an Sonntagen als Gaststätten. Sie sind dann eine Art Mischbetrieb, bestehend aus einem Einzelhandel, der Butter verkauft, und einer Gaststätte, die Bier und Bockwurst anbietet. Dass beide Betriebe zufällig in derselben Räumlichkeit sind, sei nicht verboten, urteilten die Gerichte damals.

Damit die Ordnungsämter die Spätibesitzer an Sonntagen in Ruhe lassen, müssen die jedoch einige Voraussetzungen erfüllen. Da dies nicht immer möglich sei, könnten längst nicht alle Spätis davon profitieren, so der Verein Späti e.V. "Vor allem kleine Spätis haben haben nicht die Möglichkeit, den erforderlichen 'Gaststättencharakter' herzustellen. Meistens fehlt ihnen schlicht der Platz im und vor dem Späti, um genügend Stühle und Tische aufzustellen", sagt Baba. "Damit allen geholfen werden kann, hilft nur die Gleichstellung von Spätis mit Tankstellen", wiederholt er. Und wenn das nicht passiert? "Viele junge und alte Menschen, die jahrelang in Spätis gearbeitet haben, werden zum Jobcenter rennen. Wie sollen sie ohne Ausbildung, Abitur oder Studium heute Arbeit finden?", so Baba.

Kai Wegner kann nicht helfen

Dass die Forderung der Spätibetreiber umgesetzt wird, ist unrealistisch. Der Senat betonte in der Vergangenheit gegenüber rbb|24, dass mehr Spielraum im Ladenöffnungsgesetz nicht möglich sei, da dies gegen höherrangiges Recht verstoße.

Vielleicht ist sich Baba dessen inzwischen bewusst, und so hat er noch eine letzte Schelte an den Senat: "Ich habe dem Regierenden Oberbürgermeister Kai Wegner zwei Briefe geschrieben. Er hat mir geantwortet, dass er nichts tun könne. Als er unseren Verein besuchte, versprach er, sich für unsere Rechte einzusetzen. Das war natürlich vor der Abgeordnetenhauswahl."

Sendung: rbb 88.8, 02.12.2023, 17 Uhr

Beitrag von Hasan Gökkaya

111 Kommentare

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  1. 111.

    Wenn Miete bezahlt werden muss, ist das doch gar kein Verkauf, sondern nur ein Auszug! Den müsste man dann wohl kaum inserieren. Es sei denn, dass der Vermieter einen würdigen Nachfolger für den gekündigten Laden sucht. Der Späti, der dann auszieht, kann aber wohl kaum darauf hoffen, dass der Neumieter den Späti mit Inventar übernehmen will. Vielleicht ist der Nachmieter ein Friseur, ein Restaurant oder eine Musikschule ... . Der alte Mieter wird wohl seine Sachen mitnehmen müssen. Das ist bitter!

  2. 110.

    Es geht doch nicht darum ob man diese braucht oder nicht. Es geht nur wieder einmal darum etwas zu verbieten.
    Und sie können gern 24/7 entspannen aber es gibt andere Lebensmodelle bei denen vielleicht auch am Sonntag arbeiten einen Vorteil bringt.
    Immer wieder das Gleiche was man selbst nicht möchte hat gefälligst auch kein anderer zu mögen und notfalls muss das den anderen per Gesetz klar gemacht werden. Missgunst ohne Ende.

  3. 108.

    Warum gibt es in Berlin noch keine Bio-Spätis?

  4. 107.

    Nicht schlecht, Thorsten T, nicht schlecht! Sie hatten gerade eine Geschäftsidee: Vegane Spätis für die Bio-Haferflocken-Freaks im Grünbezirk. Also falls mal das Möhrchen schlapp macht oder das Gras alle ist. :-))

  5. 106.

    Natürlich darf jede/r seine/hre Meinung sagen, aber was interssiert mich, ob Binbing einen Späti braucht?
    DHL ist für viele Spätis ein zweites Standbein.
    Meine erste Antwort auf [Berlinerin] vom 02.12.2023 um 09:41 (dieser Kommentar ist leider weg) war eine Entgenung darauf, dass man für den täglichen Einkauf keine Spätis bräuchte.
    ich persönlich brauche meinen Späti, um schnell mal bissel Tabak oder paar Fotokopien zu bekommen, ohne erst in die Stadt fahren zu müssen. Jeder, der bei denen Kunde ist, braucht was anderes. Das ist aber kein Grund für die, die nicht zum Späti gehen, anderen dämlich zu kommen. Außerdem kann ich hier nicht das ganze Thema abarbeiten - da reichen 1.000 Zeichen nicht!

  6. 105.

    Einige wollen die Spätis als Tante Emma Läden, andere als DHL Shop und manche denken offenbar, es wären gute Arbeitsplätze für Ungelernte. Übersehen wird, dass Spätis von Leuten betrieben werden, die sich in die Selbstständigkeit getraut haben und die betriebswirtschaftlich kalkulieren müssen. Und wenn hier sogar noch auf den höheren Anteil an Migranten abgestellt wird, dann überlegt euch mal, warum das so ist. Selbständigkeit bedeutet Verantwortung und viel Arbeit. Nix mit geregelten Arbeitszeiten und festem Lohn und staatlicher Absicherung.

  7. 104.

    Nicht nur Alkohol, auch alles andere Wichtige. Tabak, Chips und Süßigkeiten. Es ist nun wirklich nicht Cool, mit einem Beutel Vorglühware rumzulaufen, das geht nur Sylvester. Für Menschen, die ihren sonstigen Bedarf mit Süßkartoffeln und anderer Reformhauskost decken wollen sind die nicht da und auch nicht nützlich.

  8. 103.

    Wenn man ein Gewerbe gründet informiert man sich vorher über die Gegebenheiten am Markt. Dazu gehören auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Wer das anders macht, pokert und muss hinterher wirklich nicht heulen, wenn das Blatt nicht passt. Wenn von 2000 noch 800 offen haben wird das wohl eher an der Kundenfrequenz, der Ladendichte, der Preisgestaltung und dem individuellen Wirtschaften als an den Öffnungszeiten liegen.

  9. 102.

    Nein es geht nicht um bessergestellt werden, wegen dem Alter. Ihr Kommentar stellt jedoch genau diese Einstellung wieder, die dazu führt, daß man mit den Worten, "glauben Sie wirklich zeitlich mithalten zu können? Wenn der Eindruck entsteht, daß wir jemand bevorzugt wird, machen die Anderen auch weniger," Wenn ich denn, in offiziell 8 Jahren mit 67 in Rente gehen kann, gelten sämtliche Kürzungen auch für mich. Die Finanzierung der Rente auf eine andere stärkere Basis zu stellen, steht jetzt in der Macht der Jüngeren. Ein kleines bisschen Solidarität wäre da dann nicht falsch.

  10. 101.

    Erstens darf jeder seine Meinung sagen und zweitens sind Spätis mehr als Pakershops. Aber Sie sind offensichtlich nicht am Späti interessiert sondern nur an den Paketen der DHL. Davon kann ein Späti nicht leben. Weniger online kaufen sondern mal lokal, hilft dem Gewerbe vor Ort. Und beim Späti auch was kaufen hilft denen.

  11. 100.

    Sie ham doch Ihren ungefragten Senf dazugegeben, wo es um was ganz anderes ging - nämlich DHL-Paket-Shops! Und überleben werde ich wie bisher ...

  12. 99.

    Sie meinen, weil die Ü50 bei Neueinstellung gleich so viel bekommen wie andere Ü50 in der Firma, oder weil die Ü50 wieder ganz unten anfangen sollen wie die Ü18er?

    Vielleicht ist diese alte Oben–unten-Hierarchie das Problem? Funktionierte früher, als man ein Lebtag lang in einer Firma blieb.

    GenZ macht das aus gutem Grund nicht mehr mit, plus: Sie finanzieren, bekommen aber keine Rente.

  13. 98.

    Aber längst nicht alle Bewerber genommen. Im Gegenteil: Dort sind jetzt besonders Abiturienten gefragt, die erkannt haben, dass man erst mal eine solide Ausbildung machen kann und danach vllt. noch Architektur studieren kann. Der Steuerzahler finanziert kräftig mit.

    Exit dann mit 45.

  14. 97.

    Sinnlose Unterhaltung. Dann sind Sie eben das Maß der Dinge. Tut mir unendlich leid, wenn Ihr Späti schlapp macht. Wie werden Sie das nur überleben? Rhetorische Frage….

  15. 96.

    Das fällt leichter, wenns um einen herum auch fast alle so machen. Und so ist es leider nicht mehr. Versäumnis der Boomer-Generation. Nicht nur, aber auch, sehr.

  16. 95.

    Ich verstehe das ganze Theater hier nicht.
    Es muss doch niemand zum Später gehen.
    Und wenn niemand kommt, werden die Läden mangels Bedarf bald schließen.
    Aber offensichtlich besteht Bedarf und die Spätestens haben ihre Berechtigung.
    Das Argument "Sonntagsarbeit" zieht auch nicht.
    Siehe Krankenhäuser, BVG, Feuerwehr, Polizei, Notdienste etc.
    Und wenn die Kirchen krähen, interessiert das (fast) niemanden.

  17. 94.

    RUHE-Zeiten und -tage sind wertvoll in jeder Hinsicht. Ohne sie kein Abschalten, kein "Erhalten der Arbeitskraft" usw. Das betrifft auch Anwohner und Spaziergänger, wenn etwas gewerblich geöffnet ist, muss ich nicht einmal reingehen, um dieses Hamsterradgefühl auch sonntags zu haben.

  18. 93.

    Deswegen sind Sie kein Maßstab. Andere haben ihren Späti in der Nähe! Compris?

  19. 92.

    Späti braucht niemand. Bei einer ordentlichen Einkaufsplanung braucht man solche Läden nicht. So ist auch mal Abends und am Wochenende Ruhe und Zeit für die Entspannung da.

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