Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum in Berlin - Tilla Durieux reitet nackt auf einem Schwein
Sie war eine der meistporträtierten Frauen ihrer Zeit: die Schauspielerin Tilla Durieux. Geboren 1880 in Wien starb sie mit 91 Jahren in ihrer Wahlheimat Berlin. Das Georg-Kolbe-Museum widmet ihr jetzt eine Ausstellung. Von Sigrid Hoff
Gleich zum Auftakt hängt das Bild einer schönen jungen Frau mit hochgestecktem roten Haar, die den Blick verführerisch und von unten lauernd auf ein unsichtbares Gegenüber richtet. 1912 hatte Tilla Durieux dem Maler Franz von Stuck dafür Modell gesessen. Er zeigt sie als Circe, in der Titelrolle des Stücks, mit dem sie im Münchner Theater gefeiert wurde. Es ist das wohl bekannteste Porträt der Schauspielerin.
Im Georg-Kolbe-Museum ist ihm eine bemerkenswerte kleine Skulptur von August Gaul aus der hauseigenen Sammlung zur Seite gestellt mit einer ganz anderen Circe: Tilla Durieux reitet nackt auf einem Schwein. "Ich denke, mit dieser Darstellung konnte sich Tilla Durieux identifizieren", sagt Kuratorin Daniela Gregori.
Die Schauspielerin habe sich über Franz von Stuck geärgert, der sein Porträt als Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Bilder machte und mit ihrem Konterfei – unabgesprochen – eine Kommerzialisierung verfolgte. Das Bild sei nicht nach ihrem Geschmack gewesen, notierte sie in ihren Memoiren.
Namensänderung - um ans Theater zu kommen
Mit Berlin verbindet die Durieux eine lange Bühnenkarriere. Seit frühester Jugend wollte die als Ottilie Helene Angela Godeffroy geborene Wienerin ans Theater. Dafür änderte sie sogar ihren Namen. Ausgebildet in Wien, kam sie über Olmütz und Breslau, wo sie ihren ersten Mann Eugen Spiro kennenlernte, im Jahr 1903 nach Berlin.
Hier erlebte sie ihren Durchbruch am Deutschen Theater als Schauspielerin in der Titelrolle der "Salomé" von Oskar Wilde unter dem Regisseur Max Reinhardt. Ein Porträt, das Eugen Spiro von seiner Ehefrau in dieser Rolle schuf, hängt in der Ausstellung neben einem großformatigen Ölgemälde von 1905, "Dame mit Hund". Es zeigt die Diva in ungewohnt privater Pose als bürgerliche Dame des Hauses, die entspannt auf einem Sofa ausgestreckt liegt.
Unzählige Male saß Tilla Durieux im Laufe ihres Lebens bekannten und weniger bekannten Künstlern Modell. Einige Porträts entstanden auf Vermittlung ihres zweiten Ehemannes, des Galeristen Paul Cassirer. Bilder von Max Beckmann über Max Slevogt und Lovis Corinth vermitteln Eindrücke von den vielfältigen Rollen der Schauspielerin.
"Wir sehen den männlichen Blick auf eine Frau", kommentiert Kathleen Reinhardt, Direktorin des Kolbe-Museums, die Perspektive, "aber das Spannende bei der Ausstellung ist, dass wir nicht unbedingt einen Blick auf Tilla Durieux als Mensch sehen, sondern auf ihre Rollen." Dabei habe sie sich sehr bewusst inszeniert, was häufig von Zeitgenossen kritisiert wurde. Aber es sei auch ein Akt der Selbstermächtigung: Sie behielt die Kontrolle über die Bildnisse, die von ihr um die Welt gingen.
Suche nach unbekanntem Künstler
Unter den Skulpturen, die im großen Tageslichtsaal des Museums präsentiert sind, gehören wichtige Arbeiten aus der eigenen Sammlung des Hauses. Zu einem Höhepunkt unter den Porträtbüsten zählen vier Arbeiten von Ernst Barlach, die erstmals seit langer Zeit zusammen gezeigt werden, neben einer erst kürzlich wieder aufgetauchten Lebensmaske aus Bronze, die Tilla Durieux selbst in Auftrag gegeben hatte, sowie die Büste eines unbekannten Künstlers, die zum ersten Mal in einer Ausstellung zu sehen ist.
Er zeigt die Schauspielerin mit seitlich geneigtem, in die Hand gestützten Kopf. Daniela Gregori hofft, damit auch für die Forschung einen Anstoß zu geben und vielleicht bis zum Ende der Ausstellung der Name der Künstlerin/des Künstlers publik zu machen.
Unterstützung für inhaftierte Rosa Luxemburg
Darüber hinaus belegen zahlreiche Dokumente und Fotos, darunter ein Konvolut, was die Akademie der Künste in Berlin erst vor einem Jahr für das Archiv erworben hat, Tilla Durieux‘ Rolle als emanzipierte und engagierte Zeitzeugin.
Im Ersten Weltkrieg leistete sie Freiwilligendienst als Krankenschwester in Berlin-Buch, sie setzte sich für die inhaftierte Rosa Luxemburg ein und unterstützte in der Nazizeit den Widerstand gegen das Regime.
1933 floh Tilla Durieux mit ihrem dritten Ehemann, dem Industriellen Ludwig Katzenellenbogen über Prag nach Ascona und weiter nach Zagreb und Opatija in Kroatien. Dort übernahm das Paar für zwei Saisons kurzfristig die Wiederbelebung des einstigen Grandhotels.
Die Fotos zeigen die Durieux in der ungewohnten Rolle als Hoteldirektorin, eine bisher unbekannte Seite ihrer Vita. Ludwig Katzenellenbogen wurde 1941 verhaftet und im KZ Sachsenhausen ermordet.
Flucht vor den Nazis - 1955 Rückkehr nach Berlin
Tilla Durieux kehrte 1955 zurück nach Berlin und startete am Theater, in Film und Funk ihre Alterskarriere. In den 1960er Jahren bis zu ihrem Tod 1971 erhielt sie zahlreiche Ehrungen aus Ost wie West. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, betont Kuratorin Daniela Gregori, sei sie in ihrer Wahlheimat auf dem Friedhof Heerstraße, unweit des Georg-Kolbe-Museums, bestattet worden, "in diesem kalten grauen Sand, vor dem sie anfangs, 1903, so große Angst gehabt hat."
Mit der Ausstellung ist es gelungen, die Jahrhundert-Ikone Tilla Durieux mit ihren Facetten zu zeigen und die Persönlichkeit der schönen Bühnendiva sichtbar zu machen.
Sendung: Kulturradio, 13.05.2023, 10:10 Uhr