Kolbe Museum - Lin May Saeed kämpfte mit ihrer Kunst für Tierrechte
"Im Paradies fällt der Schnee langsam" – das Kolbe-Museum zeigt die erste Einzelschau von Lin May Saeed. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier steht im Zentrum der künstlerischen Arbeit der kürzlich verstorbenen Deutsch-Irakerin. Von Maria Ossowski
Ein Hund trauert. Der Kopf ist gesenkt, die Haltung gebückt. Er steht neben dem Eingang des Kolbe-Museums als Begrüßungsskulptur aus Bronze, weiß bemalt. Die Künstlerin Lin May Saeed hat diesen Hund selbst aus ihren Werken gewählt. Sie konnte die Ausstellung im denkmalgeschützten Künstlerhaus von Georg Kolbe in Berliner Westend noch mit einrichten.
Aber Lin wusste seit zwei Jahren, dass ihr wegen eines Hirntumors keine Zeit mehr bleibt. Am 31. August verstarb die Bildhauerin und Malerin mit deutsch-irakischen Wurzeln im Alter von 50 Jahren in Berlin. Sie sei "ein sehr warmer Mensch gewesen. Ein Mensch, den man wirklich in ihren Arbeiten erkennt. Sehr zugewandt, ein zurückhaltender, eleganter Mensch", erinnert sich die Museumsdirektorin Kathleen Reinhardt.
Ein individueller Zugang zu Tieren
Seit 20 Jahren beschäftigte Lin das Thema Tiergerechtigkeit, das Machtgefälle vom Menschen zum Tier. Eine Herde aus Styropor stürmt in der zentralen Halle des Museums auf die Besucher:innen zu, lebensgroße Tiere, die sich selbst befreit haben aus den Käfigen, auf denen die Skulpturen stehen. Ein Ameisenbär, eine Wildkatze, eine Tüpfelhyäne, ein Pangolin, ein Rind. Lin May Saeed hat sie aus Abfall, aus Styroporkügelchen vom Müll oder von Baustellen, geformt und mit Bauschaum verbunden. Styropor ist das zentrale Material, das sie nutzte. Marmor und Bronze, so erzählte sie der Direktorin, würden ein paar hunderttausend Jahre halten, aber Styropor sei nie biologisch abbaubar.
Das Thema Tier hat auch Renée Sintenis, eine der erfolgreichsten Bildhauerinnen der Weimarer Republik, sehr beschäftigt. Unter anderem hat sie den Berlinale-Bären geschaffen. Lin May Saeed ist mit zwanzig kleinen Bronze-Tierskulpturen von Sintenis in den Dialog getreten. Lin bewundere Sintenis, sagt die Direktorin: "Beide haben einen sehr individuellen Zugang zu Tieren gesucht und dieses Warme und Individuelle im Gestischen von Tieren hat beide gleichermaßen interessiert. Lin hatte zwei Kaninchen, die auch mitgearbeitet haben, sagte sie immer. Die waren ihre Mitbewohner."
Gleichwertigkeit der Lebewesen
Alte Mythen wie das Gilgamesch-Epos und die Gefährtenschaft von Mensch und Tier haben Saeed ebenso beschäftigt wie biblische Geschichten. Die Siebenschläfer bei ihr sind Mischwesen aus Mensch und Tier. Sie selbst hat auch gelegentlich mit Tierrechtsaktivisten zusammengearbeitet, einmal für vier Stunden ein Tor der Hühnerfabrik Wiesenhof blockiert. Aber sie wollte das Verhältnis Mensch-Tier eher künstlerisch umsetzen. Weniger indem sie Tierleid thematisierte, als vielmehr mit philosophischen Bezügen.
Es ging ihr um die Gleichwertigkeit der Lebewesen, und dies schon seit Jahrzehnten. Deshalb war sie auch seit 28 Jahren Veganerin, erzählt Kathleen Reinhardt. "Ich sage immer, sie war zu früh dran mit ihrem Werk und auch mit ihrer Einstellung, vielleicht, weil sie wenig Zeit hatte. Aber es ist etwas, das erst seit fünf, sechs Jahren in der Kunstwelt wirklich virulent ist."
Erste Einzelausstellung
Lin May Saeeds Tierskulpturen waren weltweit oft in Gruppenausstellungen zu sehen, im Museum Frieder Burda in Baden-Baden, in der Frankfurter Schirn, in Tokio, in den USA. In Deutschland ist im Kolbe Museum ihre erste Einzelausstellung zu sehen. Das Relief zweier Löwen übereinander und eines arabischen Sinnspruchs bilden den Titel der Ausstellung: "Im Paradies fällt der Schnee langsam". Die Eröffnung, konnte Lin nicht erleben. Tröstlich: ihre eindrückliche und große Kunst wird sie überleben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.09.2023, 09:55 Uhr