Start der 12. Ausgabe - Diese vier Kunst-Orte sollten Sie zur Berlin Art Week besuchen
Berlin feiert sich ab Mittwoch wieder als Hauptstadt der Kunst bei der "Berlin Art Week". Mehr als 1.000 Künstlerinnen und Künstler sind in diesem Jahr mit dabei. Marie Kaiser fasst die Höhepunkte zusammen.
Fünf Tage lang gibt Berlin wieder alles für die Kunst, ob auf der Kunstmesse "Positions", in Museen, Projekträumen, Galerien oder in privaten Sammlungen. Das Kunstangebot ist so überwältigend, dass es schwer fällt, sich zu entscheiden.
Yoga, Drinks und Früchte im "Art Week Garten"
Das sonst so graue Kulturforum am Potsdamer Platz ist pünktlich zur Art Week ergrünt. In einer Linie vor der Neue Nationalgalerie reihen sich jede Menge junge Bäume in Blumentöpfen aneinander. Die Installation "Baumschule Kulturforum" will unter Erlen, Silberweiden, Walnuss- und Kirschbäumen einen neuen Ort zum Verweilen am Kulturforum und einen Lebensraum für Tiere schaffen.
Während der 12. Berlin Art Week verwandelt sich der Platz rund um die Neue Nationalgalerie zum "Berlin Art Week Garten", dem Treffpunkt des Kunstfestivals. Im "Berlin Art Week Garten" können nicht nur Drinks zum Feierabend, Konzerte, Kino und DJ-Sets unter freiem Himmel genossen werden. Es wird auch Yoga in der Mittagspause und Kunst zum Aufessen angeboten.
Der brasilianische Koch und Künstler Caique Tizzi lädt bei einer "Food Intervention" dazu ein, Frucht-Ecken zu verkosten - mal mit Ananas, mal mit Granatapfel oder Melone. Dabei greift Tizzi die Architektur des Ortes auf - die Ecken und Kanten der Neuen Nationalgalerie.
Der Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, führt Besucherinnen und Besucher täglich durch die 16 Meter tiefe Baugrube des Berlin Modern Museums direkt neben dem Mies-van-der-Rohe-Bau.
Ein besonderes Highlight: Jeden Tag um 17 Uhr wird die weltberühmte Performance "Cut Piece" von Yoko Ono von 1964 neu aufgeführt, die Klaus Biesenbach als "bahnbrechende, historische Performance" bezeichnet. "Da hat sich eine damals sehr junge Künstlerin in Tokyo, London oder Paris hingesetzt und das Publikum ermächtig, ihr mit einer Schere die Kleidung vom Leib zu schneiden. Eine ungeheure Überschreitung und eine ungeheure Verantwortung."
Während der Art Week wird nicht die mittlerweile nicht die mittlerweile 90-jährige Yoko Ono selbst, sondern an jedem Tag eine andere in Berlin lebende Performerin das "Cut Piece" neu interpretieren.
"Unleashed Utopias" im Haus am Lützowplatz
Wer erfahren will, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz und Virtuelle Realität in der Kunstwelt mittlerweile schon haben, sollte sich die Ausstellung "Unleashed Utopias - Künstlerische Spekulationen über Gegenwart und Zukunft im Metaverse" nicht entgehen lassen. Im Haus am Lützowplatz entführen uns vier Künstlerinnen und ein Künstler in ihre utopischen Welten und denken darüber nach wie Menschen neue Technologien für ein gerechteres, vielfältigeres und persönlicheres Miteinander einsetzen können.
Besonders beeindruckend ist die Virtual-Reality-Arbeit "Posthuman Wombs" von Anan Fries. Die Berliner Künstlerin entwirft eine Welt, in der eine Gebärmutter nicht mehr die Voraussetzung ist, um schwanger zu werden. Anan Fries, die sich selbst als nicht-binär identifiziert, schickt uns mit 3D-Brille in eine immersive Landschaft, die von schwangeren Personen, die nicht mehr nur weiblich sind, bewohnt wird. Außerdem stellt sie vier verschiedene Designertaschen zur Auswahl, die in ihrer Zukunftsutopie als tragbarer künstlicher Uterus umgehängt werden können. In der Ausstellung können wir sie auf dem Tablet als Augmented-Reality-Objekt in 3-D anprobieren.
"Die Schwangerschaft könnte mit Hilfe so einer Tasche zwischen mehreren Personen aufgeteilt werden", erklärt die Künstlerin. "Das ist auch die philosophische Frage, die mich in 'Posthuman Wombs' interessiert hat. Wie könnten neue Familienmodelle aussehen, wenn es solche künstlichen Gebärmütter wirklich geben würde?"
Tiere aus Styropor im Kolbe-Museum
Die deutsch-irakische Künstlerin Lin May Saeed hat sich fast 20 Jahre mit dem Verhältnis von Mensch und Tier befasst. Die Tierrechtsaktivistin und langjährige Veganerin ist kurz vor der Ausstellungseröffnung verstorben. Die Retrospektive im Georg-Kolbe-Museum zeigt, auf welch poetische Weise Lin May Saeed in ihren Skulpturen, Reliefs, raumgreifenden Scherenschnitten und Zeichnungen, das Wesen der Tiere einfangen konnte.
Die Künstlerin greift Tierfabeln auf, erzählt aber auch Geschichten von Tierbefreiungen aus der Massentierhaltung. Mit ihrer Skulptur "Pangolin" hat Lin May Saeed dem Schuppentier ein Denkmal gesetzt, das zu den am meisten geschmuggelten Tieren weltweit gehört und vom Aussterben bedroht ist.
Saeed hat dafür keine klassischen Bildhauermaterialien verwendet, sondern billiges Styropor. "Styropor ist ein Werkstoff, der das ganze Problem der Klimakatastrophe in sich trägt", erklärt die Direktorin des Georg-Kolbe-Museums, Kathleen Reinhardt. "Diese Arbeiten, die extrem fragil wirken, sind sehr haltbar, weil Styropor anders als Marmor oder Bronze nicht biologisch abbaubar ist und Jahrtausende überdauern kann."
Zeitreise im Brücke-Museum und Schinkel-Pavillon
Die Frage, wie sich Zeiten des Krieges auf die Kunst auswirken, behandelt die Ausstellung "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit". Das Gemeinschaftsprojekt zwischen Brücke-Museum und Schinkel-Pavillon schlägt den Bogen von den 1930er-Jahren zur Kunst der Gegenwart.
Gezeigt werden historische Werke der eher unbekannten Künstlerin Johanna Schütz-Wolff, die aus Angst vor Verfolgung Ende der 1930er Jahre viele ihrer textilen Kunstwerke zerschnitt. Und mit zeitgenössischen Künstlern wie Lawrence Abu Hamdan: Der jordanische Künstler zeigt uns in Leuchtkästen Vorher-Nachher-Fotografien von Straßenszenen aus Beirut vor und nach dem Bürgerkrieg.
Ausgangspunkt der Kooperation zwischen Brücke-Museum und Schinkel-Pavillon ist die verwobene Geschichte beider Institutionen. Der Schinkel-Pavillon befindet sich im Garten des ehemaligen Kronprinzenpalais, das im frühen 20. Jahrhundert die "Neue Abteilung" der Nationalgalerie beherbergte - bis die Nationalsozialisten dort hunderte Kunstwerke als "entartet“ beschlagnahmten. Einige der diffamierten Werke gelangten über Umwege in die Sammlung des 30 Jahre später gegründeten Brücke-Museums.
Auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine untersucht die Ausstellung, was Verfolgung und Repression für Kunstschaffende bedeuten. Im Schinkel-Pavillon werden Gemälde des im KZ umgekommenen Künstlers Felix Nussbaum Arbeiten der ukrainischen Malerin Kateryna Lysovenko gegenübergestellt, die Nussbaum und andere Künstler in einer Art Wartehalle zeigen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.09.2023, 8:00 Uhr