Neues Museum im alten Tacheles - "Unser Ziel ist es, das offenste Museum der Stadt zu sein"
Zur Berliner Art Week eröffnet im einstigen Tacheles ein internationales Museum. "Fotografiska" präsentiert internationale Kunst zwischen alten Graffiti und neuen Bars. Das sorgt nicht nur für Begeisterung. Von Marie Kaiser
Im Treppenhaus des ehemaligen Tacheles scheint die Zeit still zu stehen. Die rostigen Türen sind noch da. Graffiti und alte Plakate bedecken in mehreren Schichten die Wände. Wie die Fassade des Hauses steht auch das Treppenhaus unter Denkmalschutz. Aber all das hat jetzt etwas Museales, wird zum Überrest einer Zeit der Freiräume, die in Berlin heute definitiv vorbei ist.
Wer aber das Treppenhaus des alten Tacheles verlässt, betritt nun eine komplett andere Welt. Die "Veronica Bar" wirkt wie eine VIP-Lounge in einem edlen Club, der, eingerichtet in schwarz, mit Leder und Holzboden, genauso gut in New York oder London eröffnen könnte. Die Bar ist eine von gleich mehreren Bars und Restaurants im neuen Foto-Museum "Fotografiska" im alten Tacheles. Auf jeder Etage soll es bald Gastronomie geben. Auch auf das Dach soll eine Bar einziehen, in die von den Schweizer Architekten Herzog De Meuron entworfene Kuppel.
Gastronomie finanziert Kunst
"Fotografiska" ist schwedisch und bedeutet übersetzt fotografisch. Das erste Fotografiska-Museum wurde in Stockholm eröffnet. Mittlerweile gibt es Ableger in in New York, Tallinn und zur Art Week eröffnet am 14. September nun das Fotografiska Berlin.
Dass durch die Gastronomie auch die Ausstellungen im neuen Fotografiemuseum querfinanziert werden sollen, daraus macht der Chairman von Fotografiska Berlin Yoram Roth kein Geheimnis: "Wir bekommen keine Fördergelder, keine Lottogelder und keine Spenden. Wir tragen uns am Ende des Tages selbst." Yoram Roth ist DJ, Fotograf, Kunstsammler und Kulturinvestor, der lange in New York gelebt hat und nun in seine Geburtsstadt Berlin zurückkehren will. Er ist bereits am Club Kater Blau, am Holzmarkt und am Stadtmagazin "Tip" beteiligt. Zuletzt hat er das historische "Clärchens Ballhaus" gekauft. Nun will er im Gebäude des geschichtsträchtigen Tacheles auf 5.000 Quadratmetern zeitgenössische Fotografie zeigen.
Tacheles-Kunst zu Deko degradiert?
Das Tacheles war lange ein Symbol dafür, dass es in Berlin freier, künstlerischer und wilder zugeht als in anderen Metropolen. Nach der Wende wurde die Kaufhausruine besetzt und zum Kunsthaus Tacheles mit Ateliers, Club, Theater und sogar einem Kino. 2012 war Schluss: Das Tacheles wurde geräumt. In den vergangenen Jahren wurde dort unter dem Label "Am Tacheles" ein luxuriöses Stadtquartier erbaut mit Eigentumswohnungen und Geschäften. Das alte Tacheles-Gebäude aber sollte erhalten und für die Kultur genutzt werden, das wurde im Baurecht so festgelegt.
Die Nutzung sei aber nur zum Teil kulturell, sagt Linda Cerna. Die Sprecherin des Tacheles-Archivs setzt sich für eine angemessene Würdigung der Künstlerinnen und Künstler des Tacheles ein. Dieses habe immer für ein offenes Kunsthaus gestanden. Das sei nun aber nicht mehr gegeben. "Wenn das Haus jetzt zum wirklich großen Teil als Gastronomie oder für kommerzielle Zwecke genutzt wird und die Kunstwerke mehr oder weniger zu einer Dekoration degradiert werden, ist es schon Zeit, darauf hinzuweisen, dass man Namensschilder an die Kunstwerke setzt. Und dass die Künstler seitens der Projektentwickler und Eigentümer finanziell entschädigt werden."
Der Wandel des "Tacheles" in der Berliner Oranienburger Straße
"Frischer Wind" in Berliner Museumslandschaft
Das "Fotografiska" Berlin sei allerdings mit dem Tacheles-Archiv schon im Gespräch, erklärt Gründungsdirektor Yousef Hammoudah: "Wir haben uns für die Zeit nach der Eröffnung verabredet, um gemeinsam an Wegen zu arbeiten, diesen völlig legitimen Wünschen nachzukommen. Also unter anderem die Kunstwerke mit Namen zu versehen und den Künstlern Zugang zu ihren Kunstwerken zu ermöglichen."
Ein für alle zugängliches Museum zu sein, das sei den Macher des Fotografiska besonders wichtig. "Mit unserem Ansatz möchten wir frischen Wind in die Berliner Museumslandschaft bringen. Unser Ziel ist es, das offenste Museum der Stadt zu sein", betont Yousef Hammoudah. Perspektivisch solle das Fotografiska nicht nur Museum bleiben, sondern auch ein Ort zum Ausgehen mit großer Eventfläche werden. Auch DJ-Abende oder Konzerte könnten dort also bald stattfinden. "Es soll ein Ort werden, an dem man jemanden kennenlernen oder mit Freunden Zeit verbringen, sich mit einem Glas Wein in der Hand Kunst angucken kann", erklärt Yoram Roth im Gespräch mit rbb|24.
Nackte Männer, die Sahnetorte essen
Bis 23 Uhr solle das Museum abends geöffnet bleiben. Das sei wichtig, schließlich gebe es inzwischen eine ganze Generation, die lieber zu Hause bleibe. Mit langen Öffnungszeiten habe man die Chance, nicht nur Schulkinder zu erreichen. Damit auch die Berliner zu Stammgästen werden, sind Ausstellungen im schnellen Wechsel geplant - insgesamt 14 soll es pro Jahr geben. Zur Eröffnung wird als Übernahme aus dem Fotografiska New York die Gruppenausstellung "Nude" präsentiert.
Gezeigt werden Fotografien von 30 Künstlerinnen und Künstlern, die ergründen sollen, was uns Menschen in aller Nacktheit ausmacht. Die polnische Künstlerin Aneta Grzeszykowska hinterfragt die Selfiesucht vieler Menschen. Dafür näht sie einzelne Körperteile aus Schweinehaut nach und fotografiert diese als Selfies. Fünf lose nebeneinander liegende Finger oder eine einzelne Brust, die sie ganz vorsichtig in beiden Händen hält.
Die chinesische Künstlerin Yushi Li porträtiert die Männer, die sie auf Tinder datet, nackt in ihrer Mini-Küche. Vollkommen erotikfreie Aufnahmen von Männern, die neben der Spüle mit der Flasche Spülmittel sitzen oder ein Stück Sahnetorte verspeisen.
Weißes Monster mit Alienaugen
Ein richtiger Coup ist es, dass das Fotografiska zur Eröffnung die international gefeierte Künstlerin Candice Breitz gewinnen konnte. In ihrer Video-Installation "Whiteface" denkt die weiße Südafrikanerin über das Privileg weiß zu sein nach. Zehn Jahre lang hat die Künstlerin Videoschnipsel gesammelt, in denen weiße Menschen über ihr Weißsein sprechen.
"Jedes Mal, wenn ich auf ein Schnipsel eines TV-Moderators, eines Youtubers oder eines Tiktokers gestoßen bin, der über das Weißsein aus weißer Perspektive spricht, habe ich es in einen Ordner auf meinem Schreibtisch gelegt. Ich wusste nicht, dass ich ein Werk daraus machen würde. Eines Morgens wachte ich auf und beschloss, dass der Moment gekommen war", erklärt Candice Breitz.
Sie hoffe nun, zu einer dringend nötigen Debatte beitragen zu können: "Der Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist lebendig. Und 'Kartoffel sein' ist genauso ein Teil des Problems wie Weißsein im angloamerikanischen Kontext." Auf großer Leinwand performt Candice Breitz mit wechselnden weißblonden Perücken, stechend hellblauen Kontaktlinsen und im weißen Hemd zu diesen weißen Stimmen lippensynchron, als wäre sie es, die spricht. Breitz verwandelt sich dabei in eine Art weißes Monster mit Alienaugen.
Feste Größe in Berlin, aber...
Mit Ausstellungen auf diesem Niveau kann es Fotografiska ganz bestimmt gelingen, sich in Zukunft als feste Größe in Berlin zu etablieren. Um gut in Berlin anzukommen, könnte es sicher nicht schaden, auch von der Vergangenheit und dem Stück Berliner Kunstgeschichte, das dieses Haus geprägt hat, zu erzählen und den Künstlerinnen und Künstlern des Tacheles einen angemessenen Platz einzuräumen.
Das neue Fotomuseum Fotografiska [fotografiska.com] Berlin eröffnet am 14.09.2023 in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte. Für Besuche ab dem 15. September gibt es Tickets zu kaufen. Diese kosten zwischen 14 und 16 Euro. An jedem ersten Dienstag im Monat ist der Eintritt im Fotografiska Berlin frei.
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.09.2023, 19:30 Uhr