Interview | Sensationsfund in Ägypten - "Ich schätze Indiana Jones, aber er trifft nicht die archäologische Wirklichkeit"

Sa 26.10.24 | 08:49 Uhr
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Jochem Kahlm.(Quelle:Jochem Kahl, The Asyut Project/Fritz Barthel)
Jochem Kahl, The Asyut Project/Fritz Barthel
Audio: rbb 88.8 | 25.10.2024 | Ingo Hoppe im Gespräch mit Jochem Kahl | Bild: Jochem Kahl, The Asyut Project/Fritz Barthel

Mehr als 20 Jahre lang haben der Berliner Archäologe Jochem Kahl und sein Team im ägyptischen Assiut gegraben - dann entdeckten sie das 4.000 Jahre alte Grab einer Priesterin. Was das für die Forscher bedeutet und was Indiana Jones damit zu tun hat, sagt Kahl im Interview.

rbb: Herr Professor Kahl, Sie haben vor kurzem das Grab einer altägyptischen Priesterin entdeckt. Gab es viele Priesterinnen?

Jochem Kahl: Ja, es gab Priesterinnen, allerdings nur in Bezug auf die Göttin Hathor. Das heißt eben auch eine weibliche Gottheit. Ägypten hat Tausende von Göttern gehabt. Die Priesterinnen für Hathor waren meistens als Tänzerinnen oder Musikantinnen tätig.

Wer war diese Frau?

Sie war die Tochter des Regionalgouverneurs Djefai-Hapi I. und ist im Grab ihres Vaters bestattet worden. Djefai-Hapi war einer der mächtigsten Männer seiner Zeit und verkehrte am Königshof. Er ließ sich das größte Grab in ganz Ägypten für eine nicht-königliche Person errichten.

Es ist aber nicht wie bei Indiana Jones, mit dem Ägyptologen gerne mal verglichen werden, dass man einfach anfängt irgendwo zu graben?

Nein, überhaupt nicht. Das Projekt läuft schon seit 21 Jahren. Das Ziel des Projektes war auch nie, irgendeine unversehrte oder wenig zerstörte Grabkammer zu finden, sondern die Geschichte der Stadt Assiut zu rekonstruieren. Es gibt dort diesen großen Gräberberg, in dem wir das Grab gefunden haben. Das Schöne daran ist, dass wir eine 6.000-jährige Geschichte rekonstruieren können, nahezu lückenlos.

Unsere, wenn Sie so wollen, Spielwiese ist eben der Berg, der am Wüstenrand dieser Stadt liegt. Der streckt sich auf 200 Höhenmeter und es gibt Tausende von Gräbern, Kloster- und Militäranlagen. Wir haben dort ehemalige Ausflugsziele für gebildete Leute aus der Antike. Für ein paar Jahrhunderte ist noch was zu tun. Und so gesehen ist dieser Fund eigentlich nur ein kleiner Bestandteil eines ganz großen Projektes. Aber eben ein sehr schöner und besonderer.

Was halten Sie von Indiana Jones?

Ich schätze Indiana Jones als Kinofilm und Harrison Ford als Schauspieler. Ich habe mir, ich glaube als ich 19 Jahre alt war, den ersten Teil gleich angeschaut. Aber er trifft überhaupt nicht die archäologische Wirklichkeit, auch nicht den Anspruch, mit dem wir heute Archäologie betreiben.

Was Indiana Jones eigentlich in den Filmen macht, ist, dass er Jagd auf Einzelobjekte macht, dass er sich fast wie ein Kolonialherr verhält, weil er nämlich diese Einzelobjekte einfach außer Landes bringt und dann in Amerika oder Europa in ein Museum haben will - zum Schutz des Kulturgutes, wie er immer betont.

Zur Person

Idys Grabkammer
Andrea Kilian/Jochem Kahl/The Asyut Project

FU Berlin - Jochem Kahl

Kahl wurde 1961 in Ravensburg geboren. Er promovierte mit einer Arbeit über ägyptische Hieroglyphenschrift. Seit 2008 ist er Professor für Ägyptologie an der Freien Universität Berlin und Leiter des internationalen Forscherteams in Assiut. Die Ausgrabungsarbeiten fanden im August und September 2024 in Zusammenarbeit mit der Universität Sohag (Ägypten), der Kanazawa Universität (Japan) und der Polnischen Akademie der Wissenschaften statt.

Aber im Grunde genommen, fotografiert er nicht, zeichnet nicht und schreibt nichts dazu auf. Das heißt, ihn interessiert der Zusammenhang im Grunde gar nicht. Das ist natürlich nicht das, was wir uns versprechen.

Trotzdem gibt es zu Indiana Jones ein paar Parallelen. Das ist vielleicht die Hartnäckigkeit, Beständigkeit und auch die Unerschrockenheit, mit der er vorgeht. Und das kann ich meinen Mitarbeiterinnen attestieren, die in 14 oder manchmal 28 Metern tiefen Schächten arbeiten.

Wer gehört Ihrem Team an?

Wir sind ein deutsch-ägyptisches Team. Das deutsche Team besteht zum größten Teil aus Frauen. Das ägyptische dagegen nur aus Männern, weil es für Frauen schwierig ist, sich dort durchzusetzen. Es sind aber auch Spezialistinnen dabei, beispielsweise aus Polen, die für die Keramik zuständig sind, oder aus Japan für die Zooarchäologie - auch angeführt von einer Frau.

Als die Kammer der Priesterin geöffnet wurde, waren Sie ausgerechnet nicht dabei. War das schlimm?

Es war eigentlich nicht schlimm, weil es eben gerade nicht so ist, dass man einfach irgendwo eine Tür öffnet und dann treten einem irgendwelche tollen Schätze entgegen. Die Bergung, die Dokumentation des Fundes hat insgesamt fünf Wochen gedauert. Ich war in den ersten zwei Tagen nicht da, von daher ist es zu verkraften.

Übt der Hauch der Geschichte, das Abenteuer eine Faszination aus? Oder wirkt es auf Sie gar nicht mehr so?

Was uns bei diesem Fund berührt, ist, dass wir der Person näher gekommen sind. Meistens ist das, was wir machen, eher sehr theoretisch. Wir versuchen, irgendwelche Typologien zu erstellen von Keramik oder von Architektur. Wir versuchen, Funktionszusammenhänge in der Nutzung bestimmter Gebäude zu rekonstruieren.

In dem Fall war vielleicht auch ein Hauch von Gefühl dabei, weil man plötzlich merkt, wie nah man an einem Menschen ist, der eigentlich vor 4.000 Jahren gelebt hat.

Wir haben die Hieroglyphenschrift, eigentlich eine Medienrevolution, wie wir es nur mit dem Internet vergleichen können.

Jochem Kahl, Professor für Ägyptologie an der FU Berlin

Viele Menschen waren schon in Ägypten. Viele kennen das Tal der Könige, Tutanchamun oder das berühmte Museum in Kairo. Woher kommt diese Faszination?

Ich denke, was uns anspricht, ist, dass wir von einer sehr alten, weit zurückliegenden Kultur vieles erkennen, was uns heute auch vielleicht ähnlich ist. Ägypten war zum Beispiel der erste Flächenstaat der Menschheit. Wir haben die Hieroglyphenschrift, eigentlich eine Medienrevolution, wie wir es nur mit dem Internet vergleichen können. Seit der Entwicklung der Hieroglyphenschrift haben die Menschen geschrieben.

Natürlich ist es auch die Kunst, die uns in ganz besonderem Maße anspricht, wegen ihrer von uns so wahrgenommenen Schönheit, besonderen Ästhetik. Das entspricht irgendwie unserem Zeitgeist. Ob das immer so bleibt, ist natürlich die Frage.

Fasziniert die Menschen vielleicht auch die Totenwelt der alten Ägypter und diese Vielzahl an Göttern?

Ich glaube schon. Es ist vielleicht diese Faszination der Überwindung des Todes, könnte man es so nennen. Während bei uns der Tod eigentlich ein tabuisiertes Thema, zumindest im Alltagsleben ist, hat der Tod eben im alten Ägypten doch eine ganz andere Rolle gehabt. Man hat sich den Tod nicht als Endpunkt vorgestellt, sondern - ganz im Gegenteil - als Öffnung für ein zweites jenseitiges Leben. Die Sorge war nur, diesen zweiten jenseitigen Tod zu vermeiden. Das heißt also, der Tod im Diesseits, der war im Grunde genommen fest eingeplant und man ist ganz anders und sicher auch leichter damit umgegangen, als wir das heute tun.

Sollte es das nächste Leben für Sie geben, wie sähe das aus?

Ich würde das wieder so wählen, auf jeden Fall. Die Ägyptologie ist in meinen Augen eine große Bereicherung. Man lernt nicht nur die Antike kennen, sondern auch das moderne Ägypten. Man lernt nicht nur Professoren, sondern auch Tagelöhner kennen. Auf der Grabung arbeiten jedes Jahr 80 Tagelöhner und man lernt auch ihre Probleme und Sorgen kennen. Und man lernt auch zu schätzen, wie gut es einem geht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Jochem Kahl führte Ingo Hoppe, rbb 88.8.

Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: rbb 88.8, 25.10.2024, 16:10 Uhr

Kommentar

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11 Kommentare

  1. 11.

    Jaja, die Experten aus der Verwaltung - DIEEEE kennen sich, wie hier zu lesen, im Gegnsatz zum Pelb bei jedem Thema aus, und maßregeln daher zu Recht in angemessenem Ton - und ansonsten Dank für den Artikel und den Überschriftssdatz - wir, bis auf den VW (ach ja da kriselt es ja), wären nicht drauf gekommen ;-)

  2. 10.

    Die Frage nach einer Filmfigur ist doch nicht ernsthaft gestellt. So etwas geschieht bei Krimis auch. Also ob ein Film die Realität widerspiegeln will. Indiana Jones ist kein Dokumentarfilm. Leider lenkt so etwas von der Berichterstattung über die Archäologie ab. Der Sensationsfund gerät in den Hintergrund. Die Schlagzeile soll offensichtlich eine bestimmte Zielgruppe ansprechen. Schade um die Archäologie.

  3. 8.

    Das ist schon wieder schwarzweiß gedacht. Keine Person wird heutzutage von westlichen Archäologen und dem Team dazu gezwungen. Sie verdienen von uns aus betrachtet bestimmt nur einen "Appel und ein Ei", aber für diese Tagelöhner ist es mehr als manch einer aus ihrem Kulturkreis bietet. Wenn man nur die "einfachen" Arbeiten betrachtet.

  4. 6.

    Wenn Sie ein Problem mit der Wissenschaft haben, bleibt Ihnen nur noch das Kino und Ihre große Glotze.

  5. 5.

    Ich drehe das mal um. Wissenschaftler sind keine Indiana Jones. Ich schätze wissenschaftliche Berichte, aber sie treffen überhaupt nicht den Wunsch nach Unterhaltung im Kino usw….

  6. 4.

    Ist das das? Ich halte Fiktion nicht für wahr. Und kann Unterhaltung von Realität unterscheiden. Filme sind ja auch keine Reportagen. Erstere dienen der Unterhaltung, zweite der Bildung. Warum man das überhaupt vergleicht ist mit schleierhaft. Ein Roman ist auch kein Sachbuch…..

  7. 3.

    Vermutlich werden die da mehr verdienen als in einheimischen Firmen.

    Aber grundsätzlich gilt immer ohne soziale Rebolution keine soziale Gerechtigkeit.

  8. 2.

    Das ist doch klar. Spielfilme, Dokusoup und Serien treffen nie die Wirklichkeit. Aber die BürgerInnen halten den Inhalt für wahr. Da schüttle ich jedes mal den Kopf.

  9. 1.

    "Man lernt nicht nur Professoren, sondern auch Tagelöhner kennen. Auf der Grabung arbeiten jedes Jahr 80 Tagelöhner und man lernt auch ihre Probleme und Sorgen kennen. " - Einfach den Arbeitern mehr zahlen? Schlecht bezahlte oder gleich ganz unbezahlte Arbeitskräfte in der Archäologie sind, wenn das Thema schon angerissen wird, auch eine Kolonialattitüde.

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