Interview | Literatur-Genre "New Adult" - "Es ist oft eine schönere Version der Realität"

Sa 19.10.24 | 15:19 Uhr
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16.10.2024, Hessen, Frankfurt/Main: Junge Besucherinnen informieren sich am Stand eines Verlages. (Quelle: dpa/Boris Roessler)
Bild: dpa/Boris Roessler

Romantik, Sex, Selbstfindungserfahrungen: So lässt sich das Literatur-Genre "New Adult" zusammenfassen. Besonders bei jungen Leserinnen ist es gerade sehr beliebt. Warum, weiß die Berliner Verlagsleiterin Ulrike von Stenglin.

rbb: Frau von Stenglin, auf der Frankfurter Buchmesse gibt es in diesem Jahr eine eigene Halle für das Genre "New Adult". Warum ist diese Art von Literatur gerade so erfolgreich?

Ulrike von Stenglin: Ich glaube ein Vorteil von Romance ist, dass Bücher in diesem Segment in der Regel wahnsinnig nachvollziehbare Protagonistinnen haben. Die Frauenfiguren sind extrem echt, man fiebert stark mit, das ist hochidentifikatorisch. Und die Charaktere sind oft nicht gefällig, sondern haben auch ein bisschen Ecken und Kanten. Es kommen auch entgegen der weitverbreiteten Annahme oft queere Figuren vor, es ist alles ein bisschen diverser als in der restlichen Literatur-Bubble.

Hinzu kommt, dass die Bücher nicht immer nah an der Realität sind. Es ist oft eine schönere Version der Realität. Und in so schwierigen politischen Zeiten ist es natürlich schön, irgendeinen Ort zu haben, wo man hingehen kann mit seinen Sehnsüchten, seinen Träumen.

In den Büchern geht es auch viel um Sex...

Bücher über Liebe hat es immer gegeben. Die Römer haben Liebesschinken geschrieben, und das ist jetzt eine spezielle Ausprägung, und jetzt kommt hier eben zum Teil sehr viel Sex vor. Deswegen ja "New Adult", für die etwas älteren Leser:innen, bei denen Sexszenen mit Chilis spezifiziert werden – also nach dem Grad der "Spicyness".

Es gibt auch Menschen, die behaupten, "New Adult" sei keine richtige Literatur, der Anspruch sei zu niedrig. Was sagen Sie dazu?

Haters gonna hate. Niemand muss alles, was angeboten wird, konsumieren. Wenn du in deinen Netflix-Account gehst, gibt es doch bestimmt tausend Sachen, die du dir nicht angucken willst. Manche Sachen sind eben vielleicht einfach nicht für dich.

Und ich glaube trotzdem, dass da eine ganz große misogyne Komponente drin ist. In dem Genre produzieren vor allem Frauen für Frauen. Das ist dann ein eigener Ereignisraum, in dem Männer vielleicht nur noch als Nebenfiguren stattfinden. Und dass es dann viele männliche Hater gibt, kann ich irgendwie emotional nachvollziehen, finde ich aber trotzdem ein bisschen peinlich.

Das Community-Gefühl ist bei dem Genre extrem wichtig.

Ulrike von Stenglin

Es gibt auch die Kritik, weibliche Personen würden in dem Genre als schwach dargestellt, männliche als besonders stark. Es heißt, die Bücher seien unfeministisch. Können Sie diesen Punkt nachvollziehen?

Ich finde das immer seltsam. Warum müssen gerade weibliche Protagonistinnen auf eine bestimmte Art und Weise sein und für wen eigentlich?

Vielleicht ist so eine Unterwerfungsfantasie in einem Roman auch ein Weg, irgendwas auszuleben, was man im Alltag vielleicht gar nicht erleben möchte oder was sanktioniert ist. Und vielleicht wollen auch emanzipierte, starke Persönlichkeiten mal einen Moment haben, in dem sie loslassen können und sich sagen können: 'Hey, entscheide du doch einfach, wie es läuft.'

Zur Person

Ulrike von Stenglein (Quelle: rbb)
rbb

Ulrike von Stenglin arbeitet als Lektorin und Literaturkritikerin. Sie ist die Geschäftsführerin des Gutkind Verlags in Berlin.

Das Genre "New Adult" hat auch ganz neue Wege der Vermarktung. TikTok und der Hashtag #Booktok spielen da eine große Rolle.

Das Community-Gefühl ist bei Romance extrem wichtig. Es ist eine neue Art von globalem Empfehlungsmarketing. Also wenn jetzt deine Freundin zu dir sagt: 'Lies mal dieses Buch, das hat mir so gut gefallen!' - dann ist das ein minimaler Einfluss. Wenn deine Freundin aber eine Million Menschen auf TikTok erreicht, fühlen sich vielleicht eine Million angesprochen, dieses Buch zu kaufen.

Es gibt in dem Genre auch viele Frauen, die sich mit anderen Frauen zusammenschließen und gegenseitig ihre Bücher promoten. Das ist neu und schön, dass der sogenannte "Boys Club" eine digitale Entsprechung unter Frauen gefunden hat.

Kommen Verlage nun überhaupt noch daran vorbei, "New Adult"-Titel herauszugeben?

Die Leser:innenschaft ist sehr divers. Viele Menschen lesen auch noch andere Genres. Und es gibt viele Verlage, die gut damit leben, das Genre "New Adult" gar nicht zu machen. Aber ein großer Verlag, der viele unterschiedliche Bereiche abbilden möchte - und vielleicht auch muss - kommt eventuell nicht mehr darum herum.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Ulrike von Stenglin führte Lilli Klinger für rbbKultur - das Magazin.

Sendung: rbbKultur - das Magazin, 19.10.2024, 18:30 Uhr

Kommentar

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2 Kommentare

  1. 2.

    Ich finde es gut, wenn sich Frauen gegenseitig unterstützen und entsprechende Netzwerke bilden. Für Männer war das jahrhundertelang selbstverständlich. Und Frauen, deren Rolle auf Haus und Kinder beschränkt war, konnten sich auch schwerlich zusammenschließen. Aber die Zeiten haben sich geändert und Frauen haben nun einen gewissen Nachholbedarf. Aber ich stimme Ihnen zu, das sollte natürlich nicht in eine Front gegen Männer ausarten. Gemeinsam kann man sehr viel mehr erreichen.

  2. 1.

    "Es gibt in dem Genre auch viele Frauen, die sich mit anderen Frauen zusammenschließen und gegenseitig ihre Bücher promoten. Das ist neu und schön, dass der sogenannte "Boys Club" eine digitale Entsprechung unter Frauen gefunden hat."
    - muss ich als Mann solch Bücher heimlich lesen oder ausschließlich im weiblichen Umfeld.
    Durch wen wird denn gegenwärtig Geschlechtertrennung mehr gefordert/gefördert?
    Robert Merle (Die geschützten Männer) lässt grüßen.

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