Boom der modularen Synthesizer - Hier stehen die wohl komplexesten Musikinstrumente der Welt

Sa 30.11.24 | 11:22 Uhr | Von Larissa Kahr
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Modularer Synthesizer, sind elektronische Musikinstrumente, die aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Modulen bestehen und im Zusammenhang elektronische Klaenge erzeugen. (Quelle: imago images/Dirk Sattler)
Bild: imago images/Dirk Sattler

Modulare Synthesizer wurden einst durch Bands wie Pink Floyd groß. Nun erobern neue Künstler mit der alten Technik die Clubs der Welt. Für die Szene zentral ist ein Musikladen in Berlin. Von Larissa Kahr

Im Keller des Berliner Musikgeschäfts "Schneidersladen" steht Jessica Kert vor einem Kasten, der an ein Raumschiff erinnert. Mit bunten Kabeln verbindet sie Anschlüsse, drückt Knöpfe, und aus einem zuvor dröhnenden Brummen wird ein sphärischer Sound - typisch für einen modularen Synthesizer. Zufrieden blickt sie auf: "Das macht einfach unglaublich Spaß."

Mit modularen Synthesizern bis ins Berghain

Dutzende von Modulen reihen sich im Keller des Neuköllner Musikgeschäfts aneinander, flankiert von Bergen an bunten Kabeln. Wer möchte, kann hier das - manchmal als komplexestes Musikinstrument der Welt bezeichnete - Gerät ausprobieren. Unterstützung gibt es von Kert, die hier arbeitet und selbst eine leidenschaftliche Modular-Künstlerin ist.

Der Sound der modularen Synthesizer, der in den 1970er-Jahren durch Künstler wie Pink Floyd oder Jean-Michel Jarre populär wurde, ist heute wieder in den Clubs weltweit präsent. Ein Beispiel dafür ist Sibel Koçer alias JakoJako, die als jüngste Resident-DJ im legendären Berghain oft mit modularen Synthesizern auflegt.

Das Besondere: Die Künstler hinter dem DJ-Pult arbeiten nicht klassisch mit Pre-Sets oder Schallplatten. Stattdessen erzeugen sie die Musik durchweg live. Dafür verbinden sie verschiedene Module oder Elemente der Klangerzeugung miteinander. Die Möglichkeiten bei dieser Art des Musizierens: fast grenzenlos.

Weltstars zu Besuch im Laden

In einem schwarzen Rolli steht Jessica Kert hinter der massiven Theke im Eingangsbereich von "Schneidersladen". Was vor 25 Jahren als Reparaturservice für Synthesizer begann, ist heute ein Treffpunkt der modularen Szene. Kert hat hier bereits Größen wie Richie Hawtin, Ricardo Villalobos und Elektropionier Jean-Michel Jarre beraten - ein echter Fangirl-Moment für sie.

Die Kunden kommen oft regelmäßig, bleiben mehrere Stunden und drehen Regler, testen die neusten Module oder holen sich bei Kert einen Kaffee an der Theke. Es wirkt wie ein Ort zum Verweilen, ein musikalisches Zuhause, und gleichzeitig beeinflusst er die Modulare-Szene weltweit.

Das beweist auch der nächste Kunde: Colin Benders, alias Kyteman, wirkt fast unscheinbar. Doch in der Szene zählt er zu den Großen, tourt um den Globus und füllt Hallen.

Im Laden wird er begrüßt wie jeder andere. Da gibt es eine Umarmung, einen Espresso und einen Plausch über die neusten Modular-News. 80 Prozent seines Equipments stammt von hier. "Dieser Ort hat einen großen Einfluss auf mich. Immer wenn ich herkomme nach Berlin, halte ich hier", sagt er. Wenige Minuten später drückt Benders Knöpfe an einem Synthesizer und probiert ein neues Gerät aus.

Woher kommt der Boom?

Während der Corona-Pandemie habe sich die Modular-Szene enorm entwickelt, erzählt Kert. Viele Leute hätten da zuhause gesessen, Zeit gehabt und geübt. Der Hype aktuell sei eher eine organische Folge: Die Menschen beherrschen ihr Instrument und bringen es auf die Bühnen.

Außerdem auffällig: JakoJako, Sarah Sommers oder eben Kert - viele Frauen spielen die hochtechnischen Geräte. Für die 42-Jährige ist das eine Frage der Sichtbarkeit: "Mittlerweile ziehen mehr und mehr Frauen nach und tragen es auch nach außen. Sie sind nicht mehr so schüchtern und in sich gekehrt, wie sie es meiner Erfahrung nach waren. Sondern sind offener und zeigen auch, was sie fähig sind, damit zu tun."

Für Jessica Kert ist das Geschäft zu ihrem Alltag geworden. Eigentlich hatte sie Fotografie studiert und ist nur zufällig an den Job gekommen. Das ist mittlerweile zwölf Jahre her. Trotzdem beginnen ihre Augen zu leuchten, wenn sie von ihrem Platz am Tresen ihre Gäste beobachtet oder die modularen Schätze mustert.

"Ich kann mir mein Leben ehrlich gesagt nicht mehr ohne einen Synthesizer vorstellen, für mich ist das die absolute Freiheit", sagt Kert. Und davon gibt sie jeden Tag etwas an ihre Kunden weiter.

Sendung: Tagesthemen, 18.11.2024, 22:15 Uhr

Beitrag von Larissa Kahr

15 Kommentare

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  1. 15.

    ich versteh den Hype nicht! Das ist, ls wäre Mann ich einem tangerin Dream-Konzert und die Leute tanzen dazu, na und?

  2. 14.

    Alter Hut! Das kann man als Software bei Apple holen, viel besser!

  3. 13.

    "Ein Beispiel dafür ist Sibel Koçer alias JakoJako, die als jüngste Resident-DJ im legendären Berghain oft mit modularen Synthesizern auflegt."

    Wie passt der Begriff 'DJ', oder das 'Auflegen', zu diesen elektronischen Musikinstrumenten? Vielleicht wird die Dimensionalität dieser Instrumente besser begriffen, wenn exemplarisch erstmal der Pariser Live-Mitschnitt "Encore – Tangerine Dream" gehört wird, oder solche anderer Musiker/Musikgruppen. Ein DJ-Desk ist etwas anderes. Es gab auch zu diesen Musikern einen demokratischeren Zugang, als er etwa im Berghain üblich ist. Wer die Musik live hören wollte, der war lediglich darauf angewiesen früh genug ein Ticket zu kaufen. Kein Elite-Hokuspokus-Marketing, einfach nur Musik.

  4. 12.

    Aber da fehlt der Reiz des Authentischen, will sagen des analogen! Und es ist ein handwerk, daß, was Sie meinen, macht heute JEDER! Massenware ohne Charakter.

  5. 11.

    Klar kann man am PC vieles, wenn nicht alles machen. Aber die direkte Arbeit mit einem Modular Synthesizer, die Haptik, die "happy accidents" machen aber viel aus bei der Arbeit/Spiel mit einem Modularsynthi.

  6. 10.

    Wer richtig im SFB-Archiv (rbb) eintauchen würde, würde Juwelen finden. Aber nun ja, immerhin!

  7. 9.

    Entschuldigung, wer spricht hier von „programmierbaren Synthesizern“? Nochdazu 1957 ???
    Also ich kann mich aus meiner Jugendzeit noch recht gut an die Keyboarder der 70er Jahre erinnern - die hatten meist sogar eine Ausbildung in klassischer Musik an Konservatorien! Was man auch hörte…

  8. 8.

    Würden sie bitte noch kurz mitteilen für wen sie hier schreiben?
    Dafür geb ich nämlich keinen Pfennig (sorry, Cent) aus - egal was die Verbrecher von da GEMA da für eine Meinung haben!
    Pfui!
    Und in Gedenken an einige große Musiker!!!

  9. 7.

    Vielen Dank für diesen wichtigen Hinweis. Den Superlativ in der Überschrift kann ich nur schwer akzetieren. Diese "komplexen" Instrumente stezhen auch woanders...

  10. 6.

    Was soll den jetzt die Formulierung „programmierbar“ hier? Nu und mit dieser Jahreszahl glücklicherweise schon garnicht!
    Ich hoffe, bei den hier genannten Geräten handelt es sich um Analogtechnik, meist sogar monophon! Gespielt wurde diese übrigens noch von sogenannten „Musikern“….

    Und von denen hatte bis in die siebziger fast alle (selbst die „Hardrocker“) übrigens eine klassische Ausbildung!
    Programmiert wurde da garantiert nix - schon der Begriff dürfte wohl unbekannt gewesen sein ;-)

  11. 5.

    Der erste programmierbare Synthesizer war der RCA Mark II Sound Synthesizer, den Herbert Belar und Harry Olson 1957 entwickelt haben.

  12. 4.

    Ein Beitrag über Synthesizer, ohne "die Großen Player" zu erwähnen: Rick Wakeman und Keith Emerson. Zur Ergänzung: Robert Moog entwickelte d. ersten Synthesizer. Im Osten übrigens war Thomas Kurzhals von der Stern Combo Meissen ein berühmter Moog Synthesizer Player.

  13. 3.

    Oh! Wurde das nicht erst gestern gemeldet?

  14. 2.

    Man sollte niemanden die Nostalgie nehmen und die klassischen Synthesizer sind ohne Frage sehr beeindruckend. Allerdings muss man auch feststellen, dass sich jede Art von Tönen heute per Software genauso generieren lässt. Für sehr viele alte Synthesizer gibt es heute Plugins für die gängigen Musikproduktionssysteme, mit denen man alles 1 zu 1 genau so generieren kann, wie mit den Geräten früher.

    Klar, bei Live-Auftritten macht es natürlich mehr Eindruck, wenn jemand vor einer riesigen Technikkulisse steht und selber die Strippen zieht, im wahrsten Sinne des Wortes. Lässt sich aber heute auch alles am Bildschirm machen. Daran dann per MIDI ein x-beliebiges Keyboard anschließen. Aber hey, es gibt ja auch Leute, die Oldtimer sammeln oder Computer aus den 80er Jahren. Wenn es Spaß macht, ist alles okay.

  15. 1.

    Nicht zu vergessen Klaus Schulze, Tangerine Dream, Edgar Froese (solo), Kraftwerk, Baffo Banfi, Robert Schröder, Tim Blake, Isao Tomita und noch einige andere Klangkünstler/innen.

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