Interview | "Wunschbaum"-Aktion Berlin - "Es gibt mehr Familien, die sich kein Weihnachtsgeschenk leisten können"
Weihnachten ohne ein einziges Geschenk: Damit das keinem Kind in Berlin droht, erfüllt der Verein "Schenk doch mal ein Lächeln" Wünsche. Winnie Woike-Gilke erzählt, wie das funktioniert - und wie sich die zunehmende Armut in den Weihnachtswünschen spiegelt.
rbb|24: Frau Woike-Gilke, wir erwischen Sie jetzt - wenige Tage vor Weihnachten - in einer sehr stressigen Phase. Was beschäftigt Sie vom Verein "Schenk doch mal ein Lächeln" gerade?
Winnie Woike-Gilke: Wir sind dabei, über 4.000 Weihnachtsgeschenke für bedürftige Kinder in Berlin auszuliefern an die sozialen Einrichtungen, mit denen wir zusammenarbeiten. Das sind zum Beispiel Kitas in sozialen Brennpunkten oder auch Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete. Eigentlich wollten wir schon am Dienstag damit fertig sein - aber durch den aktuellen Krankenstand verzögert sich alles. Wir stemmen das Einpacken und Ausliefern als Ehrenamtliche, nach unseren ganz normalen Jobs.
In diesem Jahr sind durch Inflation und Energiekrise die finanziellen Sorgen in vielen Familien gewachsen. Spüren Sie davon etwas in Ihrer Vereinsarbeit?
Wir merken, dass unsere Aktion größer wird. 2015 - in unserem ersten Jahr - waren es 50 Kinderwünsche, die wir erfüllt haben. Inzwischen sind es Tausende. Das freut uns auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verdeutlicht es auch, dass sich die Lebenssituation von vielen Kindern in Berlin nicht verbessert hat. Es gibt mehr Familien, die sich kein Weihnachtsgeschenk für ihr Kind leisten können. Unser Ziel ist, genau diesen Kindern einen Weihnachtswunsch zu erfüllen.
Seit 2015 organisiert Ihr Verein dafür jährlich in der Weihnachtszeit die "Wunschbaum-Aktion". Wie funktioniert das?
Wir sehen uns als Vermittlungspartner: Wir verbinden Menschen, die Gutes tun wollen mit Kindern, die Gutes benötigen. Dafür bitten wir die sozialen Einrichtungen, mit denen wir zusammenarbeiten, jeweils einen Wunsch einzusammeln bei den bedürftigen Kindern, die sie betreuen. Die Wunschzettel der Kinder gehen wir durch und beschriften jeweils einen Papierstern handschriftlich mit einem Wunsch.
Und diese Papiersterne hängen später als Schmuck an den Wunschbäumen?
Genau. Das sind Weihnachtsbäume, die wir dieses Jahr an 18 öffentlichen Standorten in Berlin aufstellen konnten: in Foyers von Rathäusern, Bezirksämtern, Bibliotheken. Da konnte jeder und jede hinkommen, sich einen Wunsch pflücken, das Geschenk besorgen und es unverpackt wieder abgeben. Hinzukommen nochmal rund 20 Wunschbäume in Berliner Behörden und Unternehmen, wo die Beschäftigten Wünsche erfüllt haben.
Insgesamt haben wir in diesem Jahr rund 4.500 Wunschsterne aufgehängt. Da steht dann: Ich bin ein Junge, sechs Jahre alt und wünsche mir Lego-Figuren. Wir achten darauf, dass sich die Wünsche für maximal 25 Euro erfüllen lassen, damit sich möglichst viele Menschen beteiligen können.
Sie haben viele der Sterne selbst beschriftet. Welche Wünsche haben Sie besonders bewegt?
Mich macht es emotional, wenn ich Dinge wie Winterschuhe oder Nuckel für Babys auf die Wunschsterne schreibe. Ich habe selbst eine fünfjährige Tochter und finde es schwer zu verdauen, dass anderen Eltern die finanziellen Mittel fehlen, um solche Selbstverständlichkeiten abzudecken wie Stifte oder Schulranzen.
Sie sind seit 2019 Mitglied beim Verein "Schenk doch mal ein Lächeln". War Ihnen schon vorher bewusst, dass es in Berlin viele Kinder gibt, denen es an so Grundsätzlichem fehlt?
Nein, das hatte ich so nicht auf dem Schirm. Es macht mich einerseits traurig - andererseits zeigt es mir, dass wir mit unserem Verein das Richtige tun. Wir haben in diesem Jahr auch viele Anfragen von Einzelpersonen bekommen - teilweise wirklich verzweifelte Bitten - ob wir den Wunsch ihres Kindes auch erfüllen können.
Was waren das für Eltern? Und wie gehen Sie mit diesen Bitten um?
Da waren auffällig viele Alleinerziehende darunter, Mütter oder Väter, die ihren Job verloren oder gerade Schicksalsschläge erlitten haben - die Partnerin war bei einem ins Koma gefallen. Das ist emotional für mich sehr schwer, diesen Menschen abzusagen - aber wir arbeiten ausschließlich mit sozialen Einrichtungen zusammen, nicht mit Einzelpersonen. Wir vertrauen der Einschätzung professioneller Betreuer:innen, welche Kinder unsere Hilfe nötig haben, wer unterstützenswert ist. Unsere Zielgruppe sind die Kinder, für die ohne unsere Aktion sonst nichts unterm Weihnachtsbaum liegen würde.
Wie sorgen Sie dafür, dass sich die Wünsche auf allen Sternen erfüllen?
Wir rechnen immer mit einer Ausfallquote: also damit, dass Menschen einen Wunschstern pflücken, aber doch kein Geschenk abgeben. Wir planen mit rund 10 Prozent, die fehlen. Dieses Jahr haben die Krankheitswelle und lange Lieferzeiten reingespielt. Aber wir geben jeder sozialen Einrichtung, die bei uns Wünsche einreicht, das Versprechen, jeden einzelnen zu erfüllen. Was am Ende an Geschenken fehlt, besorgen wir Ehrenamtlichen vom Verein und finanzieren das über Spenden.
Was für einen Aufwand bedeutet das für Sie und das restliche Kernteam des Vereins?
Es bedeutet für mich, dass ich seit Oktober von morgens bis abends für die "Wunschbaum"-Aktion arbeite - wenn ich nicht gerade meinen Vollzeitjob mache. Am vierten Adventswochenende war ich von 7 bis 22 Uhr im Einsatz, teilweise haben wir noch nachts Geschenke eingepackt. Das ist nur möglich, weil viele Freunde unterstützen, sich die halbe Familie im Verein engagiert: Meine beiden Schwager sind die Gründer und meine kleine Tochter hat die Befestigungen für die Wunschsterne gebastelt.
Was motiviert Sie zu diesem Maß an ehrenamtlicher Arbeit?
Unser Verein heißt "Schenk doch mal ein Lächeln" - und genau das funktioniert mit der "Wunschbaum"-Aktion. Dienstag war so ein Tag, da war ich völlig platt und frustriert, weil gefühlt gar nichts geklappt hat bei der Auslieferung der Geschenke. Aber dann habe ich am Abend die ersten Fotos bekommen von Kindern, denen die sozialen Einrichtungen unsere Geschenke übergeben.
Wenn ich das sehe - diese großen Kinderaugen - dann weiß ich ganz genau, wofür wir es machen. Und wir vom Verein sind es nicht alleine. Möglich werden diese tausenden erfüllten Wünsche nur durch die Tausenden, die mitmachen bei der Aktion, die Geschenke kaufen, uns helfen beim Einpacken, beim Ausliefern. Ja, es ist anstrengend, aber es gibt viel mehr als alles Geld der Welt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview für rbb|24 führte Anne Kohlick.
Sendung: Fritz, 22.12.2022, 07:15 Uhr