Hotline "Silbernetz" aus Berlin - "Wir werfen den Menschen einen Rettungsanker hin"
Seit sechs Jahren bietet der Verein Silbernetz alten Menschen Rat und Trost per Telefon. Mittlerweile arbeiten mehr als 70 Menschen für die Hotline. Der Erfolg freut Gründerin Elke Schilling - den Hauptjob sieht sie aber bei den Anrufern selbst. Von Sylvia Tiegs
Es ist ein trüb-grauer Dezembervormittag in Berlin-Gesundbrunnen. In einer Altbauwohnung in der Wollankstraße sitzen zwei Mitarbeiterinnen des Vereins Silbernetz mit Headsets auf dem Kopf vor ihren PCs und telefonieren übers Internet mit Anrufern.
Elke Schilling nimmt sich einen weiteren, freien Platz und startet den Rechner - sofort hat auch sie eine Anruferin in der Leitung: Eine Seniorin aus dem Landkreis Oberhavel hat Fragen zur häuslichen Pflege. Elke Schilling hört zu, lacht, sucht parallel zum Gespräch Informationen raus.
Den Tipp mit dem Silbernetz e.V. habe sie von ihrer Hausärztin bekommen, sagt die Anruferin. "Das passiert ganz häufig", sagt Elke Schilling nach dem Gespräch, nicht ohne Stolz. "Die Ärzte haben nicht viel Zeit, schon gar nicht zum Reden. Dann empfehlen sie uns." Die Silbernetz-Gründerin ist froh über solche Hinweise.
Die Einsamen erreichen
Dass sie etwas gegen die Einsamkeit der Älteren unternehmen möchte, hat Elke Schilling gemerkt, als sie selbst längst Rentnerin und ehrenamtlich Seniorenvertreterin war. "Da ist mir aufgefallen, wie viele alte Menschen man eigentlich nicht erreicht", sagt die 78-Jährige.
Die Diplom-Mathematikerin kniete sich in das Thema rein, las Studien, Statistiken und verglich Zahlen. Am Ende hatte sie ausgerechnet, dass ungefähr acht Millionen Menschen in Deutschland gelegentlich Einsamkeitsgefühle haben. Aber wo findet man diese Menschen? Und wie finden sie selber Kontakt?
Elke Schilling suchte nach Lösungen und fand sie in Großbritannien: Dort gab es schon vor etwa zehn Jahren "The Silver Line", ein telefonisches Kontakt-Angebot für Senioren. Elke Schilling war begeistert und übertrug Idee und Konzept nach Deutschland. Seit dem Jahreswechsel 2018/19 ist das deutsche Silbernetz mit seinem "Silbertelefon" am Start, Hauptsitz: Berlin.
Engagement für andere
Schon als Kind habe sie gelernt, wie wichtig ein gutes Miteinander sei, sagt Elke Schilling: "Wir waren sechs Kinder zu Hause; ich hatte fünf ältere Brüder." Für Menschen, von denen sie glaubte, dass sie Unterstützung brauchen, setzte sich Schilling schon früh ein. Dabei ist sie bis jetzt geblieben.
Zwölf Jahre lang arbeitete Elke Schilling in der ehrenamtlichen Telefonseelsorge, daher kennt sie die Anforderungen für solche Kontaktangebote. Das alles konnte sie 2016 bei der Gründung von Silbernetz mit einbringen. Inzwischen sind in ganz Deutschland 23 festangestellte und 50 ehrenamtliche Mitarbeiter:innen für Silbernetz tätig.
An starken Tagen melden sich mittlerweile mehr als zweieihundert Menschen aus denm gesamten Bundesgebiet - ab acht Uhr sind die Leitungen offen. Dann rufen auch schon die ersten an und freuen sich über ein paar warme Worte am Morgen. "Die sagen dann: Für mich ist der Tag jetzt gerettet!", sagt Elke Schilling.
Hilfe zur Selbsthilfe
Es melden sich aber auch alte Menschen, die erzählen, sie hätten seit zwei Wochen mit niemandem mehr gesprochen. Andere wiederum leiden weniger unter Einsamkeit, sondern brauchen eher praktische Lebenstipps. Auch dafür ist die Hotline von Elke Schilling da.
Ist Silbernetz eine Art telefonischer Rettungsstation? "Na ja, wenn Sie so wollen, werfen wir den Leuten schon einen Rettungsanker hin." Aber die Menschen müssten schon selbst mitanpacken, "denn im Grunde genommen kann ich niemanden retten". Sie wolle den Menschen lieber Hilfe an die Hand geben, ihre eigene Rettung anzugehen.
Elke Schilling möchte weg vom Klischee der vermeintlich hilflosen, gebrechlichen alten Leute. Wer ihr das Kompliment macht, sie sehe ja viel jünger aus als 78, den fragt die gebürtige Leipzigerin forsch zurück: "Wie alt soll ich denn aussehen für 78?"
Sendung: Inforadio, 23.12.2023, 07:45 Uhr