Familienstress an den Feiertagen - "In welchen Hobbykeller soll ich meinen Vater jetzt schicken?"
Als Wiebke Keuneke ihre Eltern zu Weihnachten einlädt, denkt sie noch, das wäre eine tolle Idee. Nun fragt sie sich, wie sechs Personen in drei Zimmern das überstehen können. Es wird wohl heiß hergehen - und vor allem deshalb besonders schön.
Wir feiern Weihnachten dieses Jahr also bei uns. Statt zu meinen Eltern in die niedersächsische Provinz zu fahren, kommen Oma und Opa zu uns nach Kreuzberg.
Statt mit einem 4- und einem 7-Jährigen stundenlang im Auto zu sitzen, werden wir Besuch von zwei 70-Jährigen bekommen. Als ich das vor ein paar Monaten vorgeschlagen hatte, war ich begeistert. Jetzt beginnt mich die Panik zu beschleichen. Statt im Einfamilienhaus mit Garten und - in dieser Zeit besonders wichtig - einem Kamin Weihnachten zu feiern, werden wir bei uns in Berlin sein. Drei Zimmer-Küche-Bad, ohne Aufzug, im vierten Stock.
"Wir. Schaffen. Das!"
"Du wolltest es doch so", erinnert mich in diesen Tagen mein sieben Jahre jüngerer Bruder, der schon vor Wochen angekündigt hatte, dieses Jahr zu Weihnachten mit seiner Frau und den drei Kindern im jüngst gekauften Haus in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben. "Was würde man nur ohne seine weisen Geschwister machen?", grummele ich - und sage, mich selbst beschwichtigend ins Telefon: "Jaha. Wir. Schaffen. Das!"
Die sich auf magische Weise verlängernde "to do"-Liste habe ich inzwischen einigermaßen unter Kontrolle gebracht. Ich meine, niemand schafft es ja alles abzuhaken, oder? Die Geschenke sind also besorgt, der Baum steht, der Mann kümmert sich um die Verpflegung. Und ich?
Angst vor der Explosion der Befindlichkeiten
Ich versuche der Angst vor einer Explosion der Befindlichkeiten mit generalstabsmäßiger Planung entgegenzuwirken. Kurz überlege ich, einen Stundenplan für die Weihnachtstage auszudrucken. Doch diese Uncoolness wäre mir vor mir selbst peinlich.
Was stresst mich denn so? Bei den "großen Themen" sind wir uns alle einig. Darüber bin ich sehr dankbar. Aber natürlich gibt es auch in unserer Familie "Interna", Foppereien, die bei zu wenig Sauerstoffzufuhr gepaart mit Platzmangel zum Kollaps führen können.
Sechs Menschen im Alter von 4 bis 70 Jahren haben immerhin unterschiedliche Bedürfnisse. Die Jungs spielen zwar die ersten Stunden nach dem Aufstehen schön zusammen, aber dann kommt der Punkt - und der Punkt kommt dann oft sehr plötzlich - an dem sie sich draußen austoben müssen. Total verständlich.
Bei meinen Eltern würde ich dann die Terrassentür öffnen. Egal wie kalt es ist, die Kleinen würden laut johlend rauslaufen. "Ablongieren" ist dafür der Fachbegriff im Elternjargon. Wir Großen würden derweil die nächste Tasse Kaffee trinken, uns faul zurücklehnen und die Jungs durchs Fenster beobachten. So wie es sich eben gehört, wenigstens ab und an mal. Hier in Berlin aber muss jemand mit den Kindern die Treppen runter und in den nächsten Park gehen. Wir machen das mehrmals am Tag, sieben Tage die Woche. Und wir werden das wohl auch an Weihnachten machen - wenn Oma und Opa zu Besuch kommen.
"Ja, Zähne müssen auch an Weihnachten geputzt werden! Nein, da gibt es keine Widerrede!"
Meine Mutter ist eine Großmutter, wie sie im Buche steht. Eine, die backt, bastelt, vorliest, immer Gummibärchen parat hat und Dinge erlaubt, die in meiner Kindheit undenkbar gewesen wären. Oma Jutta halt. Die Beste. Aber bei zu viel Bewegung hört der Spaß für sie auf.
Und mein Vater? Ein toller Typ und grandioser Großvater. Einer, der tobt, werkelt, wandert, erklärt und Quatsch macht. Opa Harry halt. Der Beste. Doch auch ihm wird es manchmal zu viel, wenn die alltäglichen kleinen Dramen mit den Kindern aufkommen.
"Ja, Zähne müssen auch an Weihnachten geputzt werden! Nein, da gibt es keine Widerrede!" In seinem Haus in Niedersachsen würde mein Vater sich dann kurz in seinen Hobbykeller zurückziehen und an etwas sägen, hämmern, schleifen, feilen, bohren oder leimen. Etwas Wichtiges natürlich. Aber wohin soll er sich jetzt an Weihnachten hier in unserer Drei-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung zurückziehen? Nicht, dass es bei uns in Berlin nichts zu reparieren gäbe. Aber soll ich ihm etwa die Nummer von Frau Giffey geben?
Und trotzdem: Am Ende dieses Jahres merke ich, so warm wie rund um die Weihnachtstage war es seit langem nicht in unserer Wohnung. Der Grund dafür? Viele Menschen auf kleinem Raum. Das lässt die berühmte Reibung entstehen, die Wärme erzeugt. Oder ist es doch die Liebe, die die Wärme bringt? Natürlich ist es die Liebe. Es ist ja schließlich Weihnachten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.12.22, 10:40 Uhr