Unterlagen aus 40 Jahren Bespitzelung - Bundesarchiv startet neuen Anlauf zur Rekonstruktion von Stasi-Akten
Die Schnipsel von bis zu 55 Millionen Seiten zerrissener Stasi-Akten liegen derzeit im Bundesarchiv. Nun wollen die Beamten das Material mit Computern rekonstruieren lassen. Zuletzt hatte sich das Fraunhofer Institut an dieser Aufgabe versucht.
Mehr als 30 Jahre nach der deutschen Einheit will das Bundesarchiv einen neuen Anlauf starten, Millionen Seiten zerrissener Stasi-Akten mit Computertechnik rekonstruieren zu lassen. Dazu werde der Vertrag mit dem bisher beauftragten Fraunhofer Institut gekündigt, teilte das Bundesarchiv am Dienstag mit. Nun folge eine "Markterkundung" und die Suche nach einem geeigneten Anbieter für die virtuelle Rekonstruktion nach heutigem Stand der Technik.
Beschäftigte des Ministeriums für Staatssicherheit hatten während der friedlichen Revolution in der DDR 1989 und 1990 im großen Stil Akten des Geheimdiensts zerrissen. Rund 15.500 Säcke mit Schnipseln wurden gesichert in der Hoffnung, die zeitgeschichtlich wichtigen Dokumente wieder zusammenzusetzen.
"e-Puzzler" kein durchschlagender Erfolg
Das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) prüfte seit 2007, wie das mit Computertechnik klappen könnte. In einem Test sollten zunächst Schnipsel aus 400 Säcken virtuell wieder lesbar gemacht werden. Obwohl der dafür entwickelte "e-Puzzler" grundsätzlich funktionierte, gab es so viele technische Hürden, dass zunächst nur 23 Säcke mit 91.000 Seiten bearbeitet wurden.
Zum Vergleich: Gleichzeitig wurden auch Dokumente per Hand wieder zusammengesetzt, und das gelang immerhin binnen 20 Jahren bei 1,7 Millionen Seiten aus 600 Säcken. Diese manuelle Rekonstruktion soll in jedem Fall weiter gehen. In das IPK-Pilotprojekt hat der Bund nach Angaben des Archivs seit 2007 rund 6,5 Millionen Euro investiert.
"Im Interesse der Opfer der SED-Diktatur haben wir uns für einen Neuanfang entschieden"
"Leider müssen wir feststellen, dass das anspruchsvolle Forschungsvorhaben zur virtuellen Rekonstruktion unsere gemeinsamen Hoffnungen nicht erfüllt hat", erklärte Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs. "Weil wir den Auftrag sehr ernst nehmen und im Interesse der Opfer der SED-Diktatur vorankommen wollen, haben wir uns für einen klaren Schnitt und einen Neuanfang entschieden."
Es wird angenommen, dass in den bis zu 55 Millionen Seiten aus den Schnipselsäcken wichtige Informationen zur Stasi-Überwachung aus den 40 Jahren DDR-Geschichte stecken. In einigen manuell rekonstruierten Dokumente ginge es zum Beispiel um die Bespitzelung und Verfolgung von Oppositionellen wie Jürgen Fuchs, Robert Havemann oder des Schriftstellers Stefan Heym, erläuterte das Bundesarchiv. Auch Einblicke in die Dopingpraxis des DDR-Sports und die Grenzsicherung seien möglich geworden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 31.01.2023, 14:10 Uhr