1,5-Grad-Ziel fast nicht mehr zu erreichen - Weltklimarat fordert schnelle und drastische Klimaschutzmaßnahmen
Die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5-Grad wird laut einem Bericht des Weltklimarats weltweit deutlich verfehlt. Die Folgen sind deutlich mehr extreme Hitzeereignisse, Starkregen, Wirbelstürme und Sturmfluten. Von Andreas B. Hewel
In seinem neusten Bericht mahnt der der Weltklimarat eindringlich dazu, klimaschädliche Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren. Geschehe dies nicht, würde das Ziel, das einst im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben wurde, die Erderwärmung durch die Industrialisierung auf 1,5-Grad zu begrenzen, schon Anfang der 2030-er Jahre überschritten. Sofort, so der Weltklimarat, müsse gehandelt werden.
Und noch eine ernüchternde Botschaft hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler parat, die am Montag in Interlaken in der Schweiz ihren Bericht präsentierten. Auch wenn alle bisherigen Selbstverpflichtungen der Staaten zur Verringerung der Treibausgasemissionen eingehalten würden, würde dieses Ziel weit verfehlt.
CO2-Emissionen müssten um fast die Hälfte gesenkt werden
Um eine Chance zu haben, das 1,5-Grad-Ziel doch noch einzuhalten, müssten die CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent sinken, gemessen an den Emissionen von 2019. Das Gegenteil aber ist derzeit der Fall, die Emissionen steigen weltweit sogar. "Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die derzeitigen Pläne sind unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen", heißt es in dem Bericht. Doch nach 2030 müssten die Emissionen noch einmal deutlicher gesenkt werden als jetzt schon. 2035 brauche man ein Minus von 65 Prozent gegenüber 2019. Alle bisherigen Pläne zur CO2-Senkung aber geben das nicht her.
CO2-Emissionen steigen wieder
Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock reagierte umgehend auf die drastischen Zahlen. Der Bericht mache "mit brutaler Klarheit deutlich, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir als Weltgemeinschaft sitzen. 1,5 Grad sind die Schmerzgrenze des Planeten." Zusammen mit der Bundesregierung setze sie sich "für eine ambitionierte globale Klimapolitik ein". Die aber wird einiges abverlangen müssen, will sie das 1,5-Grad-Ziel nicht ganz aufgeben.
Eines der Probleme ist dabei, dass CO2 in der Atmosphäre sehr stabil ist und über Jahrzehnte erhalten bleibt. So hatte man bereits 2020 errechnet, dass die Welt nur noch insgesamt 500 Gigatonnen CO2 vertragen könne, um das 1,5-Grad-Ziel wenigstens mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit einhalten zu können. Das war 2020. Doch allein 2022 wurden 41 Gigatonnen CO2 weltweit ausgestoßen. Jede neue Emission kommt bei dieser Rechnung obendrauf und verstärkt das Problem. Laut Weltklimarat ist davon auszugehen, dass jeweils 1.000 Gigatonnen CO2 das Klima um 0,45 Grad erwärmen. Notwendig in der Zukunft seien so auch negative Emissionen, also Wälder, Moore oder Technologien, die CO2 speichern können.
Bislang aber, so der Weltklimarat, seien die Klimaschutzbemühungen vieler Regierungen zu wenig, um auch nur ein 2-Grad-Ziel einhalten zu können. Gerade einmal 2,8 Grad Klimaerwärmung könnten mit den konkreten Selbstverpflichtungen eingehalten werden. Eindringlich mahnt der Weltklimarat, entschlossen und schnell auf erneuerbare Energien umzusteigen. Vor allem aber brauche es dazu den politischen Willen.
Hohe Zustimmung für Klimaschutz
Die Bereitschaft zum Beispiel zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist unterdessen in Deutschland deutlich gewachsen. Das ergibt eine Erhebung des sogenannten Ariadne-Projektes, bei dem mehr als 25 Institutionen mit über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Klimaneutralität forschen. "Die Zustimmung zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist seit 2017 über alle Bundesgebiete, über alle Regionen gewachsen", sagt Katja Treichel-Grass vom Ariadne-Projekt.
Gut 20.000 Befragungen wurden in diesem Zusammenhang durchgeführt. "Wir reden hier von über 80 Prozent in fast allen Bundesländern." In Brandenburg sind es nur 77 Prozent Zustimmung. Es gebe ein Ost-West-Gefälle, räumt Treichel-Grass ein. "Und es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen Stadt und Land." Das sei nicht verwunderlich. So müssten hier zum Beispiel bei der Mobilität erst Alternativen gegeben sein, bevor man fossile Antriebe verteuern könne.
Weltklimarat hält an Zielen fest
Trotz aller pessimistischer Zahlen fordert der Weltklimarat, am 1,5-Grad-Ziel festzuhalten. Jedes Zehntel Grad, um das sich die Erde nicht erwärme, würde für viele Menschen einen Unterschied machen. "Eiliger Klimaschutz", so der Weltklimarat, "kann eine lebenswerte Zukunft für alle sichern." Wenigstens theoretisch, so Friederike Otto vom Weltklimarat in einem Interview in der "Zeit" [Bezahlschranke], sei selbst noch das 1,5-Grad Ziel erreichbar. "Das physikalische System erlaubt es uns, noch zu handeln."
Sendung: Fritz, 20.03.2023, 18:30 Uhr