Anwalt vertritt auch Mann aus Brandenburg - Was hinter den Klagen gegen Hersteller des Corona-Impfstoffs steckt
Ein Brandenburger klagt gegen Biontech. Er glaubt, infolge der Coronaimpfung schwer erkrankt zu sein. Sein Anwalt fiel im "Querdenken"-Milieu auf. Von Silvio Duwe, Daniel Laufer und Markus Pohl
Das Leben von Oliver Janke hat sich dramatisch verändert. Kurz nach seiner Impfung gegen Corona erkrankte der 22-Jährige aus Groß Kreutz schwer – das war vor knapp zwei Jahren. Seine Ärzte diagnostizierten das Guillain-Barré-Syndrom, eine neurologisch bedingte Muskelschwäche. Beim Gehen stützt er sich auf einen Stock. "Die Füße funktionieren nicht mehr und es kann auch schnell dazu kommen, dass ich wieder im Rollstuhl sitze." Janke glaubt: Ursache dafür ist die Impfung.
Mehr als 160 Klagen eingereicht
Vor dem Landgericht Potsdam will Janke Biontech auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagen. Hilfe bekommt er dabei von Tobias Ulbrich, einem Anwalt aus Düsseldorf. Janke sagt, er sei im Internet auf Ulbrich gestoßen. "Herr Ulbrich macht schöne Werbung. Ich glaube, wir haben über zweieinhalb Stunden gesprochen", sagt er im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste. Am Ende hätten sie entschieden, sie würden zusammenarbeiten.
Ulbrichs Kanzlei ist in Deutschland hauptverantwortlich für die Klagewelle gegen Hersteller von Impfstoffen. Mehr als 160 Klagen hat sie nach seinen Angaben bei deutschen Gerichten eingereicht, täglich kämen neue dazu. Seine Mandanten sollen infolge der Coronaimpfung an gesundheitlichen Schäden leiden. Dass es solche Schäden gibt, ist unbestritten – sie sind allerdings sehr selten. Experten und Gesundheitsbehörden betonen daher, generell seien die Impfungen sicher. Ulbrich hingegen gibt seit Monaten Medieninterviews, in denen er dies in Zweifel zieht. Zeitungen berichteten genauso wie öffentlich-rechtliche Sender.
Dabei ist Ulbrich kein ausgewiesener Experte für Medizinrecht. Die Kanzlei "Rogert & Ulbrich", die er mitgegründet hat, ist vor allem durch Klagen gegen Volkswagen und andere Autohersteller wegen Abgasmanipulationen bekannt. Laut ihrer Website ist Ulbrich eigentlich Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht.
Düstere Werbebotschaften
Dass sich dennoch derart viele Menschen an ihn gewendet haben, die glauben, von Impfschäden betroffen zu sein, hängt womöglich mit einer bemerkenswerten Werbestrategie zusammen. So gaben die Düsseldorfer Anwälte im vergangenen Jahr eine Pressemitteilung heraus, in der sie vorrechneten, allein durch den Impfstoff von Biontech könnte es in Europa 1,1 Millionen Tote geben. "Wir lassen Geimpfte nicht im Stich", versprachen sie.
Für Aufmerksamkeit trommelte die Kanzlei auch mit der Bekanntgabe, Blutbilder von Mandanten würden zeigen, dass diese unter einer Autoimmunerkrankung namens "V-AIDS" litten. Das "V" steht dabei für "Vakzin" - eine Impfung. "Offenkundig" würde die körpereigene Immunabwehr "als Folge der Impfung(en)" zerstört "oder zumindest eklatant" geschwächt, hieß es in einer Pressemitteilung hierzu.
Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, widerspricht dieser "V-AIDS"-These im Kontraste-Interview deutlich. Eine solche Erkrankung gebe es nicht. Dem Immunologen zufolge gibt es keine stichhaltigen Hinweise darauf, dass die Coronaimpfung das Immunsystem dauerhaft schädigt – im Gegenteil. "Das Immunsystem ist gestärkt durch die Impfung, weil ich danach besser auf eine Infektion gegenüber Corona geschützt bin."
Es scheint denkbar, dass die düsteren Werbebotschaften für Ulbrichs Kanzlei Folgen haben könnten. Der Jurist Martin W. Huff, der einen Sammelband zum anwaltlichen Berufsrecht herausgegeben hat, äußert gegenüber Kontraste Bedenken. Wenn es so etwas wie "V-AIDS" medizinisch nicht gebe, könne Ulbrichs Kanzlei nicht behaupten, dass ihre Mandanten daran leiden.
Nach seiner Einschätzung würde es sich dabei um eine "unsachliche Äußerung" handeln – eine solche sei Anwälten aber verboten. "Darunter subsumieren wir Berufsrechtler, dass keine unwahren Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden dürfen." Huff warnt: Eine Rechtsanwaltskammer und ein Konkurrent könnten wegen der "V-AIDS"-Äußerungen gegen Ulbrichs Kanzlei vorgehen.
Auftritte im "Querdenken"-Milieu
Doch nicht nur in den Pressemitteilungen seiner Kanzlei fällt Ulbrich mit steilen Thesen zu Coronaimpfungen auf. Mehrfach trat er im selbst ernannten "Corona-Ausschuss" auf - einer Videoreihe aus dem "Querdenken"-Milieu. Im Januar berichtete Ulbrich dort ausführlich über eine Strafanzeige, die er 2021 dem Generalbundesanwalt geschickt hatte. Darin hatte er den Verdacht des Völkermords sowie des versuchten Völkermords geäußert, außerdem die Befürchtung, es sei zu Fällen von Hochverrat und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gekommen.
Auf einer langen Liste möglicherweise an solchen Taten beteiligten Personen führte Ulbrich neben dem CDU-Politiker Jens Spahn und dem Virologen Christian Drosten auch Veranwortliche von Biontech.
In der Anzeige behauptete Ulbrich zudem, nach dem Wunsch von Bill Gates solle "das deutsche Volk" mittels der Impfung auf 27 Millionen Einwohner reduziert werden. Auch äußerte er den Verdacht, dass es sich dabei beim Coronavirus und der Impfung um biologischen Kriegswaffen handeln könnte.
Als diese Spekulationen zur Sprache kommen, bittet Ulbrich mitten im Interview mit Kontraste darum, die Kamera auszumachen. Es gebe da etwas, über das er nicht sprechen könne. "Ich kann es wirklich nicht sagen, weil es dazu geeignet ist, einen Dritten Weltkrieg auszulösen."
Laut Ulbrich hätte diese Anzeige nie öffentlich werden sollen. Gegenüber Kontraste sagt Ulbrich, er habe damals lediglich einen Verdacht prüfen lassen wollen. Der Generalbundesanwalt wies die Anzeige ab.
Ein verschwörungsideologisches Weltbild
Für Josef Holnburger ist sie Zeugnis eines "geschlossenen verschwörungsideologischen Weltbilds". Der Politikwissenschaftler forscht am "Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas)" zu Verschwörungserzählungen. Von Ulbrich aufgestellte Behauptungen drehten sich darum, dass es eine kleine Gruppe gebe, die einen riesigen Machtapparat hätte und damit etwas unglaublich Böses tun wolle. Auch Positionen, die dieser öffentlich vertrete, fügten sich fast nahtlos in die "Querdenken"-Szene ein, so Holnburger.
Oliver Janke sagt, er habe mit Ulbrich über dessen Anzeige gesprochen. "Auch wenn er so was schreibt oder so etwas gefunden hat, sagt das nichts über seine Kompetenz aus." Ob Janke ein Gerichtsverfahren gegen Biontech gewinnen würde, ist ungewiss. Aktuelle Daten zeigen kein vermehrtes Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms nach Corona-Impfungen mit mRNA-Stoffen. Janke aber will an der Klage festhalten. Für Anwalt und Prozess rechnet er mit Kosten von mindestens 30.000 Euro, die zu einem großen Teil von seiner Rechtsschutzversicherung getragen würden.
Sendung: Kontraste, 27.04.2023, 21:45 Uhr