Online-Lieferdienste | Dark Stores in der Kritik - "Es klappert und scheppert und ist eine Zumutung"
Mit Fahrrädern liefern sie in Minutenschnelle Bestellungen an die Haustür. Doch die Lager der Online-Lieferdienste, die sogenannten Dark Stores, führen immer wieder zu Ärger bei Anwohner:innen, die sich vom Lärm massiv gestört fühlen. Von Stefan Oberwalleney
- Anwohner beschweren sich über Lärm von Warenlagern der Lieferdienste
- Amsterdam verbietet sogenannte Dark Stores in Wohngebieten
- Berlin-Charlottenburger Stadtrat sagt: Solche Liefereinrichtungen gehören nicht in Wohngebiete
Hildegard* wohnt in der Katzbachstraße in Berlin-Kreuzberg, genau gegenüber vom Viktoriapark. Im Erdgeschoss des großen Wohnhauses befanden sich einst zwei kleine Geschäfte und eine Eckkneipe. Die stand jahrelang leer, bis sich der Lieferdienst Flink eingemietet hat und die beiden angrenzenden Geschäfte gleich mit übernahm.
Jetzt ist hier ein sogenannter Dark Store entstanden - kein richtiges Geschäft, sondern ein Lager hinter Milchglasscheiben, von dem aus die Fahrradkuriere Lebensmittel und allerlei andere Waren in Windeseile zu den Onlinekund:innen bringen.
Für Hildegard bedeutet das: Ihre Nacht ist um 4:30 Uhr zu Ende. Dann nämlich erhält der "Dark Store" Nachschub. Lieferwagen halten vor dem Haus und Paletten werden über den Gehweg geschoben. "Furchtbar" stöhnt Hildegard, "es klappert und scheppert und ist eine Zumutung für alle Menschen, die hier wohnen". Tagsüber ständen dann die Fahrräder der Kuriere auf dem Gehweg, klagt sie, und "die Reparaturen werden selbstverständlich auf dem Bürgersteig erledigt. Hier vor der Tür".
Die Mieter:innen im Hauses hätten auch schon den Kontakt zum Manager des "Dark Stores" gesucht, ohne Erfolg. Auf rbb-Nachfrage verweist der Lieferdienst Flink auf die positive Entwicklung, was Nachbarschaftskonflikte anbelangt. "Während es zu Beginn unseres Geschäftes in Berlin gelegentliche Probleme mit Nachbarn in einigen Filialen gab, konnten diese über die letzten zwei Jahre kontinuierlich gelöst werden. Flink ist noch ein junges Unternehmen, aber wir wollen einen aktiven Part in der Nachbarschaft übernehmen und uns dauerhaft verbessern."
Für Hildegard klingt das wenig überzeugend. Auf ihre Beschwerden gehe niemand ein, sagt sie desillusioniert.
Eine Verbesserung im Auftreten der Lieferdienste registriert allerdings Oliver Schruoffeneger (Grüne). Er ist Bezirksstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf und für Ordnung, Umwelt, Straßen und Grünflächen zuständig. "Das war in den Anfängen ganz fürchterlich", sagt er über die Lieferdienste und äußert zu den "Dark Stores" eine klare Meinung: "Es werden immer mehr, insbesondere dann, wenn neue Firmen auf den Markt drängen. Sie sind mitten in den Wohngebieten. Das heißt: Wir holen uns morgens den ganzen Verkehr, den Lieferverkehr rein in die Wohngebiete und viele haben auch keine eigenen Betriebsflächen draußen. Dann stehen vor dem Laden zig Fahrräder, blockieren den Gehweg und man nutzt den öffentlichen Raum als Ladefläche. Solche Liefereinrichtungen gehören nicht in die Wohngebiete", so Schruoffeneger.
Konfliktpotenzial auch in anderen europäischen Städten
Online-Lieferserviceangebote einerseits und Wohnqualität in den Kiezen andererseits bergen auch in anderen Städten seit geraumer Zeit Konfliktpotenzial. Aus Wien berichtet die Zeitung "Der Standard" in einem Artikel vom Februar 2022 [derstandard.at] über Beschwerden von Anwohner:innen und Lärmbelästigung durch große Lkws bei der Anlieferung der Lager. Hier laufe der Betrieb 24 Stunden am Tag, und in der Nacht komme es zu Lärmbelästigungen durch Fahrer, die sich vor den Stores laut unterhielten. Die Spannungen zwischen Anwohner:innen und Lieferdienstmitarbeitenden hätten ein Ausmaß angenommen, "die nur knapp nicht in Handgreiflichkeiten münden".
Auch in Amsterdam beschweren sich Bürger der Stadt immer wieder über Lärm und zugestellte Gehwege. Deshalb hat die Stadt im Mai beschlossen, dass Online-Lieferdienste ihre Warenlager nicht länger in Wohngebieten betreiben dürfen. Die Depots müssen nun in Gewerbegebiete verlegt werden.
In Frankreich wollen die zuständigen Behörden die ungehinderte Ausbreitung von Dark Stores dadurch verhindern, dass sie eine neue Kategorisierung einführen. Dadurch soll den Städten die Möglichkeit geben werden, gegen Dark Stores vorzugehen, die sich einfach niedergelassen haben, ohne den geltenden lokalen Bebauungsplan einzuhalten.
Regulation bisher kaum möglich
Ein Regulationsinstrument vermisst auch Stadtrat Oliver Schruoffeneger in Berlin schmerzlich, wie er sagt. "Wir haben im Moment wenig Instrumente", die Ansiedlung von Dark Stores zu verhindern oder "das überhaupt steuern zu können", sagt er. Das liege am Bau- und Straßenrecht der Stadt Berlin.
Online bestellen und innerhalb kürzester Zeit die benötigten Lebensmittel geliefert zu bekommen, dieses Angebot stößt nach wie vor auf große Nachfrage. Es habe ja auch etwas, räumt der Bezirksstadtrat ein. Es brauche aber neue Lösungen. Eine Ausquartierung nach Vorbild Amsterdams sei in Berlin nicht der richtige Weg, sagt Schruoffeneger. Vielmehr sollten die Stores an zentralen Hauptverkehrsachsen liegen.
Stores konsolidieren und an zentrale Orte verlagern
"Ich glaube, wir müssen dahin kommen, dass es zentrale Orte gibt, die White Label sind, also wo alle Firmen drauf sind - gemeinsam, sodass wir nicht die ganzen Straßen mit einem Store nach dem anderen zukleistern", argumentiert der Stadtrat.
Auf dem Parkplatz am Ende der Kantstraße, gegenüber dem ICC sei so ein Ort geplant. "Von dort aus kann man dann bis hinten runter zur Joachimsthaler Straße alle Neben- und Seitenstraßen der Kantstraße wunderbar in unter zehn Minuten erreichen", so Schruoffeneger. "Es ist kein Gewerbegebiet, aber es ist halt in der Schnittstelle der Hauptverkehrsachsen."
Hildegard aus der Katzbachstraße hätte den Dark Store in ihrem Haus am liebsten irgendwo an die S-Bahn verbannt, wo es doch genügend Flächen gebe, sagt sie. Das aber ist derzeit nicht absehbar und deshalb dreht sie mit dem Hund noch schnell eine Runde im Viktoriapark. Denn der nächste Morgen ist nicht weit und ab 4:30 Uhr ist an Schlaf für sie nicht mehr zu denken.
* Name von der Redaktion geändert
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Sendung: rbb|24, 23.05.2023, 21:45 Uhr