Was wurde aus ...? | Schüler gründet Corona-Hilfsportal - "Man konnte die Hilfsangebote fast deckungsgleich über die Kurve der Fallzahlen legen"
Während der ersten großen Corona-Welle 2020 hat der 15-jährige Berliner Noah Adler eine Idee: Er startet eine Hilfsplattform im Netz, um Hilfsbedürftige und Helfende zu vernetzen. Was ist daraus zweieinhalb Jahre später geworden?
In der Interviewserie "Was wurde aus ...?" fragen wir nach bei Menschen, deren Geschichten uns besonders bewegt haben. Der Berliner Elftklässler Noah Adler rief Ende 2019 die Seite "Coronaport" ins Leben. Sie sollte zwei Gruppen zusammenbringen: Menschen, die wegen der Corona-Beschränkungen Hilfe brauchten, zum Beispiel bei Einkäufen oder weil sie sich einsam fühlten - und Menschen, die gerne helfen wollten.
rbb|24: Herr Adler, Wie geht es Ihnen heute, was machen Sie?
Noah Adler: Vor einem Jahr habe ich mein Abi gemacht, danach Praktika und Reisen. Im Wintersemester werde ich anfangen zu studieren. Ich habe mich auf ein paar Studiengänge beworben, in Berlin, München und im Ausland. Es geht in die Richtung IT und Wirtschaft, denke ich.
Was macht Ihre Seite "Coronaport"?
Die Seite ist noch online. Die Dynamik hat sich ja sehr verändert im Vergleich zu der Zeit, in der unser letztes Interview erschienen ist. Das war kurz vor meinem 16. Geburtstag, ich war in der 11. Klasse. Es war die Zeit, in der alle das erste Mal wegen Corona-Maßnahmen nach Hause geschickt wurden und vieles schließen musste. Keiner wusste so richtig, was los ist. Es gab keine eingespielten Teams, keine Routinen, keine Abteilungen in den Gesundheitsämtern, die sich um alles kümmern. Jetzt ist das natürlich ganz anders. Auch das Virus ist anders.
Was haben Sie auf der Seite verändert?
Ich habe eine Karten-Funktion hinzugefügt, auf der man nach Angebotstypen filtern konnte, also beispielsweise, ob man Hilfe bei Einkäufen sucht. Früher konnte man da nur so eine komische Tabelle aufrufen. Die Angebote auf der Karte wurden immer mehr. Seit etwa einem Jahr sind wir so bei 6.000 bis 7.000 Leuten, die sich dort registriert haben und entweder Hilfe suchen oder anbieten. Der größte Teil davon lebt in Berlin. Wieviel Hilfe da im Einzelnen genau vermittelt wurde, kann man leider nicht zählen. Aber die Besuchszahlen waren ziemlich hoch, ungefähr 300.000 Leute haben im weitesten Sinne mit der Seite interagiert.
Wenn wir nochmal in die Anfangsphase zurückgehen: Wie ist in Ihnen der Entschluss gereift, die Idee der Hilfsplattform wirklich in die Tat umzusetzen?
Ich habe oft einen Tatendrang was Neues zu machen, mich auszuprobieren, was dazuzulernen. Inhaltlich habe ich das Thema Corona damals einfach am dringendsten gesehen. Deutsche Behörden sind ja nicht dafür bekannt, dass sie super-dynamische, pragmatische Problemlöser sind. Alles ist immer ein bisschen kompliziert. Also dachte ich: Okay, ich kann schon irgendwas bauen und dann mal gucken was das bringt – keine Ahnung, in welche Richtung sich das entwickelt. Ich hatte Lust, Leuten zu helfen. Und ich dachte, so geht das am effizientesten.
Sie waren damals knapp 16 Jahre alt. Haben Sie sich manchmal überfordert gefühlt, als Sie das Angebot erstmal gestartet hatten?
Klar, am Anfang war es sicher überfordernd – aber ich habe mich da so reingeschmissen und wusste: jetzt musst du damit klarkommen. Eine der schwierigsten Sachen für mich war damals, den Umgang mit Presse zu lernen, wie man da eben spricht. Das ging übrigens nach dem rbb-Artikel richtig los. Aber es hat mir Spaß gemacht, und ich bin selbstbewusster geworden. Ich habe mich mit dem Projekt dann auch auf ein paar Preise und Wettbewerbe beworben. Da war das Beste, dass ich dadurch immer wieder Feedback von außen bekommen habe, das ich reflektieren und in die Entwicklung der Website einfließen lassen konnte.
Haben Sie auch einen Preis gewonnen?
Den Kinder- und Jugendpreis vom Deutschen Kinderhilfswerk [dkhw.de], den Junior-Club-Award [ep-juniorclub.de] und den Einheitspreis von der Bundesverfassung für politische Bildung [einheitspreis.de]. Diese Anerkennung zu bekommen hat mich natürlich gefreut.
Es ist zum Teil rührend, sich diese Tabelle durchzulesen. Eine Studentin schrieb zum Beispiel: "Gerade haben wir keine Kurse in der Universität und ich möchte Menschen in dieser schwierigen Krise helfen. Ich kann babysitten, Leuten einfach Gesellschaft leisten, kochen, backen, helfen beim putzen." Können Sie sich noch daran erinnern, wie das damals auf Sie gewirkt hat, als plötzlich diese Hilfsangebote von wildfremden Menschen auf Ihrer Seite eingetrudelt sind?
Ich fand es erstmal total lieb, teilweise auch süß, was die Menschen da so anbieten – das ist einfach schön zu sehen. Manche Angebote sind total hilfreich, da denkt man sich: Wow, da will jemand wirklich viel Zeit investieren. Bei anderen weiß man nicht, schreiben die das da nur hin, um sich moralisch ein bisschen zu entlasten oder meinen sie es wirklich ernst? Aber ich denke schon, dass die meisten Menschen es ehrlich gemeint haben und bereit waren, sich zu engagieren. Unabhängig davon vermittelt aber jedes Hilfsangebot ein Gefühl von Sicherheit: dass jemand für einen da sein würde, wenn man Hilfe bräuchte.
An welche Angebote können Sie sich besonders gut erinnern?
Es gab eine, die "Ausflüge bei sonnigem Wetter mit dem Auto aufs Land" angeboten hat. Vielleicht für Leute, die verängstigt zuhause saßen. Es waren ja noch gefährlichere Varianten im Umlauf. Eine andere wollte einen Tanzkurs über Zoom starten. Die hat das ziemlich gutmütig und lustig elaboriert, ich muss mal kurz nachsehen (lacht). Ah hier: "Wem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt: ich biete kostenlos online Tanzkurse an. Zum Stress wegschütteln und gute Laune verbreiten!"
Haben sich später nochmal Menschen bei Ihnen gemeldet, die Hilfe gegeben oder angenommen haben?
Es haben mir netterweise von Anfang an Leute gemailt, die sich bedankt haben, zum Beispiel dass sie jetzt jemanden gefunden haben, der einmal die Woche für sie einkauft. Das war schön. Aber es gab auch einige Mails von Leuten, die dachten, ich sei sowas wie ein Politiker. Ich habe vor kurzem zwei Monate Praktikum im Büro eines Bundestagsabgeordneten gemacht. Ich muss sagen: Manche Post, die ich bei Coronaport bekommen habe waren einigen Bürgerbriefen die der Abgeordnete erhalten hat vom Charakter her ähnlich.
Es gibt viele verzweifelte Leute, die sich mit ihren Ängsten und Sorgen, egal in welchem Bereich, teilweise obsessiv an Menschen wenden, denen sie Einfluss zutrauen - unabhängig davon ob diese Menschen wirklich verantwortlich oder zuständig sind und etwas ändern können. Das war interessant, aber auch ein bisschen schockierend zu sehen. Ich hätte mir gewünscht, dass ich da hätte helfen können. Aber das ging nicht. Zum Beispiel hat eine ältere Dame darum gebeten ihre Enkelin zu retten, die eine Krankheit hat.
Wie haben Sie dann reagiert?
Versucht, den Leuten das zu geben, was ich geben kann: Ja, ich habe es wahrgenommen, ich persönlich kann nichts machen. Aber wenn es eine Sache ist, die auf der Hand liegt, dann schicke ich einen Link mit, wo die mehr nachlesen können. Aber irgendwann kamen so viele Mails, dass ich nicht mehr alles so detailliert beantworten konnte. Das wären zwei, drei Jobs in einem gewesen.
Wie hat sich die Nachfrage auf der Seite mit den steigenden und sinkenden Fallzahlen entwickelt?
Am Anfang waren die Angebote ganz viele Hilfsgüter, also Desinfektionsmittel, Masken, weil wir damals ja nicht genug hatten. Dann waren es vor allem Angebote, Zeit zu verbringen oder eben sowas wie Einkäufe zu erledigen. Aber insgesamt kann man sagen: Man konnte die Aufrufe und Angebote fast deckungsgleich über die Kurve der Fallzahlen legen. Als die Zahlen im Sommer niedrig waren, gab es auch weniger Aktivität auf der Seite, ganz klar. Zum Winter hin wurde es dann wieder mehr. Überhaupt konnte man klar sehen: Je mehr über Corona berichtet wurde, desto mehr Angebote kamen rein.
Braucht es heute Ihre Seite noch?
Die Seite ist mittlerweile ja gut zwei Jahre alt und die Situation hat sich verändert, es gibt jetzt ganz andere Strukturen, nach Lockdowns und den Maßnahmen aus den ersten beiden Wintern sieht es momentan ja nicht aus. Ich denke es ist sinnvoller, wenn sich jemand wirklich engagieren will, das auch an anderer Stelle zu tun. Vielleicht Richtung Energiekrise, das könnte ein Thema sein. Wir haben Inflation, extrem steigende Energiepreise, Krieg zwischen Russland und der Ukraine, im Winter die Kälte, noch dazu Corona - das macht meine Generation nervös. Vielleicht werden sich in dem Bereich ein paar Sachen auftun.
Was könnten Sie sich da vorstellen?
Man kann da vorläufig nicht viel machen, aber Manpower wird immer gebraucht werden: Beim THW oder der DLRG zum Beispiel, wenn es dann um die Verteilung von Decken, um Wärmeräume oder so etwas geht. Bei der Vermittlung dieser Manpower könnte man helfen, könnte ich mir vorstellen. Ich selber bin auch bei der DLRG Mitglied und beim Arbeiter-Samariter-Bund und krieg deswegen ein bisschen mit, was sie so machen und brauchen. Aber wie neue Hilfsangebote genau aussehen, das weiß momentan noch niemand, glaube ich.
Wie geht es mit Ihrer Seite weiter, wenn Sie mit dem Studium beginnen?
Ich habe im Laufe der Entwicklung der Seite immer wieder Leute mit ins Boot geholt, aber es waren immer Einzelne. Was die Verwaltung der Seite angeht, bin ich alleine. Die Frage ist jetzt, wie man das weiterentwickelt. Ich will die auf jeden Fall online lassen, denn es gibt ja immer noch Leute, die dort Hilfe anbieten. Ich habe leider auch niemanden, dem ich das ein bisschen in die Hand geben kann. Also wenn jemand irgendwie engagiert wäre und eigene Ideen hat, kann er sich sehr gerne bei mir melden [coronaport.net]. Ich kann die Seite so bieten, wie sie jetzt ist. Es wäre toll, wenn sich da jemand einbringen will.
Was sind die wichtigsten Sachen, die Sie durch Coronaport gelernt haben?
Die IT-Fähigkeiten: Ich musste zum Beispiel eine neue Programmiersprache lernen. Ich habe aber auch viel daraus gelernt, dass mir so unterschiedliche Leute von außen, ohne mich zu kennen, ganz vielfältiges Feedback gegeben haben. Wie man da kommuniziert, wie man auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse Rücksicht nimmt, auch ein bisschen wie man vor der Kamera redet, hat mich weitergebracht.
Andererseits: Von 15 bis 18 ist eben eine prägende Zeit des Lebens, da entwickelt man sich automatisch weiter. Coronaport war irgendwie mein Anlass, andere engagieren sich woanders und wachsen auf ihre Art daran.
Anders gefragt: Wie, denken Sie, werden Sie auf diese Zeit später zurückschauen?
Es ist eine wahnsinnig spannende und erfüllende Zeit. Zu sehen, dass sowas funktioniert, dass man Menschen hilft. Aber ich brauche auch irgendwie einen Ansporn, was zu verbessern, auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Ich habe etwas Angst davor, mich mit etwas endgültig zufrieden zu geben, weil das Fortschritt bremst.
Haben Sie schon eine Idee, welche berufliche Richtung Sie einschlagen wollen?
Ich denke auf jeden Fall, dass es irgendwas mit den Grundkompetenzen zu tun hat, die ich jetzt bei Coronaport nutze. IT finde ich supercool, es macht mir Spaß, mit modernen Technologien zu arbeiten. Aber ich finde es auch toll, Menschen zu helfen. Also immer wenn ich irgendwas mache, wäre es toll, wenn da ein übergeordneter Sinn dahinter steht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sebastian Schneider, rbb|24