Angespannte Versorgungslage in Berlin - Gesundheitsverwaltung sieht keine eigenen Fehler in Kinderkliniken
Wegen einer Welle von Atemwegsinfektionen bei Kindern warnen Mediziner in Berlin vor akuten Engpässen in Kinderkliniken. Sie fordern, dringend Personal aufzubauen. Die Gesundheitsverwaltung schiebt derweil die Schuld auf den Bund.
Senatsverwaltung verweist auf den Bund
Verantwortlich für die aktuelle Situation sei die "strukturelle Unterfinanzierung der Kinder- und Jugendmedizin in Verantwortung des Bundesministeriums für Gesundheit", ein Mangel an Pflegekräften und "aktuell verschärfend" eine Vielzahl an Atemwegsinfektionen.
Auch Thomas Götz (Grüne), ebenfalls Staatssekretär in der Berliner Gesundheitsverwaltung, wies am Sonntagabend auf eine Unterfinanzierung der Kinderärzte durch den Bund hin. "Die Situation ist durchaus dramatisch, nicht nur in Berlin", sagte er der rbb24 Abendschau. Im Moment gehe es darum, die akute Belastung von den Kliniken wegzubekommen.
Langfristig müssten aber andere Lösungen gefunden werden. "Die Fachkräfte sind letzten Endes Mangel", so Götz. Man versuche dem abzuhelfen, indem zum Beispiel ausländische Fachkräfte ihre Abschlüsse schneller anerkannt bekämen. Zudem sollen Betten, die wegen akuten Pflegekräftemangels stillgelegt sind, durch den Einsatz von "mixed Teams" aus Erwachsenen- und Kinderkrankenpflegern wieder in Betrieb genommen werden, so Götz.
Brandbrief an Gesundheitssenatorin
Zuvor hatten mehrere Kinderärzteverbände in einem Brandbrief an die Gesundheitssenatorin vor "unverantwortbaren Zuständen" in den Kinderarztpraxen sowie in den Krankenhäusern gewarnt. Schon jetzt gebe es Tage, "in denen in keiner der Berliner Kinderkliniken mehr ein freies Bett zu finden ist und Eltern für ihr Neugeborenes keine/n Kinder- und Jugendarzt/-ärztin finden", heißt es in dem Schreiben, das dem rbb vorliegt. Wegen der schlechten Versorgungslage kämen Kinder in Berlin schon jetzt zu Schaden oder müssten nach Brandenburg verlegt werden.
Zu den Ursachen der aktuellen Krise und den notwendigen Maßnahmen gibt es derweuil verschiedene Ansätze. Beatrix Schmidt, Chefärztin der Kinderklinik im St. Joseph-Krankenhaus in Tempelhof, sieht dringenden Handlungsbedarf schon bei der Ausbildung: "Es gibt einen Abbau der Medizin-Studienplätze, obwohl es einen Anstieg der Bevölkerung gibt", sagte sie dem rbb. Wenn man jetzt bei der medizinischen Ausbildung vorausschauend plane, könne man das Ruder in drei bis sechs Jahren rumreißen, so Schmidt. Denn so lange bräuchten die Ausbildungen von Ärzten und Pflegepersonal.
Klemens Raile, Vorsitzender Berliner Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (BGKJ), forderte im rbb, das Thema Kinder und Jugendliche und deren Gesundheit ganz oben auf die Agenda zu setzen. "Herr Lauterbach muss eindeutig für die auskömmliche Finanzierung der Pädiatrie sorgen und das möglichst ab Januar 2023", sagt er. Es sei nicht auszuschließen, dass es im pädiatrischen Bereich irgendwann richtige Blackouts gebe.
Experten rechnen mit stärkerer Ausbreitung von RSV
Zurzeit kommen besonders viele mit RSV erkrankte Kinder auf Intensivstationen. Zuletzt hatte die Berliner Charité am Donnerstag angekündigt, angesichts der angespannten Situation ein Netzwerk für Kindermedizin mit den anderen Kinderkliniken Berlins einzurichten.
RSV steht für Respiratorisches Synzytial-Virus, ein Erreger von akuten Atemwegserkrankungen. Es wird von Mensch zu Mensch verbreitet, vor allem durch Tröpfcheninfektion. Der Nachweis von RS-Viren erfolgt nach einem Abstrich im Labor.
Das Robert Koch-Institut rechnet damit, dass sich akute Atemwegserkrankungen in den nächsten Wochen noch deutlich stärker ausbreiten als bisher. In der vergangenen Woche sei die Zahl der erfassten Fälle auf sieben Millionen gestiegen, schreibt das RKI in seinem Wochenbericht. Die sogenannten RSV-Infektionen führen dazu, dass vor allem Säuglinge und Kleinkinder ins Krankenhaus kommen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 05.12.2022, 10:33 Uhr