Schlagstöcke, Fesseln, Bodycams - Bezirke wünschen sich mehr Ausrüstung für Berliner Ordnungsämter

Do 04.01.24 | 11:11 Uhr | Von Julian von Bülow
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Symbolbild: Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes Reinickendorf. (Quelle: dpa/Paul Zinken)
Video: rbb24 | 04.01.2024 | Nachrichten | Bild: dpa/Paul Zinken

Eigentlich soll das Ordnungsamt die Straßen der Hauptstadt sauber und ordentlich halten. Doch die Mitarbeitenden sehen sich immer wieder Angriffen ausgesetzt. Der Bedarf an Schutz und Ausrüstung steigt. Von Julian von Bülow

Allein 25 angezeigte Körperverletzungen, bei denen der oder die Täter identifiziert wurden. Das ist die Bilanz der Angriffe auf Mitarbeitende des Ordnungsamts Reinickendorf im Jahr 2023. "Dabei kam es auch zu Schlägen oder Angriffen mit Gegenständen", so Bezirksstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU). Im Juni wurde ein Mitarbeiter etwa wegen einer Parkkontrolle mit einem Stuhl beworfen.

Immer mehr Aufgaben der Polizei

Eigentlich soll der Außendienst des Ordnungsamts für Sauberkeit und ein friedliches Zusammenleben auf den Straßen Berlins sorgen. Gibt es eine Ruhestörung, leinen die Menschen in Berlin ihre Hunde in Parks an, halten sie sich an Grillverbote oder stehen Falschparker auf der Straße? Weisen Mitarbeitende des Ordnungsamts bei Verstößen auf die Regeln hin oder stellen ein Knöllchen aus, bleibt es bei manchen nicht dabei, die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Schrod-Thiel etwa stellt fest, dass es eine deutlich gesunkene Hemmschwelle gebe, "bei nichtigen Anlässen Gewalt anzuwenden – völlig losgelöst von der sozialen Schicht". Das sei die Erfahrung über die Berliner Landesgrenzen hinweg.

Das Bezirksamt Neukölln sieht einen Grund darin, dass auf die Ordnungsämter und damit die Mitarbeitenden des Allgemeinen Ordnungsdienstes immer mehr Aufgaben der Polizei übertragen würden. Damit steige auch das Konfliktpotenzial in der direkten Begegnung mit Bürger:innen.

Beleidigungen, Spucke, Tritte, Schläge

Angriffe auf Mitarbeitende des Ordnungsamtes gibt es auch 2023 in ganz Berlin, zeigt eine rbb-Nachfrage bei den Bezirken. Zwar könne sich der Außendienst des Ordnungsamts gegebenenfalls auch zurückziehen und später die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten veranlassen oder die Polizei hinzuzuziehen, antwortet das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Dennoch eskalieren Situationen immer wieder.

2023 habe es in Neukölln 13 Vorfälle gegeben, die angezeigt wurden - darunter eine Körperverletzung, neun Beleidigungungen, eine Nötigung und zwei Bedrohungen. In Lichtenberg hätten Unbekannte in zwei Fällen Mitarbeitende bespuckt, geschlagen und getreten. 55 Beleidigungen, 30 Bedrohungen und 13 körperliche Übergriffe gab es in Mitte. Tempelhof-Schöneberg verzeichnet 30 gemeldete Angriffe. Dabei sei "eine Steigerung der Aggressivität in den vergangenen Jahren grundsätzlich zu verzeichnen", so der Bezirk.

Das Bezirksamt Pankow hingegen sieht keinen Trend zu vermehrten physischen Übergriffen. Und aus dem Süden Berlins heißt es, dass es sich in Steglitz-Zehlendorf "weitgehend um verbale und seltener um körperliche Übergriffe" handele. Die Bezirksämter Spandau und Marzahn-Hellersdorf haben auf die rbb|24-Anfrage nicht geantwortet.

Einige Bezirksämter beklagen die ungenügende Strafverfolgung. "Ein großer Teil der Angriffe wird nicht zur Anzeige gebracht", heißt es aus Neukölln, "weil diese Verfahren erfahrungsgemäß von Gerichten eingestellt werden. Das ist frustrierend für die betroffenen Mitarbeitenden."

Solange die Angriffslust gegenüber den Mitarbeitenden steigt, muss auch über die weitere Ausrüstung zur Sicherheit unserer Dienstkräfte nachgedacht werden.

Julia Schrod-Thiel, CDU-Bezirksstadträtin in Reinickendorf

Warten auf Teleskopschlagstöcke

Wegen der Gewalt sind die Ordnungsämter bereits vielfach mit Gummi-Knüppeln und Pfefferspray ausgestattet. Das Bezirksamt Mitte hat zuletzt die Beschaffung von weiterem Pfefferspray (amtsdeutsch: Reizstoffsprühgeräte) für seine Ordnungsamt-Mitarbeitenden ausgeschrieben.

Reinickendorf präsentierte im Dezember sogar erstmals Helme für das Ordnungsamt - als Schutzmaßnahme für die Beschäftigten im Außendienst. Stich- und schusssichere Westen, schnittfeste Handschuhe, Schlagstöcke, Schutzbrillen und Digitalfunk gehören dort ebenso zur Ausstattung.

Derzeit läuft das Projekt "Zukunftsfähige Ordnungsämter", eine berlinweite Abstimmung zwischen Senat und Ordnungsämtern. Dabei werde auch über einheitliche Ausstattung und weitere Schutzmöglichkeiten diskutiert, etwa Teleskopschlagstöcke. Die würden hoffentlich im laufenden Jahr kommen, so das Bezirksamt Treptow-Köpenick. Die federführende Senatskanzlei kündigte auf rbb-Anfrage abgestimmte Ergebnisse für den Sommer an.

In Neukölln hofft man auch auf die Teleskopschlagstöcke, denn die seien kaum sichtbar und sollen "künftig verstärkt zur Deeskalation beitragen und nur im Notfall zur Selbstverteidigung dienen". Pankow hat sie bereits seit Frühjahr 2022, allerdings wurden sie noch nicht zur "Eigensicherung" eingesetzt. "Im täglichen Dienstgebrauch, insbesondere beim Rad fahren" seien sie grundsätzlich aber "deutlich bequemer zu tragen", so das Bezirksamt. Julia Schrod-Thiel aus Reinickendorf denkt über eine Einführung nach, "wenn zeitgleich eine Handfessel oder eine andere Möglichkeit der Fixierung eines Angreifers zur Verfügung gestellt wird".

Teils sind private Sicherheitsdienste, etwa im Auftrag der BVG, besser ausgestattet, als die bezirklichen Ordnungsämter.

Bezirksamt Neukölln

Bodycams zur Strafverfolgung

Beim eingangs erwähnten Stuhlwurf hilft auch die Schutzausrüstung wenig. Deshalb könnten sogenannte Bodycams zur Beweissicherung hilfreich sein, die alles mitfilmen, was auch ihr:e Träger:in gerade sieht. Charlottenburg-Wilmersdorf und weitere Bezirke unterstützen die Einführung der Körperkameras, denn häufig würden Verfahren zur Ahndung der Angriffe eingestellt werden, oft mangels Beweisen.

Laut Bezirksstadträtin Schrod-Thiel ist in Reinickendorf bereits ein Pilotprojekt für solche Kameras geplant. Die gesetzliche Grundlage für den Kameraeinsatz habe das Abgeordnetenhaus im Dezember geschaffen, so das Bezirksamt Steglitz. Bodycams seien auch unter den Vorschlägen in der Abstimmungsrunde der Ordnungsämter mit dem Senat, teilt die Senatskanzlei dem rbb mit.

Es muss nicht immer der Knüppel sein

Trotz der Diskussion um Schlagstöcke und Kameras zur Beweissicherung betonen die Bezirksämter, dass angespannte Situationen eigentlich nicht eskalieren sollen. "Neben der persönlichen Schutzausstattung besteht der beste Schutz der Mitarbeitenden in der Gewaltprävention und hier insbesondere im Erlernen und Trainieren von deeskalativen Verhaltensweisen", heißt es aus dem Charlottenburger Rathaus. Deshalb gebe es regelmäßig Trainings für den Außendienst.

Letztlich appelliere man auch an die Eigenverantwortung der Menschen, sich respektvoll und rücksichtsvoll anderen gegenüber zu verhalten.

Beitrag von Julian von Bülow

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42 Kommentare

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  1. 42.

    Manchmal passen solche Zufälle halt gerade zum aktuellen Thema der Aufrüstung des OA in Richtung polizeiähnliche EInheit. Eine Dokumentation wäre dann sehr sinnvoll gewesen, als Argument für bessere Ausrüstung.

  2. 40.

    Geltendes Recht heisst aber nicht, dass sich jeder daneben benehmen darf.Dann brauche ich auch kein Schlafzimmer und eine Wohnung sowie so nicht.Dazu hab ich das ja, damit man sich von anderen Abschotten kann. Aber nicht einmal das wird in dieser Gesellschaft akzeptiert.Respekt wurde von anderen auch schon zum Thema gemacht.

  3. 39.

    Erstaunlich, dass in einem Beitrag des rbb heute ein angegriffener Ordnungsamtsmitarbeiter in Mitte auf eine medizinische Behandlung verzichtet. Denn eine gerichtsfeste Dokumentation der Verletzungen ist für die Strafverfolgung sehr sinnvoll. Diese Dokumentation von Verletzungen bietet zum Beispiel die Gewaltschutzambulanz der Charite kostenlos an: https://gewaltschutzambulanz.charite.de/

  4. 38.

    Ich habe selbst lange im Schichtdienst gearbeitet und verstehe Ihr Anliegen. Aber wenn Sie schon Akzeptanz und Toleranz einfordern, sollten Sie auch geltendes Recht akzeptieren und tolerieren. An Werktagen (Mo-Sa) geht die Nachtruhe von 22-6 Uhr (laut Lärmschutzemissionsgesetz).

  5. 37.

    In Berlin herrscht Schwarz Rot, Ordnungsamt liegt im städtischen Aufgabenbereich.

  6. 36.

    Leider ist das OA nicht wie die früheren kontaktbereichsbeamten. Diese waren uns Kindern gegenüber freundlich und sufgeschlossen, aber such bestimmt. Wir haben als Kind "strammgestanden" , wenn sie uns ansprachen. Heute ist es leider so, das sie hauptsächlich daran interessiert sind Parksünder und Hundehalter zu "verfolgen". Man hat den Eindruck mehr interessiert sie nicht. Wenn müllsünder vor ihren Augen Müll auf den Straßen abladen, passiert gar nichts. Und wenn man diese Mitarbeiter nach 18 Uhr anspricht wird einem gesagt, wir haben ab 18 Uhr Feierabend. Wenden Sie sich schriftlich an das ordnungsamt. Toll!

  7. 35.

    Überprüfung des Radverkehrs auf Gehwegen und Fußgängerzonen. Ich wohne fussläufig der Wilmersdorfer, sehe ich als Witz des Tages an. Jetzt muss man auch auf diese dämlichen E-Scooter aufpassen.

  8. 34.

    Schlagstöcke und Handfesseln sollten nicht zur Ausrüstung des Ordnungsamtes gehören, sondern allein der Polizei vorbehalten sein. Die Mehrzahl der Bürger ist friedlich.

  9. 33.

    Das fehlt noch, das diese übermotivierten, generell unfreundlichen und belehrenden Ordnungsamtsmitarbeiter jetzt auch noch aufgerüstet werden.

  10. 32.

    Das ist auch nicht deren Job, die Sauberkeit obliegt der BSR und nicht dem Ordnungsamt. Der Außendienst des OA betreibt Gefahrenabwehr, kontrolliert z.B. auch Shisha-Bars oder illegale Bordelle. Es gibt sehr viele Aufgaben, die über Verkehrswidrigkeiten im ruhenden Verkehr hinausgehen, z.B. Lärmkontrollen, Kontrollen zur Einhaltung des Mehrwegverpackungsgesetzes, Überprüfung des Radverkehrs auf Gehwegen und Fußgängerzonen, Kontrollen des Jugendschutzgesetzes, etc.
    In den Ordnungsämter gibt es dann noch die Zentrale Anlauf- und Beratungsstelle, die Veterinär- und Lebensmittelaufsicht und das Gewerbeamt.

  11. 31.

    @Demarco: da täuschen Sie sich aber mit „Knöllchen dran und weg“ bei PRK‘s. Aber gewaltig!
    Da gibt es viel mehr „Bürgergespräche“ als Sie denken…schließlich hat man da auch deutlich mehr unterschiedliche Kundschaft und somit viel mehr Möglichkeiten verbal oder physisch attackiert zu werden.
    Schutz wird da nicht viel helfen, da die Eskalation häufig schon im Sekundenbereich und für Nichtigkeiten stattfinden.

  12. 30.

    Wie albern. Statt parkende Autos aufzuschreiben und Müll zu beseitigen wollen die Ordnungsämter nun mal richtig zeigen was Ordnung heißt. Braucht kein Mensch diese Aufrüstung.

  13. 29.

    Westliche Demokratien betrachten Singapurs Regierungsform daher manchmal dem Autoritarismus näher als einer Demokratie im westlichen Sinne. Der Bertelsmann Transformation Index 2022 ordnete Singapur den autokratisch regierten Staaten zu, insbesondere aufgrund der Unterdrückung der Opposition.

    Vandalismus und Graffiti können Haftstrafen sowie auch Prügel mit dem Rohrstock zur Folge haben.

  14. 28.

    Grundlegend ist wohl eher die ganz andere Mentalität in Südostasien.

  15. 27.

    Ob es die herrschende linksgrüne Politik irgendwie stutzig macht, dass selbst die Ordnungsämter immer mehr aufrüsten müssen? Welches Klientel ist die Ursache für diese Entwicklung?

  16. 26.

    Durch ihre Ausrüstung wollen sich diese Stadtangestellten wohl mehr Respekt verschaffen. Leider liegen Eskalationen auch an diesen Mitarbeitern selber, weil sie nicht de eskalieren können. Sie können der Polizei nicht das Wasser reichen, da hilft auch eine ähnliche Uniform, wie sie die Polizei trägt nicht. Würde die Polizei so überheblich sein wie diese Angestellten, hätte ich auch keinen Respekt.

  17. 25.

    Genau, da wird auch Mut aller Härte gegen Verbote vorgegangen, da traut sich niemand alles auf die Straße zu werfen oder mit bierflaschen durch die Bahn zu gehen. Sber bei unserem dudu wird sich keine Sauberkeit und Ordnung herstellen.

  18. 24.

    Sieht so aus, als würde das Ordnungsamt zu einer paramititärischen Einheit aufgebaut werden soll.

  19. 23.

    Ich bin gerade in Singapur und erstaunt darüber, wie sauber und freundlich eine Stadt sein kann. Leider ist in Berlin inzwischen jede Hoffnung verloren.