Schlagstöcke, Fesseln, Bodycams - Bezirke wünschen sich mehr Ausrüstung für Berliner Ordnungsämter

Eigentlich soll das Ordnungsamt die Straßen der Hauptstadt sauber und ordentlich halten. Doch die Mitarbeitenden sehen sich immer wieder Angriffen ausgesetzt. Der Bedarf an Schutz und Ausrüstung steigt. Von Julian von Bülow
Allein 25 angezeigte Körperverletzungen, bei denen der oder die Täter identifiziert wurden. Das ist die Bilanz der Angriffe auf Mitarbeitende des Ordnungsamts Reinickendorf im Jahr 2023. "Dabei kam es auch zu Schlägen oder Angriffen mit Gegenständen", so Bezirksstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU). Im Juni wurde ein Mitarbeiter etwa wegen einer Parkkontrolle mit einem Stuhl beworfen.
Immer mehr Aufgaben der Polizei
Eigentlich soll der Außendienst des Ordnungsamts für Sauberkeit und ein friedliches Zusammenleben auf den Straßen Berlins sorgen. Gibt es eine Ruhestörung, leinen die Menschen in Berlin ihre Hunde in Parks an, halten sie sich an Grillverbote oder stehen Falschparker auf der Straße? Weisen Mitarbeitende des Ordnungsamts bei Verstößen auf die Regeln hin oder stellen ein Knöllchen aus, bleibt es bei manchen nicht dabei, die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Schrod-Thiel etwa stellt fest, dass es eine deutlich gesunkene Hemmschwelle gebe, "bei nichtigen Anlässen Gewalt anzuwenden – völlig losgelöst von der sozialen Schicht". Das sei die Erfahrung über die Berliner Landesgrenzen hinweg.
Das Bezirksamt Neukölln sieht einen Grund darin, dass auf die Ordnungsämter und damit die Mitarbeitenden des Allgemeinen Ordnungsdienstes immer mehr Aufgaben der Polizei übertragen würden. Damit steige auch das Konfliktpotenzial in der direkten Begegnung mit Bürger:innen.
Beleidigungen, Spucke, Tritte, Schläge
Angriffe auf Mitarbeitende des Ordnungsamtes gibt es auch 2023 in ganz Berlin, zeigt eine rbb-Nachfrage bei den Bezirken. Zwar könne sich der Außendienst des Ordnungsamts gegebenenfalls auch zurückziehen und später die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten veranlassen oder die Polizei hinzuzuziehen, antwortet das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Dennoch eskalieren Situationen immer wieder.
2023 habe es in Neukölln 13 Vorfälle gegeben, die angezeigt wurden - darunter eine Körperverletzung, neun Beleidigungungen, eine Nötigung und zwei Bedrohungen. In Lichtenberg hätten Unbekannte in zwei Fällen Mitarbeitende bespuckt, geschlagen und getreten. 55 Beleidigungen, 30 Bedrohungen und 13 körperliche Übergriffe gab es in Mitte. Tempelhof-Schöneberg verzeichnet 30 gemeldete Angriffe. Dabei sei "eine Steigerung der Aggressivität in den vergangenen Jahren grundsätzlich zu verzeichnen", so der Bezirk.
Das Bezirksamt Pankow hingegen sieht keinen Trend zu vermehrten physischen Übergriffen. Und aus dem Süden Berlins heißt es, dass es sich in Steglitz-Zehlendorf "weitgehend um verbale und seltener um körperliche Übergriffe" handele. Die Bezirksämter Spandau und Marzahn-Hellersdorf haben auf die rbb|24-Anfrage nicht geantwortet.
Einige Bezirksämter beklagen die ungenügende Strafverfolgung. "Ein großer Teil der Angriffe wird nicht zur Anzeige gebracht", heißt es aus Neukölln, "weil diese Verfahren erfahrungsgemäß von Gerichten eingestellt werden. Das ist frustrierend für die betroffenen Mitarbeitenden."
Warten auf Teleskopschlagstöcke
Wegen der Gewalt sind die Ordnungsämter bereits vielfach mit Gummi-Knüppeln und Pfefferspray ausgestattet. Das Bezirksamt Mitte hat zuletzt die Beschaffung von weiterem Pfefferspray (amtsdeutsch: Reizstoffsprühgeräte) für seine Ordnungsamt-Mitarbeitenden ausgeschrieben.
Reinickendorf präsentierte im Dezember sogar erstmals Helme für das Ordnungsamt - als Schutzmaßnahme für die Beschäftigten im Außendienst. Stich- und schusssichere Westen, schnittfeste Handschuhe, Schlagstöcke, Schutzbrillen und Digitalfunk gehören dort ebenso zur Ausstattung.
Derzeit läuft das Projekt "Zukunftsfähige Ordnungsämter", eine berlinweite Abstimmung zwischen Senat und Ordnungsämtern. Dabei werde auch über einheitliche Ausstattung und weitere Schutzmöglichkeiten diskutiert, etwa Teleskopschlagstöcke. Die würden hoffentlich im laufenden Jahr kommen, so das Bezirksamt Treptow-Köpenick. Die federführende Senatskanzlei kündigte auf rbb-Anfrage abgestimmte Ergebnisse für den Sommer an.
In Neukölln hofft man auch auf die Teleskopschlagstöcke, denn die seien kaum sichtbar und sollen "künftig verstärkt zur Deeskalation beitragen und nur im Notfall zur Selbstverteidigung dienen". Pankow hat sie bereits seit Frühjahr 2022, allerdings wurden sie noch nicht zur "Eigensicherung" eingesetzt. "Im täglichen Dienstgebrauch, insbesondere beim Rad fahren" seien sie grundsätzlich aber "deutlich bequemer zu tragen", so das Bezirksamt. Julia Schrod-Thiel aus Reinickendorf denkt über eine Einführung nach, "wenn zeitgleich eine Handfessel oder eine andere Möglichkeit der Fixierung eines Angreifers zur Verfügung gestellt wird".
Bodycams zur Strafverfolgung
Beim eingangs erwähnten Stuhlwurf hilft auch die Schutzausrüstung wenig. Deshalb könnten sogenannte Bodycams zur Beweissicherung hilfreich sein, die alles mitfilmen, was auch ihr:e Träger:in gerade sieht. Charlottenburg-Wilmersdorf und weitere Bezirke unterstützen die Einführung der Körperkameras, denn häufig würden Verfahren zur Ahndung der Angriffe eingestellt werden, oft mangels Beweisen.
Laut Bezirksstadträtin Schrod-Thiel ist in Reinickendorf bereits ein Pilotprojekt für solche Kameras geplant. Die gesetzliche Grundlage für den Kameraeinsatz habe das Abgeordnetenhaus im Dezember geschaffen, so das Bezirksamt Steglitz. Bodycams seien auch unter den Vorschlägen in der Abstimmungsrunde der Ordnungsämter mit dem Senat, teilt die Senatskanzlei dem rbb mit.
Es muss nicht immer der Knüppel sein
Trotz der Diskussion um Schlagstöcke und Kameras zur Beweissicherung betonen die Bezirksämter, dass angespannte Situationen eigentlich nicht eskalieren sollen. "Neben der persönlichen Schutzausstattung besteht der beste Schutz der Mitarbeitenden in der Gewaltprävention und hier insbesondere im Erlernen und Trainieren von deeskalativen Verhaltensweisen", heißt es aus dem Charlottenburger Rathaus. Deshalb gebe es regelmäßig Trainings für den Außendienst.
Letztlich appelliere man auch an die Eigenverantwortung der Menschen, sich respektvoll und rücksichtsvoll anderen gegenüber zu verhalten.