Interview | Kein Mutterschutz nach Fehlgeburt - "Man will hören, dass man Mama geworden ist – auch wenn das Kind nicht da ist"

Mi 29.01.25 | 11:26 Uhr
Symbolbild:Eine schwangere Frau sieht sich Babyschuhe an, die sie über ihren Bauch hält.(Quelle:picture alliance/Westend61/A.Scheibe)
Bild: picture alliance/Westend61/A.Scheibe

Frauen, die ihr Baby vor der 24. Schwangerschaftswoche verlieren, steht kein Mutterschutz zu. Sie müssen jemanden finden, der sie krankschreibt. So ging es Amelie Laura Trapp aus Potsdam, deren Zwillingsmädchen in der 23. Woche starben.

Dieser Text enthält sensible Inhalte und thematisiert das Thema Fehlgeburt, was belastend und retraumatisierend wirken kann.

rbb|24: Liebe Frau Trapp, Sie waren im vergangenen Jahr schwanger mit Zwillingen, die Sie nicht lebend zur Welt gebracht haben. Was ist Ihnen passiert?

Amelie Laura Trapp: Als ich schwanger wurde, habe ich schon länger darauf gewartet, ein Kind zu bekommen. In der achten Schwangerschaftswoche habe ich erfahren, dass ich eineiige Zwillinge bekomme. Das war erst einmal ein großer Schock, denn ich war perspektivisch alleinerziehend. Ich habe aber ein tolles Umfeld, das mich gut aufgefangen hat.

Die Schwangerschaft ging unkompliziert los und blieb das auch erstmal. Mit eineiigen Zwillingen wird man sehr engmaschig kontrolliert, und die Rückmeldung war immer, dass sich alles absolut super entwickelt. Weil sich die Zwillinge eine Plazenta teilten, war ich ab der 13. Schwangerschaftswoche regelmäßig bei der Pränataldiagnostik, und auch da sah immer alles gut aus. In der 22. Schwangerschaftswoche hieß es dort aber, es sei eingetreten, was bei einer geteilten Plazenta passieren kann: Dass ein Kind zu schlecht und das andere überversorgt war.

Zur Person

Amelie Laura Trapp

Amelie Laura Trapp (34) lebt in Potsdam. Sie hat ihre Zwillings-Töchter Lilly Malou und Momo Mathilda im vergangenen Jahr in der 23. Schwangerschaftswoche verloren. Mutterschutz hätte ihr erst ab einer Geburt in der 24. Woche zugestanden.

Kann man darauf medizinisch reagieren?

Das kann man. Und der Arzt sagte auch, dass das schnell passieren müsste, weil eines der Kinder schon sehr unterversorgt sei. Eine meiner Töchter – es waren beides Mädchen – hatte kaum noch Fruchtwasser – und die andere hatte dementsprechend viel zu viel Fruchtwasser. Drei Tage später hat der Eingriff stattgefunden, der das wieder ausgleichen soll. Die Operation verlief ohne Komplikationen. Trotzdem ist meine erste Tochter, der es eigentlich etwas besser ging als der anderen, am Nachmittag des nächsten Tages verstorben. Meiner anderen Tochter ging es da aber noch erstaunlich gut – und ich hatte große Hoffnung, dass mein anderes Kind überlebt. Doch am Folgetag hat auch ihr Herz aufgehört zu schlagen.

Sie waren zu diesem Zeitpunkt in der 23. Schwangerschaftswoche. Also deutlich sichtbar schwanger. Sie haben sich vermutlich in jeder Hinsicht als werdende Mutter gefühlt?

Ja. Es waren Zwillinge, daher hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon einen sehr großen Bauch. Meine Töchter hatten zu diesem Zeitpunkt auch schon Namen. Sie heißen Lilly Malou und Momo Mathilda.

In den ersten zwölf Wochen war ich noch vorsichtig, aber ich kann mich erinnern, etwa in der 20. Schwangerschaftswoche zu einer Freundin gesagt zu haben, dass ich es endlich genießen kann, schwanger zu sein, weil ja nicht mehr viel schiefgehen kann. Ich habe nicht damit gerechnet, meine Töchter zu verlieren.

Wie haben Sie die Kinder dann auf die Welt gebracht?

Mir wurde dazu geraten, die Babys zu gebären. Ich habe in dem Moment nur noch funktioniert. Das Krankenhauspersonal, dem ich sehr dankbar bin, hat mich über alles aufgeklärt. Ich wollte nicht Warten. Den Gedanken, dass meine Kinder tot in mir sind, fand ich unerträglich. Wir haben dann die Geburtseinleitung sofort gestartet.

Ich war mir erst unsicher, ob es gut sein würde, die Kinder zu sehen nach der Geburt. Von Seiten der Krankenschwestern und des Krankenhaus-Seelsorgers hieß es da, dass die meisten Frauen das nach der Geburt wüssten. So war es bei mir auch. Ich wollte sie sehen.

Mir hätte geholfen, wenn es nach der Geburt einen automatisierten vorgegebenen Weg gegeben hätte, sodass ich mich nicht aktiv um irgendetwas hätte kümmern müssen

Amelie Trapp

 

Wie haben Sie sich zu der Zeit gefühlt?

Im Krankenhaus war ich völlig taub. Ich hatte vorher noch nie eine Geburt, und ich wusste überhaupt nicht, was auf mich zukommt. Ich wollte vor allem, dass alles vorbei ist. So war ich dann nach der Geburt, die trotz der Umstände wirklich schön war, auch erst einmal unfassbar erleichtert. Wirklich schlimm wurde es, als ich die Kinder im Krankenhaus zurückgelassen habe und nach Hause kam. Erst da habe ich realisiert, was passiert ist.

Ohne meine Schwester hätte ich vor allem die Zeit im Krankenhaus nicht durchgestanden. Sie hat in dieser Zeit unfassbare Stärke bewiesen und ist keine Sekunde von meiner Seite gewichen.

Infobox

Einigung über geplante Gesetzesänderung beim Mutterschutz

Für Mütter gilt für acht Wochen nach der Entbindung eine gesetzliche Schutzfrist. Nach einer Fehlgeburt hat eine Frau zurzeit nur dann Anspruch auf Mutterschutz, wenn sie die 24. Schwangerschaftswoche erreicht hat oder wenn das Kind mindestens 500 Gramm wiegt.

Künftig sollen Frauen, die ab der 13. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, Anspruch auf Mutterschutz haben. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, auf den sich die Fraktionen von CDU/CSU, Grünen und SPD laut einer gemeinsamen Presseerklärung geeinigt haben.

 

Am 30. Januar stimmte der Bundestag dem Gesetzesentwurf einstimmig zu [bundestag.de].

 

Wir wollen heute auch über das Thema Mutterschutz nach Fehlgeburten miteinander sprechen. Wie ging es nach der Geburt Ihrer Töchter weiter? Wurden Sie krankgeschrieben? Oder konnten Sie in Mutterschutz gehen?

Nein. Ich hatte darüber gar nicht nachgedacht und habe dann erfahren, dass mir Mutterschutz erst ab der 24. Schwangerschaftswoche zugestanden hätte. Oder wenn eines der Kinder mehr als 500 Gramm gewogen hätte. Da habe ich mich nur gefragt, wer sich sowas ausgedacht hat. Meine Töchter haben zusammen weit über 700 Gramm gewogen. Das spielte aber keine Rolle. Und davon mal ganz abgesehen: Ich hatte eine Geburt, ich hatte ein Wochenbett.

Durch meine Trauerarbeit kenne ich mittlerweile auch Frauen die in der 18. Woche entbunden haben, und die schwere Geburtsverletzungen davon getragen haben.

Hat jemand Sie komplikationslos krankgeschrieben?

Angeboten hat mir das niemand. Ich hatte im Krankenhaus nachgefragt, da hieß es, das könne nur eine Person und die sei nicht da. Ich wurde dann an einem Samstag entlassen und musste am Montagmorgen, nachdem ich erst meinen Arbeitgeber erzählen musste, was passiert war, meine Gynäkologin anrufen, damit sie mich krankschreibt. Ich musste die Ärztin nach der Fehlgeburt erst überzeugen, dass sie mich per Telefon krankschreibt. Es hieß auch, dass ein Nachweis gebraucht werde. Wer denkt sich denn sowas aus?

Konnten Sie dann länger als die üblichen ein bis zwei Wochen krankgeschrieben werden?

Das war total schwierig. Gynäkologen dürfen ihre Patientinnen wohl nur maximal zwei Wochen krankschreiben. Ich musste dann zu meiner Hausärztin, die ich durch einen Arztwechsel überhaupt erst einmal gesehen hatte. Ihr musste ich dann alles erzählen, und ich war in einem wirklich schlimmen Zustand. Ich konnte kaum ein Wort sagen, ohne zu weinen. Sie schrieb mich dann jeweils für vier Wochen krank. Aber ich musste mich bei jeder Krankschreibung erklären. Ich musste aufzählen, was ich tue, damit es mir besser geht, und sie legte mir immer wieder nahe, eine Reha zu machen, wegen etwaiger Nachfragen der Krankenkasse. Die Ärztin war zwar wirklich empathisch, aber ich musste mich immer wieder rechtfertigen, weil sie sich rechtfertigen musste.

Was waren Ihre Beweggründe, weiter krankgeschrieben zu werden?

Körperlich hat mich die Geburt etwa zwei Wochen beeinträchtigt. Die psychische Komponente hat sich dann erst entwickelt. Ich habe beispielsweise einige Wochen gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass ich Hilfe brauche, um das alles zu verarbeiten.

Was hätte Ihnen in dieser Situation geholfen?

Mir hätte geholfen, wenn es nach der Geburt einen automatisierten vorgegebenen Weg gegeben hätte, sodass ich mich nicht aktiv um irgendetwas hätte kümmern müssen.

So, wie es gewesen wäre, wenn Sie eine einzige Schwangerschaftswoche weiter gewesen wären?

Ja!

Nun soll es Änderungen dahingehend geben. Da heißt es, alles hänge vom Fortschritt der Schwangerschaft ab. Hätte das für Sie alles verändert?

Ich habe mir das alles angeschaut und finde es absolut nicht ausreichend. Dieses Thema ist so individuell. Es gibt Frauen, die mithilfe einer Kinderwunsch-Klinik jahrelang auf ein Kind warten. Für sie ist es direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest schlimm, wenn sie das Kind verlieren. Ich verstehe, dass man den Anspruch auf Mutterschutz in irgendeiner Art und Weise begrenzen will, aber ich finde, der psychologische Faktor, den so ein Verlust auslöst, wird völlig unterschätzt.

Die angedachte Änderung des Mutterschutzes schafft eine neue Grenze, indem alle, die Ihr Kind bis zur 12. Woche verlieren, keinen Anspruch haben.

Ich glaube, was für viele Frauen beim Thema Mutterschutz eine Rolle spielt, ist die Anerkennung des Mutter-seins. Frauen hören oft, vor der 12. Woche sei eine Fehlgeburt ganz normal. Das passiere halt, oder das Kind sei sicherlich krank gewesen. Das sind aber Sachen, die man gar nicht hören will. Man will hören, dass man Mama geworden ist – auch wenn das oder die Kinder nicht da sind.

Man hat auch, wenn man ein Kind vor der 12. Schwangerschaftswoche verliert, in der Regel eine Ausschabung. Das ist ein medizinscher Eingriff. Auch diese Mütter müssen doch – und wenn es kürzer ist – geschützt werden. Die Frauen sind im Schockzustand – und sollen am nächsten Tag auf die Arbeit. Sie sollten darüber wenigstens selbst entscheiden dürfen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

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