Hertha weiter sieglos - Eine Niederlage, die wichtig werden kann

So 05.02.23 | 08:16 Uhr
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Marco Richter (l) von Hertha sitzt nach dem Spiel am Boden.
Audio: rbb24 Inforadio | 05.02.2023 | Nikolaus Hillmann | Bild: picture alliance/dpa | Arne Dedert

Hertha präsentiert sich bei der 0:3-Niederlage bei Eintracht Frankfurt in der ersten Halbzeit in einem erschreckenden Zustand. So erschreckend, dass Trainer Sandro Schwarz in der Pause viel korrigiert – und damit womöglich zu seinem Glück gezwungen wird. Von Marc Schwitzky

Als Sandro Schwarz im vergangenen Sommer als neuer Trainer von Hertha BSC vorgestellt wurde, nannte Fredi Bobic, damals noch Berlins Geschäftsführer Sport, auch dessen klare Spielphilosophie als Grund für die Verpflichtung. Schwarz würde für "aktiven und vorwärts gewandten Fußball" stehen. Tatsächlich schienen diese Worte für eine längere Zeit keine Phrasen zu sein, Hertha konnte in der Bundesliga-Hinrunde in einigen Partien mit mutigem, modernem Fußball überzeugen.

Die Ergebnisse blieben jedoch bekanntlich aus. Als dann auch die ersten Partien nach der langen WM-Pause teils desaströs verloren gingen, griffen alte Verhaltensmuster bei Hertha: Eine lähmende Verunsicherung machte sich bei den Berlinern breit, vorherige Stärken sind nicht mehr sichtbar, bekannte Schwächen umso mehr. Schwarz wurde als Überzeugungstäter geholt, seine Spielphilosophie sollte der bestimmende Rahmen für Hertha sein. Spätestens als Hertha am Samstagnachmittag gegen Eintracht Frankfurt zur Halbzeit verdient mit 0:2 zurücklag, wurde wohl auch Schwarz klar, dass der eingeschlagene Weg dem Pragmatismus weichen muss.

Hertha wird von Frankfurt überrollt

Die Erkenntnis, dass der bisherige Ansatz von Schwarz auch in Frankfurt keine Früchte tragen würde, reifte wohl schon nach wenigen Minuten. Es herrschte zwischen dem Relegationsteilnehmer Hertha und dem Europa-League-Sieger Frankfurt von Beginn an ein dramatischer Klassenunterschied. Die Eintracht überrollte Hertha regelrecht. Der Ball wurde von den Hausherren so schnell und so präzise nach vorne gespielt, dass die Blau-Weißen keinerlei Zugriff auf den Gegner bekamen und hilflos wirkten.

Hertha selbst war die Nervosität deutlich anzumerken, im eigenen Ballbesitz unterliefen dem Tabellenvorletzten teils unerklärliche Fehler, der Ball fand kaum einmal den Weg über die Mittellinie. Die stetigen Angriffswellen der Eintracht wurden oftmals nur in letzter Sekunde geklärt, da ein hohes Anlaufen oder eine gewisse Kompaktheit im Zentrum schlicht nicht existierten. Einmal an den Ball gekommen, war er sofort wieder weg, da Hertha die Idee nach vorne, die Laufbereitschaft und die Präzision nahezu gänzlich fehlten. So konnte keine Entlastung geschaffen werden.

Ein zweifach entwischter Randal Kolo Muani, den Hertha nicht in den Griff bekam, sorgte in der 21. und in der 28. Minute für den 2:0-Halbzeitstand. Auch in diesen beiden Szenen ging für die miserabel aufgelegten Berliner alles zu schnell.

Schwarz rückt von seinen Prinzipien ab

Erneut sah sich Trainer Schwarz zur Halbzeitpause einem Scherbenhaufen gegenüber – absolut nichts hatte bis zu diesem Zeitpunkt funktioniert. Und erstmals entschied er sich nach 45 Minuten dazu, seinen gewählten Ansatz radikal umzuwerfen. Bereits innerhalb der ersten Halbzeit hatte Schwarz sein favorisiertes 4-3-3 aufgeben, da Hertha im Zentrum durchgängig überlaufen wurde, und die Formation auf ein 4-4-2 mit Mittelfeldraute umgestellt.

In der Halbzeitpause wich Schwarz dann mit dem 5-3-2 erstmals in seiner Hertha-Zeit auf ein System mit Dreierkette aus: Sein ersehnter mutiger Pressingfußball, den die Mannschaft aufgrund von Verunsicherung nun schon seit ein paar Spielen nicht mehr mit Leben füllt, machte Platz für einen deutlich defensiveren Ansatz. Hertha wollte defensiv die Frankfurter Formation spiegeln und das eigene Spiel breiter anlegen. Hierfür nahm Schwarz bereits zur Halbzeitpause drei Wechsel vor – ebenfalls ein Novum. Neuzugang Cigerci, Mittelstürmer Jessic Ngankam und Außenverteidiger Maximilian Mittelstädt kamen in die Partie.

Hertha zeigt im zweiten Durchgang Haltung

Der neue Ansatz von Schwarz zeigte im zweiten Durchgang Wirkung. Hertha hatte defensiv besseren Zugriff auf Frankfurts Angreifer, es ergaben sich deutlich weniger brenzlige Situationen. Vor allem im Spiel mit dem Ball war eine klare Steigerung zu erkennen. Das lag zum einen daran, dass er Hertha mit einem zusätzlichen Abwehrspieler mehr Anspielstationen hatte und weniger leicht zu pressen war.

Zum anderen hatte aber auch Neuzugang Cigerci gehörigen Anteil an der besseren Ballzirkulation. Der 30-Jährige zeigte sofort, wofür er verpflichtet wurde: Er forderte stets den Ball, war immer anspielbar, spielte kluge Pässe und dirigierte seine Mitspieler. Cigercis Präsenz tat der Mannschaft sichtlich gut, die von dessen Vorgänger, Jean-Paul Boetius, nur zusätzlich verunsichert wurde. Im Vergleich zur ersten Halbzeit hatte Hertha sieben Prozent mehr Ballbesitz.

Aufgrund des ruhigeren Ballbesitzes erlang Herthas etwas mehr Selbstvertrauen, wodurch auch offensiv erstmals etwas Gefahr entstand. Der neue Mittelsturm aus Florian Niederlechner und Joker Ngankam, aber auch das zentrale Mittelfeld und die beiden Flügelspieler wirkten im zweiten Durchgang besser abgestimmt, wodurch sogar kleine Druckphasen entstanden – Hertha verzeichnete immerhin doppelt so viele Schüsse aufs Tor wie in Halbzeit eins. In der 62. Minute hätte Ngankam beinahe für den Anschlusstreffer gesorgt, doch sein Schuss wurde noch auf der Torlinie geklärt.

In dieser Form nicht bundesligatauglich

Herthas Steigerung sollte jedoch ertraglos bleiben. Frankfurt behielt der trotz Verbesserungen der "alten Dame" die Spielkontrolle und erzielte in der 94. Minute sogar noch das 3:0. Hertha BSC ist mit vier Pleiten in Folge und einem Torverhältnis von 1:13 katastrophal in das Jahr 2023 gestartet.

Nun mag Frankfurt aufgrund seiner Qualität nicht die richtige Messlatte sein, doch bleibt festzuhalten, dass Herthas erste Halbzeit einmal mehr eine riesige Enttäuschung darstellt. In dieser Form ist die Mannschaft nicht bundesligatauglich. Es ist erstaunlich, dass die Hertha-Spieler nach all den Jahren, Monaten und Wochen scheinbar immer noch nicht verstanden haben, was die Mindestanforderungen an ein Bundesliga-Spiel sind und es eine Systemumstellung sowie drei Wechsel brauchte, um ihnen den Kopf zu waschen.

Der "Hertha-Weg" funktioniert

Wobei genau diese Dinge wohl noch Hoffnung machen können. Trainer Schwarz scheint an dem notwendigen Punkt angekommen zu sein, dass sein bisheriger Ansatz nicht funktioniert und seine Spieler, vor die er sich Woche für Woche stellt, aus der Komfortzone geholt werden müssen.

Hertha kann sich mit 14 Punkten nach 19 Spielen den Luxus des Idealismus nicht mehr leisten und muss nun pragmatisch handeln. Das 5-3-2 schien Hertha Struktur zu verleihen und besser zum Kader zu passen. Ironischerweise waren es ganz nach dem von Präsident Kay Bernstein ausgerufenen "Hertha-Weg" vier gebürtige Berliner und ein Rückkehrer, die in der zweiten Halbzeit mit ihren Einwechslungen für das benötigte Feuer sorgten.

Doch immer, wenn bei der Hertha scheinbar verstanden wurde, was die Stunde geschlagen hat, scheint der Verein zur nächsten Enttäuschung auszuholen. Das kommende Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach wird zeigen, ob sich nun wirklich etwas bei den Berlinern verändert. Dann kann die Niederlage in Frankfurt eine wichtige gewesen sein.

Sendung: Inforadio, 04.02.2023, 15:30 Uhr

23 Kommentare

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  1. 23.

    "Nach der nächsten Niederlage gewinnen wir - ganz bestimmt - gleich morgen dann aber."
    Dieses Schönreden schmerzt beim Lesen.

  2. 22.

    Da ja von offizieller Hertha-BSC-Seite öfter von der Hertha-DNA und deren großer Bedeutung gesprochen wird, muss folgendes Gedankenexperiment gestattet sein:
    Was würde passieren, wenn man die kompletten Teams z.B. von Arsenal London, FC Barcelona oder Paris SG in Hertha-Dresse stecken, den Spielern die Hertha-DNA einpflanzen und am kommenden Sonntag gegen Gladbach aufs Feld schicken würde?
    Ich weiß es nicht.

  3. 21.

    Schon Einstein hat erkannt, dass ein Ereignis aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, zu unterschiedlicher Wahrnehmung führt.

  4. 19.

    Wahre Worte! Wie der Herr, so's Gescherr. Besonders degoutant : Die Schmierereien und Aufkleber auf allen möglichen Dingen, wie Verkehrsschildern, Schaltkästen, Laternen, Brücken usw. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie hoch die Schadenssumme in Millionen ist. Von der Strafbarkeit mal abgesehen. Das Schlimme ist, dass die Fans das auch noch gut finden. Das wird dann so verniedlichend und verharmlosend als Revier abstecken gerechtfertigt. Es wäre wünschenswert, dass so gespielt, wie verhunzt wird.

  5. 18.

    Offen gestanden, finde ich es schon traurig, wie sich der Traditionsclub durch jahrelanges falsches Management in der Spirale ganz nach unten entwickelt.
    Zum Saisonanfang hieß meine Prognose, dass Hertha absteigen wird.
    Ich gehe jetzt noch ein Stück weiter und glaube, dass auch die finanzielle Situation im Verein bei Abstieg aussichtslos sein wird.
    Die Folgen für den Verein und deren Fans dürfte Katastrophal sein…..

  6. 17.

    Schade das Stuttgart verloren hat, sonst wäre der Abstand zum Relegationsplatz schon schön angewachsen

  7. 16.

    Macht nichts, ist doch blos ein Spiel. locker bleiben.

  8. 15.

    Es wäre wohl eher Zeit für einen Mannschaftswechsel. Geht aber nicht, Hertha ist pleite.

  9. 13.

    Ich glaube wir dürfen uns bei Frankfurt bedanken, dass die nach der Halbzeit deutlich zurückgeschaltet haben. Das gehört mit zur Wahrheit dazu. Genau so, wie Cigerci 3-4 katastrophale Ballverluste hatte und einmal vom Abseits gerettet wurde. In der Aktion hat er so ziemlich alles bewiesen, aber sicher keine Spielübersicht oder Ruhe am Ball

  10. 12.

    Ein Verein, deren Mitglieder die ganze Stadt mit Herthasymbolen beschmieren, spielt halt so gut wie die Schmiererein aussehen. Und mit Geld gewinnt man keine Spiele! Ich würde mal die u 18 antreten lassen, dann wird das vielleicht was, weil die spielen noch mit Herz.

  11. 11.

    Ein über Jahre absehbarer Verfall, egal welche "Führungskräfte" gerade am Ruder waren oder aktuell sind. Wenn man dann bedenkt, dass die 375 Windhorst- Millionen komplett in den Sand gesetzt wurden und die Hertha jetzt so am Abgrund steht - einen gerechteren Abstieg kann sich doch niemand vorstellen.
    Den Romantikern aus der Ostkurve scheint die sportliche und finanzielle Situation irgendwie egal zu sein. Hauptsache, es herrscht tolle Stimmung zwischen den Ultras und "ihrem" Präsidenten. "Brennen" sollen alle - das ist aber in Summe zu wenig, um den Niedergang zu stoppen. Professionalität im Verein - Nebensache.
    Wer die Pressekonferenz am letzten Sonntag gesehen hat, wird nicht mehr großartig optimistisch sein können. Unbedarfter kann sich kein Verein darstellen. Hoffen wir, dass der Niedergang in der 2. Liga gestoppt werden kann, ein Nichtabstieg ist für den Verein in dieser Gesamtverfassung unmöglich.

  12. 10.

    Nun mag Frankfurt aufgrund seiner Qualität nicht die richtige Messlatte sein, doch bleibt festzuhalten, dass Hertha in der 1. Bundesliga keine vergleichbare Messlatte finden wird....

    Ich weiss nicht wer da ständig versucht diese Leistung ständig schön zu reden. Eins ist sicher, Niemand ist unnütz und kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen. Hahahahe....oder so ähnlich

  13. 9.

    Mit Präsident Kay Bernstein gehts in die Oberliger.
    Aber wir haben Tradition ! ....und weitere Mitarbeiter werden sucht aus der Fankurve.
    Die Finanzierung der Tradition steht auch schon , durch Mitgliedsbeiträge.

  14. 8.

    Kompaktheit im Zentrum war nicht das problem. Flügel waren schlecht besetzt. Deswegen stellt er ja um in halbzeit zwei.

  15. 7.

    Toller Artikel mal wieder!

  16. 6.

    Was für ein Spiel hat der Kommentator da gesehen? Dass die Hertha in Halbzeit 2 besser ins Spiel kam, lag doch nicht an Hertha, sondern wohl eher daran, dass frankfurt schon nach dem 2:0 mindestens 2 gänge zurück schaltete und in den verwaltungsmodus umschaltete. Davon kein Wort im Kommentar, leider.
    Die hertha hätte auch gut und gerne mit ner richtigen Packung nach Hause gehen können. Kein Kampf, kein Aufbäumen, nichts. Bochum und Schalke haben es vorgemacht wie es gehen könnte, hertha guckt zu. Ich denk, sie haben mit dem Thema 1. Liga abgeschlossen, mit recht.

  17. 5.

    Wenn unsere Hertha BSC nicht langsam die Kurve kriegt sehe ich schwarz für die Blauweißen. Vielleicht sollte Hertha BSC den Mantra verfolgen das der FC Union seit ihren Aufstieg der ganzen Welt vorzeigt. Hart malochen, jedes einzelne Spiel als wichtig bezeichnen und kleinere Brötchen backen um von Saison zu Saison besser zu werden. Diese Tugenden hat die Hertha in den letzten Jahren wohl vergessen. Herr Bernstein nun sind sie der Presi von Hertha BSC Berlin. Tuhen sie was!!!!

  18. 4.

    Das mit dem nicht Bundesligatauglich ist die nackte Wahrheit. Erschreckend was hier geleistet wird. Es ist nicht nachvollziehbar. Keine Einheit, kein konstruktiver Fussball...
    Und dies mit völlig neuem Trainerteam, Management...
    Für mich unerklärlich.
    Und übrigens an alle Schlaumeier, es geht nicht um das nervige Thema Union und Hertha, Stadtmeister etc.
    Mir geht es um eine nüchterner Betrachtung.

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