Hertha vor dem Spiel auf Schalke - Abstiegssorgen eines Sanierungsfalls
Hertha BSC steht vor entscheidenden Wochen. Auf dem Weg zum erhofften Klassenerhalt sollte das Team von Sandro Schwarz bei Schlusslicht Schalke 04 punkten. Doch abseits des Sportlichen löste der Geschäftsführer Ernüchterung aus.
Herthas Thema der Woche
Nachdem zu Beginn der Woche noch die Aufarbeitung der bitteren 0:1-Heimpleite gegen Leipzig und das Abrutschen in der Bundesliga-Tabelle auf Platz 17 im Fokus stand, bestimmte im weiteren Verlauf Herthas wirtschaftliche Lage die Schlagzeilen. Hertha-Geschäftsführer Thomas Herrich gab am Mittwoch der "Süddeutschen Zeitung" ein langes Interview [Bezahlinhalt]. Darin brachte er die wirtschaftliche Lage der Blau-Weißen knallhart auf den Punkt. Tenor: "Die Hertha ist ein Sanierungsfall."
Herrichs Sanierungsplan: Die jährlichen Personalkosten sollen um ein Drittel reduziert werden, was bedeuten würde, dass Hertha in diesem Bereich über 30 Millionen Euro einsparen möchte. Dazu sollen deutliche Transfererlöse erzielt werden. Nebenbei sucht der Verein händeringend nach einem Trikotsponsor. Fakten, die nicht neu sind, die aber in dieser Deutlichkeit vorgetragen die Alarmglocken bei allen, die es mit den Herthanern halten, erheblich läuten lassen. Es spricht vieles dafür, dass nach dieser Saison einige Leistungsträger an den Höchstbietenden verkauft werden.
Trotz der düsteren, finanziellen Lage ließ Herrich auch Optimismus durchblicken. Er sei davon überzeugt, Ende der Saison 2025/26 ein wirtschaftlich ausgeglichenes Betriebsergebnis zu haben. Man wolle sich "nicht kaputtsparen". Aber: "Sanierung ist alles andere als sexy", so Herrich. Damit schwört er die Hertha-Familie auf ein radikales Spar-Programm in den kommenden Jahren ein. Sollte es sportlich nach dieser Saison in der Zweitklassigkeit enden, könne man sich laut dem Hertha-Geschäftsführer auch in der 2. Liga konsolidieren. Das wäre für alle Beteiligten mit noch größeren Schmerzen verbunden.
Der Gegner
Bei all der sportlichen und wirtschaftlichen Finsternis, die über Hertha BSC hereingebrochen ist, darf nicht vergessen werden, dass der Klub nach wie vor den Klassenerhalt aus eigener Kraft schaffen kann. Die erste Möglichkeit auf diesem Weg bietet sich am Freitag in der Partie beim direkten Konkurrenten Schalke 04. Deren Trainer Thomas Reis gibt sich vorab kämpferisch: "Hertha BSC muss in jeder Situation spüren, dass für sie hier nichts zu holen sein wird", sagte Reis den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Zuletzt zeigte der Trend der Königsblauen aber nach unten: Gegen Hoffenheim (0:2) und Leverkusen (0:3) war seine Mannschaft chancenlos. Reis‘ kantige Worte sollen in erster Linie Zweckoptimismus verbreiten. Die positive Stimmung zu Jahresbeginn, als die Mannschaft in acht Spielen ungeschlagen blieb (zwei Siege, sechs Remis), ist offenbar gekippt. Nach der schmerzhaften Pleite im Kraichgau war S04-Boss Peter Knäbel im Mannschaftsbus mit nach Gelsenkirchen gefahren, um Klartext zu sprechen. Der Druck ist – ähnlich wie bei Hertha BSC – immens. Eine Niederlage wäre für Schalke ein deutlicher Fingerzeig Richtung Abstieg, vor allem hinsichtlich eines schweren Restprogramms.
Das große Plus der Mannschaft von Thomas Reis ist ihre Leidenschaft. Wenn sie bei ihrer mannorientierten Spielweise den beherzten Einsatz abruft, wie zuletzt Mitte März im Revierderby gegen den BVB, als das Team nach zweimaligem Rückstand noch ein 2:2 erzwang, könnte es für Hertha gefährlich werden. Mit den Fans im Rücken kann Schalke dann eine enorme Wucht entwickeln. "Du brauchst die Aggressivität am Freitag. Dass du in 50:50-Situation nicht zurückstecken darfst, ist logisch, aber es ist auch wichtig, in einem so wichtigen Spiel die Emotionen im Griff zu haben und nicht zu überdrehen“, warnte Trainer Sandro Schwarz auf der Spieltags-Pressekonferenz am Mittwoch.
Die Schlüssel zum Sieg? "Einfachheit, Klarheit, Geradlinigkeit" – das sind die Tugenden, die Sandro Schwarz von seiner Mannschaft verlangt, um gegen die aggressive Spielweise der Schalker bestehen zu können.
Zum Angeben
In der Bundesliga hat Hertha BSC zuletzt in vier Duellen gegen Schalke 04 nicht verloren (drei Siege, ein Unentschieden). Die letzte Berliner Niederlage ist auf den 31. August 2019 datiert. Torschütze damals zum 3:0-Endstand für Schalke 04: der jetzige Herthaner Jonjoe Kenny. Der Engländer könnte am Freitag für Hertha wieder im rechten Mittelfeld auflaufen. Im Hinspiel wurde Kenny von Sandro Schwarz als rechter Verteidiger aufgeboten, spielte 90 Minuten durch und hatte mit einer guten Leistung sichtbaren Anteil am damaligen 2:1-Heimsieg der Berliner.
Die Aufstellung
Bis auf die drei Langzeitverletzten Boetius, Ejuke und Nsona kann Sandro Schwarz auf seinen kompletten Kader zurückgreifen. Während die Abwehr wohl unverändert bleibt, ist es gut möglich, dass der Trainer auf Schalke die ein oder andere Veränderung in der Offensive vornimmt. Für Kevin-Prince Boateng könnte der Ex-Schalker Suat Serdar wieder ins Mittelfeld rücken.
Im Sturm wird wohl Jessic Ngankam, der bereits in Freiburg den Ausgleich erzielen konnte, den gegen Leipzig enttäuschenden Kanga ersetzen. "Er hat es als Einwechsler in der Arbeit gegen den Ball zuletzt sehr gut gemacht", sagt Schwarz über Ngankam. Ob er ihm in Gelsenkirchen das Vertrauen von Anfang an schenken wird, ließ der Hertha-Coach allerdings offen. Im Gegensatz zu Dodi Lukebakio, der von Schwarz eine Einsatzgarantie bekam: "Dodi wird auf dem Platz stehen, wo er seine Geschwindigkeit einbringen kann."
So könnte Hertha beginnen: Christensen – Uremovic, Kempf, Dardai – Kenny, Cigerci, Plattenhardt –Tousart, Serdar – Lukebakio, Ngankam
Die Prognose
Schalke ist Schlusslicht, Hertha Vorletzter. Dass dieses Spiel kein fußballerischer Leckerbissen wird, darüber ist man sich auf beiden Seiten einig. Beide Teams sind mit nur 44 Prozent Ballbesitz in diesem Bereich die schlechtesten Teams der Liga, wobei Hertha laut Schwarz durchaus gewillt sein wird, "die Spielkontrolle im Griff zu behalten".
Der große Mutmacher für die Hertha gegen die eigenen Abstiegssorgen liegt im Schalker Angriff: 21 Tore aus 27 Spielen ist der mit Abstand schlechteste Wert der Liga. Selbst Hertha BSC (31 Tore) hat bereits zehn Treffer mehr erzielt. Ein Punktgewinn ist also Pflicht für die "alte Dame", schon allein um nicht hinter Schalke erstmals in dieser Saison auf Platz 18 abzurutschen. "Wir haben viele Komplimente für die letzten beiden Spiele bekommen, dafür was wir an Leistung abgerufen haben, aber uns ist auch bewusst, dass es nun um das Ergebnis geht", sagt Sandro Schwarz, der selbst bereits zweimal erfolgreich den Abstiegskampf mit Mainz 05 bestritten hat.
Dabei helfen soll auch die enorme Erfahrung im Kader. Spieler wie Plattenhardt oder Boateng kennen die Situation und können die Mannschaft auf den Abstiegskampf einschwören - etwas, das laut Schwarz bereits in den vergangenen Wochen passiert sei. "Das ist ein Prozess, dass wir uns dem auch stellen", sagt er. "Die Fokussierung auf die Arbeit und die Aufgabe, das Gemeinschaftsgefühl und die Energie in der Mannschaft, das hat man auch in den letzten beiden Spielen gespürt."
Letzten Endes sprechen diese zuletzt gezeigten Leistungen – trotz der Ergebniskrise – für Hertha, auch wenn im Abstiegskampf bekanntlich vieles möglich ist.
rbb24-Tipp: Nach großem Kampf gewinnt Hertha mit 2:1.
Sendung: rbbUM6, 12.04.2023, 18 Uhr