Interview | Hertha-Fan Holger Engel in den USA - "Hertha ist hier doch noch eher unbekannt"
Holger Engel ist Hertha-Fan und lebt in den USA. Im Interview erzählt der Neuköllner, wie er sich das Olympiastadion-Feeling nach Florida geholt hat, warum er Pal Dardai den Klassenerhalt zutraut und warum bei Niederlagen der Fleischklopfer her muss.
rbb|24: Herr Engel, Sie leben als Hertha-Fan im Exil in den USA. Wie lange halten Sie der 'Alten Dame' schon die Treue?
Holger Engel: Als gebürtiger Neuköllner bin ich bereits seit meinem zehnten oder zwölften Lebensjahr Hertha-Fan. Mein Vater hat mich anfangs immer mit ins Stadion genommen, ich habe früh eine Leidenschaft für den Verein entwickelt, Autogramme gesammelt und bin zum Flughafen gefahren, wenn die Mannschaft nach Auswärtsspielen zurück nach Berlin gekommen ist. Vor zwölf Jahren sind wir (Engel und seine Frau, Anm. d. Red.) dann nach Florida gezogen und betreiben dort seit mittlerweile elf Jahren das Restaurant "Taste of Berlin". Meine Schwägerin ist schon vorher nach Amerika ausgewandert, sodass wir häufiger zu Besuch waren. Es hat uns immer gefallen. Irgendwann haben wir unseren Laden in Berlin zugemacht und in Florida ein neues Leben angefangen. Wir empfinden es hier als freier und angenehmer.
Sie waren früher also immer sehr nah am Team dran. Mittlerweile trennt Sie ein ganzer Ozean von Berlin und Hertha. Wie sieht ein Spieltag in Ihrem Alltag aus, mit der Zeitverschiebung, den Fernsehübertragungen und allem, was dazugehört?
Die 15:30-Spiele fangen bei uns morgens um 9:30 Uhr an. Ich stehe früh auf, mache mir einen Kaffee und gehe mit meinem Hund raus. Und dann wird auch schon der Fernseher eingeschaltet, ESPN+ überträgt alle Bundesliga-Spiele. Ich schaue mir also alle Hertha-Spiele an! Über das Internet - und Podcasts wie "Hauptstadtderby", "ExilHerthaner" oder "HerthaBASE" - versuche ich darüber hinaus, möglichst viel mitzubekommen und informiert zu bleiben. Wenn Hertha mal nicht gut spielt, ist das nicht so schlimm. Dann gehe ich einfach zur Arbeit und klopfe ein paar Schnitzel! Als Hertha im Winter für ein Trainingslager in Florida war, war ich natürlich viel vor Ort. Da hat man direkt wieder das Gefühl gehabt, dazuzugehören. Das war richtig toll. Man konnte mit Sandro Schwarz und den Spielern sprechen und Fotos machen - und sie haben sich wirklich dafür interessiert, wie es ist, in Florida zu leben und zu arbeiten.
Sie haben gerade schon angesprochen, dass Sie Schnitzel klopfen gehen, um sich nach schwachen Auftritten der Hertha etwas abzureagieren. Schauen Sie die Spiele alleine?
Manchmal guckt mein Sohn auch zu und ich habe zwei Hertha-Freunde hier, die manchmal für Spiele vorbeikommen. Ich habe ein großes Bild des Olympiastadions bei mir zu Hause an der Wand hängen - da kommt nochmal ein ganz anderes Feeling auf! Das mögen alle, die zum Fußballgucken hierher kommen. Nach den Spielen kann ich mich aber auch immer schnell wieder ablenken, da der Samstag ein ganz normaler Business Day für uns ist, da ist immer viel zu tun.
Kann Ihr amerikanisches Umfeld etwas mit Hertha anfangen?
Der Verein ist hier doch noch eher unbekannt. Wenn Leute hier Bundesliga gucken, dann in der Regel die Spiele von Bayern München oder Borussia Dortmund. Das sind die Vereine, die hier bekannt sind. Aber: Ich habe draußen vor meinem Haus eine Hertha-Fahne hängen, an meinem Auto kleben mehrere Sticker, in unserem Restaurant hängt ein Schal und wir haben einen Tisch, auf dem das Hertha-Logo zu sehen ist.
Sie sind also so etwas wie ein Hertha-Botschafter in den USA.
Ja genau, der eine oder andere fragt dann auch doch mal nach, was es mit Hertha auf sich hat. Die Amerikaner sind in der Regel ohnehin erstmal freundlich und offen, die sprechen einen immer gerne an.
Hertha BSC treibt seine Pläne voran, ein eigenes, reines Fußballstadion zu bauen. Würden Sie Ihre Wand in diesem Fall neu tapezieren?
Wahrscheinlich schon! Ich hoffe, dass das dann ähnlich schön aussehen würde. Die Atmosphäre im Olympiastadion, gerade wenn es ausverkauft ist, ist aber einmalig. Wenn aber nur 40.000 Zuschauer da sind, sieht das schon anders aus. Ich habe ja sogar auch noch Zeiten erlebt, als nur 5.000 oder 10.000 Fans ins Olympiastadion gekommen sind.
Wann waren Sie eigentlich selbst zuletzt dort?
Das muss 2021 gewesen sein, gegen Borussia Mönchengladbach. Da waren aufgrund der Pandemie nur etwa 15.000 Zuschauer im Stadion. Und trotzdem war das ein besonderes Erlebnis für mich, weil ich zuvor zehn Jahre lang nicht mehr im Olympiastadion gewesen war. Danach war ich noch bei einem Auswärtsspiel in Hoffenheim dabei, als wir leider mit 0:3 verloren haben. Man saugt die Atmosphäre aber immer besonders auf, wenn man so lange abstinent lebt.
Stimmt es, dass Sie selbst die Öffnungszeiten Ihres Restaurants an die Anstoßzeiten der Hertha-Spiele angepasst haben? Und wie kommt das bei Ihren Gästen an?
Im Grunde ist das ja gar nicht so schlimm. Wenn das Restaurant abends geöffnet ist, passiert in Deutschland in der Nacht nichts mehr. Samstagvormittags lasse ich das Restaurant zu, wenn Spiele sind. Sonntags ist das Restaurant sowieso immer geschlossen. Und freitags bieten wir ein Mittagsmenü an, schließen den Laden dann schon gegen 14:00 Uhr und machen erst gegen 16:30 Uhr wieder auf. Freitagsspiele kann ich also in der Zwischenzeit immer ohne Probleme sehen. Das passt alles wunderbar.
Bieten Sie in Ihrem Restaurant auch etwas typisch Berlinerisches an, vielleicht sogar eine Art Hertha-Gericht?
Ein Hertha-Gericht leider nicht, wir bieten aber hauptsächlich deutsche Spezialitäten an. In Tampa gibt es ja eine Base der Army. Viele der Soldaten waren schon mal in Deutschland stationiert und kennen die deutsche Küche daher schon. Die freuen sich dann, wenn sie bei uns eine Currywurst, ein Schnitzel oder Gulasch bekommen - alles, was sie schon aus Deutschland kennen. Mit unserer deutschen Küche sind wir hier schon gewissermaßen Exoten. Die Amerikaner lieben das und freuen sich, dass wir da sind.
Um nochmal zurück zu Hertha zu kommen: Seit kurzem ist Pál Dárdai wieder Cheftrainer der Blau-Weißen, ein alter Bekannter. Wie ist Ihr Bauchgefühl, was die kommenden, entscheidenden Wochen betrifft?
Ich muss sagen, dass ich Sandro Schwarz auch gerne noch weiter als Trainer bei Hertha gesehen hätte. Das ist ein richtig passabler Trainer, ein richtig guter Mensch. Wenn es aber einen gibt, der Hertha noch retten kann, dann ist das Pál Dárdai! Ich hoffe, dass wir noch die nötigen Spiele gewinnen und - eventuell wieder über die Relegation - in der Liga bleiben. Das traue ich Pál auf jeden Fall zu.
Im Falle eines Abstiegs würden die Spiele in der kommenden Saison nochmal ein paar Stunden früher angepfiffen werden.
Das wäre richtig hart, wenn schon um 7:30 Uhr Anpfiff wäre. Bei den späteren Spielen müsste ich dann auch schauen, wie ich die Partien im Restaurant, bei der Arbeit, gucken könnte. Natürlich werden aber auch nur die wenigsten Zweitliga-Spiele im amerikanischen Fernsehen übertragen, das käme noch dazu.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jonas Bürgener, rbb Sport.
Sendung: rbb UM6, 22.04.2023, 18 Uhr