Mit prominentem Cheftrainer - Wie vertragslose Fußballer im VDV-Camp arbeiten
Während im Fußball die Saisonvorbereitung beginnt, sind manche Spieler seit Ende Juni ohne Vertrag. Einige von ihnen vertrauen dabei auf das sogenannte VDV-Camp. Auch, weil sie dort auf einen Trainer treffen, der alles gesehen hat.
Eine Geschichte, die sich im deutschen Fußball-Kosmos verselbständigt hat: Peter Neururer und sein Porsche. Der 68-Jährige hat eine illustre Bundesliga-Karriere als Trainer hingelegt. Es geht vermutlich schneller, die Vereine aufzuzählen, die er nicht trainiert hat, als anders herum. Neururer hat einen famosen Schnurrbart, er kann wunderbar vor Fankurven tanzen und reden wie ein Wasserfall über den andere Wasserfälle sagen, der rede aber viel und gut.
Und weil Neururer bereits sowohl zum Arbeitsamt als auch zu Vertragsverhandlungen mit seinem Porsche vorgefahren ist, lacht sich das Internet jedes Mal aufs Neue kaputt, wenn mal wieder ein Verein einen Trainer sucht. Irgendwer behauptet dann, er habe Peter Neururer schon vorfahren sehen in seinem Porsche. Anschließend hagelt es Lach-Emojis und Likes. Dabei hat Neururer streng genommen seit 2017 einen festen Job: Cheftrainer im VDV-Proficamp.
80 Prozent Vermittlungsquote
Die VDV, das ist die "Vereinigung der Vertragsfußballspieler", eine Art Spielergewerkschaft, 1987 gegründet vor allem auf Betreiben der auch politisch aktiven Profis Benno Möhlmann, Ewald Lienen und Frank Pagelsdorf. Die VDV kümmert sich um die Wahrung rechtlicher und sozialer Interessen von Profi-Fußballern und hat im Moment etwa 1.400 Mitglieder. Seit 2003 bietet die VDV neben den gewerkschaftlichen und beratenden Tätigkeiten das Proficamp an. Dieses ist gedacht für vertragslose Spieler. Sie können sich dort fit halten, während sie einen neuen Verein suchen.
Vier Wochen dauert das Camp, das die herkömmlichen Trainingslager der Klubs bestmöglich simulieren möchte. Angeleitet werden die Übungseinheiten und auch die Testspiele, die die Camp-Teilnehmer in der Sportschule Wedau absolvieren, von Cheftrainer Peter Neururer. An dessen Seite immer auch andere, namhafte Trainer agieren. In diesem Jahr etwa der Ex-Bundesligaprofi Karsten Hutwelker. Die Vermittlungsquote der Camp-Mitglieder liegt bei erstaunlichen 80 Prozent.
Von Inter Mailand zu Energie Cottbus
Vier Wochen dauert das Camp für maximal 22 Feldspieler und vier Torhüter. Wobei es ein Kommen und Gehen gibt. Insgesamt nehmen jedes Jahr etwa 40 Fußball-Profis das Angebot an. Kost und Logis sind frei. Dafür zahlen die Mitglieder schließlich ihre Beiträge. Die wiederum sind gestaffelt. Jugendliche zahlen nichts, Regionalliga-Spieler 90 Euro pro Halbjahr, Bundesliga-Spieler 270 Euro.
Nestor Djengoue ist bereits zum dritten Mal beim VDV-Proficamp dabei. Der 32-jährige Mittelfeldspieler, geboren in Kamerun, hat eine illustre Karriere vorzuweisen. In der Jugend spielte er für Inter Mailand. Einige seiner Mitspieler von einst wurden 2021 Europameister mit Italien oder standen vor wenigen Wochen im Finale der Champions League. Djengoue fiel durchs Raster, spielte später für Energie Cottbus, den BFC Dynamo und im Jahr von Italiens Europameisterschafts-Triumph für den hessischen Fünftligisten Stadtallendorf. Seine Träume hätten natürlich anders ausgesehen, sagt Djengoue im Gespräch mit rbb|24, aber es hilft ja nichts, so ist das Leben.
Ehrliches Feedback
Er wolle weitermachen, spielen, bis er 39 oder sogar 40 Jahre alt ist. Auf seiner Position ginge das, wenn auch vielleicht nicht mehr in den obersten Ligen. Für den Moment jedenfalls sei ganz bestimmt noch die Regionalliga drin. Vielleicht auch 3. Liga. Das VDV-Camp habe gleich mehrere Vorteile für ihn, sagt er. Da ist das gute Training von Peter Neururer, der zudem ein überragender Mensch mit großem Herzen sei. Wer im Camp ist, werde vor allem auch wahrgenommen.
So kommt es vor, dass die sportliche Führung von Vereinen bei der VDV oder Peter Neururer anrufen, um sich nach den aktuellen Teilnehmern zu erkundigen. Zwar hätten die Spieler alle auch Berater, aber die könnten niemals einen allumfassenden Überblick haben. Manchmal, so Djengoue, ginge das äußerst pragmatisch vonstatten. Ein Verein suche auf einer bestimmten Position, die Verantwortlichen der VDV berichten, wer vor Ort ist und wie sie die Spieler einschätzen. Dabei möglichst bei der Wahrheit, möglichst realistisch zu sein, ist Ehrensache. Alles andere würde sich schnell herum sprechen.
Wer nach dem Ende des Camps keinen neuen Arbeitgeber gefunden hat, bekommt von der VDV ein ehrliches Feedback, erzählt Geschäftsführer Ulf Baranowsky: "Wenn wir einen Spieler nicht auf dem Niveau Regionalliga sehen, dann sagen wir auch ganz klar: Mach' etwas anderes!"
Oft nicht einmal Mindestlohn
Regionalliga und 3. Liga, darauf liege der Fokus ihrer Arbeit, so Baranowsky. Früher seien auch mal Nationalspieler wie Christian Rahn (fünf Länderspiele zwischen 2002 und 2004) oder Lukas Sinkiewicz (drei Länderspiele 2005) Teil des Camps gewesen. Durch die zunehmende Professionalisierung des Fußballs habe sich die Ausrichtung allerdings nach und nach verschoben. Immerhin die Leistungsdiagnostik, die den Camp-Teilnehmern ebenfalls angeboten wird, erfolgt nach Bundesliga-Standards. Aber auch abseits des Platzes helfe man den Jungs.
"Laut unserer VDV-Bildungstendenzstudie verfügen 50 Prozent der Spieler weder über abrufbare, berufliche Qualifikationen noch sind sie dabei, welche zu erlangen", sagt Baranowsky. Hier steht die VDV mit Experten für Arbeitsrecht und auch Bildungskoordinatoren beratend zur Seite. Immer nach dem Grundsatz dreier goldenener Regeln: frühzeitig an Plan B arbeiten, versichern und Geld sparen. Das sei oft auch bitter nötig, so Baranowsky, schließlich sei man in der dritten, vierten Liga "meilenweit von Spitzengehältern entfernt. In der Regionalliga gibt es oft sogar Fragen zum gesetzlichen Mindestlohn."
Einen Plan B hat inzwischen auch Nestor Djengoue. Er will eine duale Ausbildung beginnen, später als internationaler Scout arbeiten. Er ist viel herumgekommen im Leben, hat ein großes Netzwerk. Das will er sich zunutze machen. Bis es soweit ist, spielt er weiter. Djengoue ist zuversichtlich, dass es auch diesmal mit einem neuen Vertrag klappt. "Du musst einfach deine Arbeit machen. Aber etwas bekommst du sicher, wenn du an dich glaubst", sagt er.
Und wer weiß. Vielleicht fährt Peter Neururer ja tatsächlich noch einmal im Porsche bei einem Bundesliga-Verein vor. Potentielle Neuzugänge hätte er dann jedenfalls einige im Gepäck.
Sendung: rbb24, Inforadio, 10.07.2023, 19:15 Uhr