Abgestiegener Fußballverein - Warum eine Berlinerin jetzt ihre lebenslange Mitgliedschaft bei Hertha BSC erklärt

Di 08.08.23 | 06:05 Uhr | Von Jakob Lobach
  39
Hertha-Fan Miriam Stoelzel sitzt in der Kneipe "Bierbrunnen" (Bild: rbb)
Video: rbb24 Abendschau | 8.8.2023 | Lynn Kraemer | Bild: rbb

Seit 23 Jahren steht Miriam Stoelzel bei Hertha BSC in der Ostkurve. Mit ihrem Klub durchlebte sie eine Achterbahnfahrt – mit dem diesjährigen Abstieg als Tiefpunkt. Dennoch schloss sie nun eine Mitgliedschaft auf Lebenszeit ab. Von Jakob Lobach

Einen passenderen Treffpunkt als den "Bierbrunnen an der Plumpe" hätte es für ein Gespräch mit Miriam Stoelzel wohl kaum geben können. Links neben eine Dönerbude und im Erdgeschoss eines Weddinger Plattenbaus gelegen, wirkt der Bierbrunnen von außen halb unscheinbar, halb in die Jahre gekommen. Ein kleines blaues Schild mit der Aufschrift "Fantreff Hertha BSC" lässt nur erahnen, was im Inneren der Kneipe wartet: Hier, einige hundert Meter von dem Ort, an der einst Herthas altes "Stadion am Gesundbrunnen" stand, erinnern Wimpel, ausgedruckte Zeitungsausschnitte und viele schwarz-weiße Fotos an mehrere Jahrzehnte Hertha-Historie. Ein Bild, in das auch Miriam Stoelzel mitsamt ihres Hertha-Trikots bestens hineinpasst.

Mitglied auf Lebenszeit

Vor mehr als 20 Jahren hat sich die mittlerweile 39-Jährige ihre erste von vielen Dauerkarten für das Olympiastadion gekauft. Seitdem hat Stoelzel unzählige Hertha-Spiele live verfolgt – meistens stehend in der Ostkurve, aber auch als Auswärtsfahrerin. So ist eine besondere Vereinsliebe entstanden, die Miriam Stoelzel mittlerweile mit einem Schwur ewiger Treue besiegelt hat. Und das nicht nur sprichwörtlich: Die gebürtige Berlinerin hat bei Hertha eine Mitgliedschaft auf Lebenszeit abgeschlossen.

1.892 Euro hat Stoelzel bezahlt, um in den Kreis der ewigen Hertha-Fans aufgenommen zu werden. Es war eine große Investition, die selbstverständlich noch nicht absehbar war, als die damals 16-jährige Schülerin im Jahr 2000 ihr erstes Spiel im Olympiastadion besuchte. "Das war gegen Bochum", erinnert Stoelzel sich noch heute, "Hertha hat 4:0 gewonnen und ich war vor der Kurve direkt komplett angesteckt." Eine Saison später kaufte sie sich ihre erste eigene Dauerkarte, wurde Stammgast in der Ostkurve. "Ich stehe für gewöhnlich in Q3", sagt sie.

Von schräg rechts hinterm Tor beobachtete Stoelzel mehrere Europapokal-Teilnahmen und viele gute Bundesliga-Saisons der Hertha, aber auch drei Abstiege und zuletzt turbulente Jahre. "Hertha ist in guten wie in schlechten Zeiten mein Verein und meine Familie", sagt sie. Während die Eindrücke aus schlechteren Zeiten ohnehin noch sehr aktuell sind, hat Stoelzel Fotos mitgebracht, um Erinnerungen an die besseren Zeiten zu untermalen. Abwechselnd lächeln jüngere Versionen von Arne Friedrich, Pal Dardai und Marko Rehmer mit ihr zusammen in die Kamera. Dazu ein weiteres Bild, das Stoelzel mit Freunden in der Ostkurve zeigt und symbolisch für einen weiteren Teil ihrer Hertha-Leidenschaft steht: "Hertha ist mehr als Fußball", sagt sie und führt aus: "Leute treffen, Zeit mit Gleichgesinnten verbringen, soziales Engagement. Die Hertha-Familie ist eine Gemeinschaft, die mir einfach gut tut."

Ich finde diesen Berliner Weg, der jetzt ausgerufen wurde, sehr sympathisch.

Miriam Stoelzel über Herthas Umbruch

Hoffnung auf den Berliner Weg

Insgesamt wirkt es, als gehöre Stoelzel zu den Hertha-Fans, die sich zwar freuen, wenn ihr Verein erfolgreichen Fußball spielt, dies aber nicht zur Grundvoraussetzung für ihre Unterstützung macht. So sieht Stoelzel auch im jüngsten Abstieg aus der Bundesliga eher eine Chance zum Neustart als eine sportliche Katastrophe. "Ich finde diesen Berliner Weg, der jetzt ausgerufen wurde, sehr sympathisch", sagt sie und ergänzt: "Als Lars Windhorst eingestiegen ist und Millionen in Spieler investiert hat, fand ich das eher befremdlich."

Es ist eine Einschätzung, mit der Stoelzel stellvertretend für viele Berliner Fans steht. Es wirkt, als wäre das Gros unter Herthas Anhängern durchaus bereit, die Geduld aufzubringen, die sich der Klub von ihnen wünsch. Nicht zuletzt, weil die Aussicht auf mehr Verantwortung für Eigengewächse gleichbedeutend ist mit der Hoffnung auf mehr Identifikation.

"Du kaufst nicht für Millionen irgendwen, sondern hast Jungs, die du beim Dönermann triffst, die hier aufgewachsen sind und durch ihr Berlin laufen", sagt Stoelzel und fasst zusammen: "Das ist einfach nahbar." Zumal Hertha aus Sicht der Berlinerin alle Voraussetzungen hätte, dass der besagte Berliner Weg langfristig auch zu sportlichem Erfolg führen kann: "Wir haben eines der besten Nachwuchsleistungszentren bei Hertha und immer wieder talentierte Jugendspieler."

Der Lebenslange Hertha-Mitgliedsausweis von Miriam Stoelzel (Bild: rbb)Der Lebenslange Hertha-Mitgliedsausweis von Miriam Stoelzel | Bild: rbb

Verständnis für schwierigen Start

Eine Zukunft geprägt von Berliner Einflüssen und Spielern aus dem eigenen Nachwuchs – es ist eine Aussicht, die nicht nur Miriam Stoelzel dabei hilft, die derzeit schwierige Situation bei Hertha BSC zu akzeptieren. Es wirkt, als überwiege bei Herthas Anhängern aktuell das Verständnis für die Folgen der kritischen Finanzlage und dem großen Umbruch im Kader. "Wenn man realistisch auf die Mannschaft und die Situation guckt, ist das nicht so überraschend", sagt Stolzel über die zwei Niederlagen zum Start der neuen Zweitliga-Saison.

Ungleich größer ist die Kritik aus Herthas Fan-Lager an dem neuen Hauptsponsor "Crazybuzzer". Entgegen früheren Ankündigungen einen Wettanbieter auf dem Trikot zu präsentieren? "Als Fußball-Romantikerin fände ich es natürlich schön, wenn man andere Sponsoren finden würde", sagt Stoelzel. Der Romantik gegenüber steht die nüchterne Realität der massiven Geldprobleme, die Hertha plagen. So sagt Stoelzel auch: "Ich glaube, in der jetzigen Situation ist die Auswahl einfach nicht groß genug, um bestimmte Arten von Sponsoren auszublenden."

Gefährdet ist die Hertha-Leidenschaft der Berlinerin also trotz des strittigen Sponsors nicht. Im Gegenteil: Auch diese Saison hat sie sich wieder eine Dauerkarte für das Olympiastadion gekauft. Dazu steht auch das eine oder andere Auswärtsspiel auf ihrem fußballerischen Jahresplan. "Wir werden nach Jena und Hamburg fahren und dann mal schauen", sagt Miriam Stoelzel. Auf dem Mitgliedsausweis der Berlinerin steht schließlich nicht umsonst in Großbuchstaben "EWIGE TREUE" geschrieben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.08.2023, 14:15 Uhr

Beitrag von Jakob Lobach

39 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 39.

    Miriam, man kann ihnen nur viel Glück wünschen das es für diese schwere Krankheit alsbald gute Heilungschancen gibt !

  2. 38.

    Danke!
    Kann bzw. hat das jemals ein Mitglied bzw. eine Mitgliederversammlung kontrolliert? in den Geschäftsberichten ist davon nichts zu lesen. und was Marktingaussagen wert sind, wissen wir alle.
    Um Missverständnissen vorzubeugen, ich finde die Nachwuchsarbeit unbestritten und wie von vielen Fachleuten anerkannt beispielhaft und erfolgreich.
    und damit will ich es auch gut sein lassen.

  3. 37.

    Keine Ahnung weshalb der RBB den Link nicht veröffentlicht.
    Auf jeden Fall finden sie auf der Seite von HBSC folgendes:
    Zitat:
    "Werde jetzt Teil der über 130-jährigen blau-weißen Tradition und profitiere von zahlreichen Vorteilen und Rabatten. Dein Mitgliedsbeitrag geht zu 100 % an unseren Nachwuchs."
    Das sollte jetzt kein Hexenwerk sein das in einer ihnen sicher bekannten Suchmaschine zu finden.

  4. 36.

    Aus der offizellen Homepage von Hertha BSC
    "Werde jetzt Teil der über 130-jährigen blau-weißen Tradition und profitiere von zahlreichen Vorteilen und Rabatten. Dein Mitgliedsbeitrag geht zu 100 % an unseren Nachwuchs."

  5. 35.

    Lesen Sie bitte nochmal meine Antwort auf Ihren ersten Beitrag. Da steht bei weitem nicht nur negatives. Im Gegenteil, ich habe meine Achtung für die Engagement der Mitglieder ausgedrückt.
    Was den Ausstieg von Windhorst betrifft, unterliegen Sie einem fatalen Irrtum. Er wurde eher durch wirtschaftliche Zwänge zur Beendigung seines Investments gezwungen, durch eigene Fehlleistungen, wie die Kampagne gegen Gegenbauer und das mediale Echo befördert. Die Mitglieder hatten nur die Euros in den Augen und die Geldverschwendung der letzten Jahre gefeiert... bis es eben an den Abgrund ging.

    Es sei Ihnen gegönnt, mit Scheuklappen durch die Welt zu gehen. Nützlich für eine realistische Einschätzung sind diese jedoch nicht ;-)

  6. 34.

    Woher nehmen Sie Ihre Ansicht, Ihre Mitgliedbeiträge würden ausschließlich in die Nachwuchsförderung gehen?
    Bitte liefern Sie Belege! Ich kann dazu keinerlei Aussage finden.

    HBSC kommuniziert Aufwendungen für die U23 und die U19 von 0,9 Mio Euro im Jahr 2020/2021. Das sind gerade mal 0,5% der Gesamtaufwendungen des Konzerns. Da liegt es sehr nahe, dass der Großteil der Mitgliedsbeiträge eben auch in die restlichen 99,5% der Gesamtaufwendungen fließt. Also bitte widerlegen Sie diese Ableitung mit ein wenig Nachdenken ;-)

  7. 33.

    Ein starkes Zeichen, eine solche ewige Mitgliedschaft in Zeiten abzuschließen, in welchen der Verein leidet.
    Respekt und sportliche Grüße! :-)

  8. 32.

    Wenn man will, sieht man nur das negative. So kann man leben, ich habe mich dagegen entschieden. Die Mitglieder haben aktiv gegen Windhorst protestiert und ihn damit rausgeekelt. Soviel dazu, dass die Investoren bestimmen, was passiert. Aber ich kenne Ihre Kommentare - Sie sehen rot bei blau und grün bei rot ;)

  9. 31.

    Da sollten sie sich doch besser nochmal informieren glaube ich.
    Die Gesamtzahl der Beiträge ist doch in ihrer genannten Präsentation überhaupt keine Größe die man dort angeben müsste.
    Ich nehme mal 40000 zahlende Mitglieder dann sind das bei 7 Euro im Monat 280000 Euro. Das wird wahrscheinlich nicht mal reichen um diesen Nachwuchsbereich zu unterhalten.
    Nachdenken sollte ja manchmal helfen.

  10. 30.

    Nein ich bin kein Trittbrettfahrer.
    Ich sage nur zu diesem Thema meine Meinung.
    Auch wenn sie Fan dieses Vereins ist.

  11. 29.

    Schöner Artikel!

    Ich wünsche der Dame eine angenehme Reise ins Paradies, aber sie muss leider mit einer Niederlage im Gepäck wieder nach Hause fahren!

  12. 26.

    Das Problem ist, dass das "Ganze" ihres Vereins seit 2002 gar nicht mehr existent ist, weil leider wesentliche Teile des Vereins (u.a. auch die Profiabteilung) aus Gründen der Steuer - und Haftungsminimierung in eine KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) ausgegliedert wurden...
    Ansonsten habe ich aber bei Traditionsvereinen immer Respekt vor treuen Fans, die in schweren Zeiten fest zu ihrem Verein stehen.

  13. 25.

    "Im Gegensatz zu anderen Vereinen gehen 100% des Mitgliedsbeitrages bei Hertha BSC in die Nachwuchsarbeit und nicht an Profis die sich die Taschen damit vollstecken."

    Das wage ich ernsthaft zu bezweifeln ;-) Präsidium, Gremien und feste und freie Mitarbeiter wollen auch bezahlt werden.
    Die GuV des "Hertha BSC Konzern" (habe ich der Präsentation Jahresabschluss 2020/2021 entnommen - allein die Bezeichnung spricht Bände) weißt einen Personalaufwand von 93 Mio. Euro (von 183,2 Mio. Gesamtaufwand, also mehr als 50%) aus. 100% Mitgliedbeiträge in Nachwuchsarbeit entspringt offensichtlich Ihrer schlaflosen Mittagspause.

  14. 24.

    Zitat:
    "Allerdings gestalten Sie Mitglieder null,nix am "Großteil" (wie Sie es selbst nennen) "Ihrer" Profimannschaft. Das tun schon lange mehr oder weniger zwielichtige Investoren! "

    Im Gegensatz zu anderen Vereinen gehen 100% des Mitgliedsbeitrages bei Hertha BSC in die Nachwuchsarbeit und nicht an Profis die sich die Taschen damit vollstecken.

  15. 23.

    1892 EUR für ein bis drei Zweitligasaisons? Ein tolles Beispiel für einen gelungenen Enkeltrick.

  16. 22.

    Dann vergessen Sie mal nicht, dass Sie Mitglieder auch die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in eine Kapitalgesellschaft veranlasst haben, die keinerlei Bezug mehr zum Vereinsgedanken hat. Sowas nenne ich Verrat an den Werten des Volkssports Fussball.
    Ja, Sie Mitglieder gestalten Vereinsleben. Dies ist aller Achtung wert und hoch einzuschätzen, ebenso Ihr soziales Engagement. Allerdings gestalten Sie Mitglieder null,nix am "Großteil" (wie Sie es selbst nennen) "Ihrer" Profimannschaft. Das tun schon lange mehr oder weniger zwielichtige Investoren!
    Das ist kein Hass oder Häme - das ist eine Bestandsaufnahme, Widerspiegelung der Tatsachen in Ihrem "Verein".

    Mein Herz schlägt für einen Verein und nicht für ein Investitionsobjekt. Marketingkonstrukt oder eine Werbeabteilung.

  17. 21.

    Doch, dazu fällt mir was ein.
    Die Treue zu einem Verein bei dem die letzten Jahre alles Schief läuft was Schief laufen kann.
    Und diese Treue ist aller ehren wert.
    Und doch, ich bin der " Nils " .

Nächster Artikel