Kommentar zur WM - Die deutschen Basketballer verdienen einen größeren Hype
Deutschland gehört zu den vier besten Basketball-Nationalteams der Welt, mit Lässigkeit und Authentizität. Eigenschaften, die das deutsche Sportpublikum etwa bei den Fußballern vermisst. Gibt es nun mehr Aufmerksamkeit? Von Shea Westhoff
Steve Kerr wusste es, da hatte man in Deutschland noch keine Ahnung. Der Trainer des US-amerikanischen Basketball-Nationalteams sagte im August nach einem Testspiel gegen die deutsche Auswahl: "Das war auf jeden Fall unser härtester Gegner". Und: "Es ist klar, dass Deutschland eines der besten Teams der Welt ist."
Die Einschätzung kam von einem, der an der Seite von Michael Jordan drei NBA-Titel gewann und später als Trainer mit den Golden State Warriors mit vier Championships eine neue Dynastie in der NBA begründete. Man könnte auch sagen: So einer muss es wissen. Nur: Weiß man es auch in Deutschland?
Die Spiele laufen mittags - während die meisten arbeiten müssen
Seit dem Sieg im Viertelfinale über Lettland am Mittwoch gehören die deutschen Basketballer tatsächlich ganz offiziell zu den besten vier Teams der Welt. Mit sechs Siegen aus sechs Spielen sind sie durch das Turnier der Riesen geschwebt, oft mit beeindruckendem Vorsprung – oder mit kühler Hand in den entscheidenden Momenten, wie der gebürtige Berliner Franz Wagner beim Thriller gegen Lettland unter Beweis stellte. Mit der Niederlage Sloweniens gegen Kanada am Mittwochnachmittag steht nun sogar fest, dass die Deutschen sich direkt für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifiziert haben.
Ob diese Glanzleistungen bislang allerdings von großem Publikum bezeugt wurden, darf bezweifelt werden. Der Präsident des Deutschen Basketball-Bundes, Ingo Weiß, bedauerte zu Wochenbeginn die ausbleibende Live-TV-Berichterstattung seitens der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Bewegtbild-Rechteinhaber Magentasport veröffentlicht die Einschaltquoten seinerseits nicht. Doch man kann sich zusammenrechnen, dass diese eher niedrig ausfallen, was auch an widrigen Bedingungen liegt: Spiele werden zwar gratis, aber aufgrund der Zeitverschiebung nach Ostasien mittags gezeigt, wenn die meisten arbeiten.
Deswegen bekommen nur wenige mit, dass mit Dennis Schröder einer der schnellsten Basketballer überhaupt das Spiel antreibt und die Offensive durch seine Geistesblitze unberechenbar ist - selbst an seinen schwächeren Tagen wie gegen Lettland. Nur wenige sehen die lockere Hüfte und die flinke Fußarbeit des ehemaligen Alba-Spielers Maodo Lo, dessen eins-gegen-eins Situationen oft einem artistischen Breakdance-Battle gleichen. Wenige bekommen mit, dass die Mannschaft überdies mit Malochern wie Daniel Theis und dem Berliner Johannes Thiemann ausgestattet ist, die hinten wie vorne unter den Körben aufräumen. Oder die Genialität des jungen, aber abgezockten Franz Wagners, der nach einer Verletzungspause gegen Lettland ein denkwürdiges Comeback feierte und dem eine große Karriere in der NBA bevorsteht.
Das Team wirkt authentisch
Am beeindruckendsten ist vielleicht die Tatsache, dass man als Zuschauer das Gefühl hat, nahbare Menschen zu erleben, was im Vergleich zum gedrillt erscheinenden Profifußball ungewohnt und angenehm ist.
Man kann die Basketballer sogar streiten sehen. In der Partie gegen Slowenien, als dem Team von Gordon Herbert bereits im Anfangsviertel die Felle davon zu schwimmen drohten, trugen Dennis Schröder und Daniel Theis während einer Auszeit ein hitziges Wortgefecht aus. Teamkapitän Schröder ließ sich nicht mal von seinem Trainer bändigen. Dieser setzte die beiden Streithähne danach erst mal auf die Bank.
Dann sah man, wie sich die beiden NBA-Spieler und einstigen Braunschweiger Mannschaftskameraden herzten, wieder miteinander witzelten, und so wieder aufs Parkett durften. Streit und Versöhnung. Man könnte es auch Authentizität nennen.
Deutschland besiegte den Turnier-Mitfavoriten Slowenien um Superstar Luka Doncic am Ende deutlich.
Der deutsche Sport erlebt gerade Talfahrt
Zur Erinnerung: Der bahnbrechende Erfolg der Basketballer fällt in eine Zeit, in der der deutsche Spitzensport eher mit Flops Schlagzeilen macht. Die Fußballer erlebten bei der WM in Katar 2022 eine erneute Bruchlandung. Auch die Fußballerinnen schieden in diesem Sommer bereits in der Gruppenphase aus. Die Leichtathletinnen und -athleten sammelten bei den jüngsten Weltmeisterschaften insgesamt genau null Medaillen.
Die Basketballer wiederum beweisen beim Turnier in Japan, Indonesien und den Philippinen, dass eine deutsche Sportdelegation zu den Besten gehören kann. Deutschland, gar eine Basketball-Nation? Ausgerechnet das Land, das seinen Kindern die Basketballkörbe auf Spielplätze mit Bodenbelägen aus Rindenmulch hinbaut. Rindenmulch. Genauso gut könnte man zwei Fußballtore auf ein Feld aus Kieselsteinen stellen. Macht natürlich keiner.
Man könnte sagen, trotz widriger Bedingungen gehören die deutschen Basketballer mittlerweile zur Weltspitze, eigentlich unglaublich.
Eine Spur führt zu Dirk Nowitzki
Eine Spur führt dabei zurück zu Dirk Nowitzki, dem Kindheitsidol vieler heutiger Protagonisten. Die meisten haben als kleine Jungs verfolgt, wie der Würzburger in der NBA, der Liga der Brecher und Slam-Dunker, einen neuen Stil etablierte: mit weichen Schultern, smoothen Drehungen und fließenden Bewegungen. Wer darauf achtet, findet diese Elemente auch im Offensivspiel der aktuellen Nationalmannschaft.
Die spielt nun um eine Medaille bei der Weltmeisterschaft. Am Freitag trifft das Team auf den vermeintlichen Titelfavoriten USA. Man darf davon ausgehen, dass die US-Spieler ihren Gegner nicht unterschätzen. Denn Coach Steve Kerr kennt ja die Qualitäten der deutschen Mannschaft. Und möglicherweise haben die seit dem Halbfinaleinzug ja auch noch mehr Menschen in Deutschland auf dem Schirm.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.09.2023, 14:15 Uhr