Saison 2024/2025 - Warum die Handball-Bundesliga derzeit so spannend ist

Fr 01.11.24 | 18:18 Uhr | Von Aljoscha Huber
Füchse-Spieler Max Beneke beim Wurf (imago images/Eibner)
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Video: Abendschau | 30.10.2024 | Bild: imago images/Eibner

Für die Füchse Berlin geht es am Sonntag gegen den THW Kiel um den Anschluss an die Tabellenspitze in der Handball-Bundesliga. Der Verlierer muss seine Titel-Ambitionen möglicherweise erstmal hinten anstellen. Von Aljoscha Huber

Stefan Kretzschmar ist im Stress. Er steht mit Kaffee und Kippe vor der Halle in Berlin-Reinickendorf und ist schon zu spät für den nächsten Termin. Angesprochen auf die enge Tabellensituation in der Handball-Bundesliga hält er aber inne und nimmt sich Zeit. "Die Liga ist unheimlich spannend. Es ist unmöglich, Voraussagen zu treffen. Das macht sie so interessant", sagt er. Man hat das Gefühl, da antwortet gerade nicht der Sportvorstand der Füchse, Stefan Kretzschmar, sondern der neutrale Handball-Fan in ihm.

Nach der Hälfte der Hinrunde grüßt nicht etwa Rekordmeister Kiel von der Tabellenspitze, sondern die zuletzt eher im Mittelmaß anzutreffende TSV Hannover-Burgdorf. Und Top-Verfolger sind nicht die üblichen Verdächtigen SC Magdeburg oder die Füchse — sondern die MT Melsungen.

Kampf gegen den Olympia-Blues bei den Spitzenmannschaften

Die weiteren Verfolger Kiel und Berlin stehen mit jeweils 12:4 Punkten in der Tabelle dicht beieinander: die Füchse auf Platz vier und der THW direkt dahinter. Sicher kein Tabellenstand, mit dem man beim Rekordmeister Kiel zufrieden ist. Füchse-Coach Jaron Siewert warnt jedoch vor dem Spitzenspiel in der Max-Schmeling-Halle (Samstag 15 Uhr) davor, den Gegner zu unterschätzen: "Kiel wurde schlechter geredet, als sie sind. Ich sehe sie definitiv weiter als Meisterschaftskandidat", sagt Siewert. "Sie haben sich super gefangen und jetzt kommen die Schlüsselspieler zurück. Und dann haben sie eine Weltklasse-Mannschaft."

Dass Serienmeister Kiel überhaupt auf gutes Zureden eines direkten Konkurrenten angewiesen ist, sagt allerdings schon einiges über den engen Titelkampf in der Bundesliga aus.

"Aktuell kann sich wahrscheinlich kein Zuschauer beklagen. Es gibt so viele enge Spiele wie noch nie, weil es so ausgeglichen ist", sagt auch Melsungens Sportvorstand Michael Allendorf. Dass die Meisterschaft derart eng beieinander ist, hat seine Gründe.

Zu viele Spiele, zu wenig Regeneration — es ist ein Klagen, das mittlerweile in vielen Bereichen des Spitzensports zu vernehmen ist. Insbesondere der Handball-Kalender aber ist in diesem Jahr mit außergewöhnlich vielen Highlights gespickt. Die Belastung sei "enorm", sagt Allendorf und blickt zurück: "Erst die EM im Januar, dann im Sommer Olympia und kurz darauf ging die Saison schon wieder los."

Die Olympiasieger fallen immer wieder verletzt aus

Auch für Stefan Kretzschmar, selbst einst 218-facher Nationalspieler, ist die dichte Taktung an Großevents ein Grund für den engen Kampf um die Spitze: "Ich will nicht von Olympia-Blues sprechen, aber einige Spieler hatten schon damit zu kämpfen, dass sie relativ wenig Urlaub und im Sommer ein Highlight wie die Olympischen Spiele hatten." Mannschaften mit wenigen Nationalspielern könnten daraus zweifach profitieren: "Hannover hat wenige Spieler abstellen müssen."

Trotzdem könne eine Turnierbeteiligung auch beflügeln. So sei der deutsche Nationalspieler Justus Fischer "mit brutalem Selbstvertrauen" von den Olympischen Spielen in Paris nach Hannover zurückgekehrt.

Melsungens Sportvorstand Allendorf ist sich dieses Vorteils durchaus bewusst: "Wir hatten mit Adrian Sipos nur einen Olympia-Teilnehmer. Das kam uns sicher zugute, dass wir die komplette Vorbereitung nahezu in Bestbesetzung trainieren konnten", sagt er.

Von den Füchsen waren drei Spieler bei Olympia dabei, mit Lasse Andersson und Mathias Gidsel sogar zwei, die bis zum Schluss in Paris weilten und als Olympiasieger nach Berlin zurückkehrten. Beide fielen zuletzt immer wieder aus. Bei der Handball-EM stellten die Reinickendorfer sieben Spieler für die jeweiligen Nationalmannschaften ab. Von den Kielern kämpften gleich neun Spieler in Paris um olympische Medaillen. Bei der Handball-EM waren sogar elf THW-Spieler.

In der stärksten Liga der Welt kann jeder gegen jeden verlieren

Ein Blick auf die Tabelle verrät: Alle vermeintlich Großen haben schon ordentlich Punkte liegen lassen. Auffällig: Hannover und Melsungen tun sich als Favoriten-Schrecke hervor. Melsungen gewann auswärts gegen Kiel und zu Hause gegen die Füchse. Hannover gegen die Füchse und Flensburg.

Die Spitze ist zusammengerückt und wurde mit Tabellenführer Hannover und Verfolger Melsungen um zwei Klubs erweitert, die sich dauerhaft oben festsetzen wollen. "Es ist die stärkste Liga der Welt und das ist nicht einfach irgendein Claim. Jeder kann gegen jeden gewinnen", sagt Stefan Kretzschmar von den Füchsen. "Ich sehe erstmal keine Vormachtstellung wie in der Vergangenheit von Kiel oder Flensburg mehr kommen. Die ganze Liga ist enger zusammengerückt — besonders im oberen Drittel der Tabelle."

Für Füchse-Trainer Siewert keine neue Entwicklung. "Den Kreis der gefährlichen Mannschaften auf die ersten sechs der Tabelle zu beschränken, ist ein Fehler, den man in der Bundesliga nicht machen sollte. Lemgo, Hamburg oder auch Aufsteiger wie Eisenach: Da kann man überall Punkte liegen lassen", so der Füchse-Trainer.

"Der Abstand zu den Topklubs wird kleiner", sagt auch Allendorf. "Nicht nur die üblichen Verdächtigen haben sich gesteigert: Hannover hat im Vergleich zu letztem Jahr einen großen Schritt gemacht, Gummersbach macht einen tollen Job und wir sind auch sehr zufrieden mit unserem Saisonstart."

Die Saison ist noch lang

Klar ist aber auch: Es ist erst der neunte Spieltag und die Saison noch lang. Bei Melsungen übt man sich in Zurückhaltung. "Um wirklich um die Meisterschaft mitzuspielen, gehört Erfahrung dazu. Und da sind uns Mannschaften wie Kiel, Magdeburg oder die Füchse Berlin einiges voraus. An denen wird kein Weg vorbeiführen", sagt Allendorf.

"Melsungen und Hannover stehen momentan gut da. Letztes Jahr war es zu dem Zeitpunkt der Saison aber ähnlich. Die haben dann hintenraus ein bisschen nachgelassen", sagt auch Füchse-Trainer Siewert. Auch Stefan Kretzschmar legt den Fokus auf das Spitzenspiel am Sonntag: "Es ist ein Prestigeduell. Wer gewinnt bleibt oben dran und das wollen wir sein."

Die Füchse haben seit 2022 nicht mehr gegen Kiel gewonnen. Zudem haben die Kieler ihre letzten acht Pflichtspiele gewonnen. Die Füchse verloren hingegen von den letzten fünf Partien vier. So oder so werden sich beide am Sonntag gegenseitig Punkte abnehmen wollen und das Meisterschaftsrennen wohl eher noch spannender machen - zumindest neutrale Handball-Fans dürften nichts dagegen haben.

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Beitrag von Aljoscha Huber

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