Eigengewächse im Einsatz - Diese Spieler ebnen den Berliner Weg bei Hertha BSC
Im Sommer hat Hertha BSC die Rückkehr zum Berliner Weg ausgerufen. Mehr junge Spieler aus der eigenen Jugend sollen künftig Verantwortung tragen. Einen ersten Eindruck bieten Spieler wie Marten Winkler und die Dardai-Brüder. Von Jakob Lobach
Es war eine besonders junge Trainingsgruppe, die Pal Dardai am Dienstagvormittag auf dem Schenkendorfplatz um sich geschart hatte. Eingepackt in eine dicke blaue Jacke sprach der Hertha-Trainer im Mittelkreis zu seinen Schützlingen. Der Ungar schaute dabei in das ein oder andere Gesicht, das er sonst eher selten im Training sieht. Gleich sechs Eigengewächse hat Hertha BSC anlässlich der Länderspielpause aus der eigenen U23-Mannschaft vorübergehend zu den Profis befördert. Dort trafen sie auf eine ganze Reihe von ehemaligen Mitspielern und alten Bekannten.
32 Spieler umfasst der erweiterte Zweitligakader von Hertha BSC knapp zweieinhalb Monate nach dem Saisonstart. 13 dieser Akteure haben große Teile, wenn nicht ihre gesamte Fußballjugend in Herthas Akademie verbracht und sich dort für eine Profikarriere empfohlen. Einige von ihnen – Spieler wie Marten Winkler und die drei Dardai-Brüder – haben Herthas bisherige Zweitligasaison maßgeblich mitgeprägt. Sie gehen auf dem vom Klub neu geebneten Berliner Weg voran, während die anderen Eigengewächse ihnen mit mal mehr, mal weniger Abstand folgen.
Die drei Dardais
Die Vorsitzenden der Hertha-Fraktion 'Eigengewächse' sind Palko, Marton und Bence Dardai. Bei ihrer fußballerischen Familienzusammenführung unter Vater und Trainer Pal überzeugen die drei Brüder aus der Hertha-Jugend in dieser Saison bislang allesamt.
Allerdings jeder auf seine ganz eigene Art: Palko Dardai etwa wurde, zwei Jahre nach seinem (zwischenzeitlichen) Abschied aus Berlin, bei seiner Rückkehr diesen Sommer prompt zum Leistungsträger bei Hertha. Bis zu seiner Verletzung Mitte September stand er bei sechs seiner sieben Einsätze in der Startelf. Hinter der Spitze dirigierte und organisierte der 24-Jährige Herthas Spiel - nicht fehlerfrei, aber mit der Erfahrung aus zwei gespielten Profi-Saisons in Ungarn.
Auch Palkos drei Jahre jüngerer Bruder Marton ist diese Saison unter Pal Dardai endgültig gesetzt, absolvierte gar alle neun bisherigen Ligaspiele der Hertha von Beginn an. Dass er dabei neuerdings im defensiven Mittelfeld - statt wie gewohnt in der Viererkette - spielen muss, sorgte nur anfänglich für einige Umstellungsschwierigkeiten.
Hinzu kommt Bence, mit 17 Jahren das Nesthäkchen der Dardais und folglich der Bruder mit der (noch) kleinsten Rolle bei der Hertha. Auch Bence fühlt sich in der Jokerrolle, die er überraschend früh überraschend oft ausfüllt, sichtlich wohl. Seine schon jetzt gute Technik am Ball sowie sein Auge für Mitspieler und Steckpässe ist nur ein Teil dessen, was Bence Dardai zu einem Spieler für Herthas Zukunft machen. Nicht zuletzt, weil er seine derzeitige Jokerrolle mit einer wertvollen Mischung aus jugendlicher Unbekümmertheit und viel Einsatz ausfüllt.
Identifikation von Winkler bis Kwasigroch
Auch Marten Winkler hat sich auf seiner rechten Außenbahn mit einer Leidenschaft und Lauffreudigkeit festgespielt, die beeindruckt. Sie ist allerdings auch erklärbar: Sieben Jahre hat Winkler in Herthas Akademie verbracht, ehe er vergangene Saison - ausgeliehen an Waldhof Mannheim - in der 3. Liga endgültig zum Profi wurde. Sieben Jahre lang verbrachte Winkler nahezu jeden Tag bei der Hertha, fand dort, was auch die drei Dardais bei Hertha fanden: Freunde, Förderer und Vorbilder.
Dass dabei eine antreibende Identifikation mit dem Klub entsteht, die von außerhalb Berlins verpflichtete Profis nur schwer haben können, ist nur logisch. Dass Winkler diese Identifikation mit viel Selbstbewusstsein, einem guten Zug zum Tor und sehr viel Tempo ergänzt, macht ihn zu einem der spannendsten Eigengewächse in Herthas Zweitligamannschaft.
Nachwuchs-Verdreifachung in der Startelf
Das Paradebeispiel dafür, wie groß die Identifikation von Spielern aus dem eigenen Nachwuchs im Idealfall sein kann, bescherte allerdings Herthas Torwart-Talent Robert Kwasigroch Mitte September. Da musste der eigentlich für die Regionalliga eingeplante 19-Jährige gegen Braunschweig plötzlich den ebenfalls erst 20-jährigen Tjark Ernst vertreten. Mit drei teils wichtigen Paraden blieb Kwasigroch ohne Gegentreffer, ehe er nach Spielende noch auf dem Rasen Freudentränen weinte. Getröstet wurde er auch von den vier anderen Hertha-Emporkömmlingen, die zuvor an seiner Seite gespielt hatten.
Fünf eingesetzte Eigengewächse in einem Spiel - vergangene Saison gab es das bei Hertha in 34 Ligaspielen exakt fünfmal. Im Schnitt standen 0,9 Eigengewächse in Herthas Startelf, während durchschnittlich 2,5 von ihnen eingesetzt wurden und 4,1 im Kader standen. In dieser Saison hingegen hatte Hertha bislang durchschnittlich 6,7 Eigengewächse im Kader, von denen im Schnitt 4,7 spielten und 2,9 in der Startelf standen. In anderen Worten: Die Anzahl eingesetzter Eigengewächse hat sich bei Hertha fast verdoppelt, die derer in der Startelf hat sich mehr als verdreifacht.
Nicht-lineare Entwicklungen
Das liegt nicht zuletzt an weiteren original Herthanern wie Linus Gechter, Pascal Klemens oder Derry Scherhant. Auch sie haben diese Saison bereits beachtliche Einsatzzeit bekommen, sind allerdings ungleich weniger gesetzt als etwa Marten Winkler. Die Defensivakteure Gechter und Klemens spielten zum Saisonstart zwar durchaus große Rollen, die allerdings immer kleiner wurden, als Hertha spät im Transferfenster doch noch zahlreiche gestandene Profis verpflichtete.
Stürmer Scherhant verlängerte im Sommer seinen Vertrag, kam zu Saisonbeginn dann dennoch vor allem in der Regionalliga zum Einsatz. Der 20-Jährige war vergangene Saison hinter dem mittlerweile zu Eintracht Frankfurt gewechselten Jessic Ngankam eines von Herthas am meisten umjubelten Eigengewächsen - jetzt muss er sich im Spielsystem von Pal Dardai und im Schatten von Haris Tabakovic und Smail Prevljak neu orientieren.
Scherhant ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass die Entwicklung junger Talente stets auch vom Bedarf im Verein bestimmt wird. Genauso, wie ihre Entwicklung als Ganzes nur selten linear verläuft. Das gilt auch für die Eigengewächse, die bei Hertha BSC diese Woche vorerst temporär im Training Profiluft schnuppern dürfen. Geht ihr Klub den zuletzt eingeschlagenen Berliner Weg allerdings konsequent weiter, steigen auch ihre Chancen auf einen dauerhaften Wechsel zu den Profis weiter.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.10.2023, 8:15 Uhr