Interview | Marco Baldi - "Es ist eine sehr schwierige Situation"
Marco Baldi gilt als Architekt des elfmaligen Basketballmeisters Alba Berlin. Im Interview spricht der Geschäftsführer über die aktuelle Schwächephase der Albatrosse, den Aufschwung der Alba-Frauen und warum ihm die Tabelle gerade egal ist.
rbb|24: Herr Baldi, Alba Berlin ist seit der Gründung in den 90er Jahren eine Erfolgsgeschichte. Wo sehen Sie den Verein aktuell – in einer Übergangsphase?
Marco Baldi: So würde ich es nicht beschreiben. Wir haben unser Modell über die Jahrzehnte weiterentwickelt. Im Fokus steht das, was die erste Herrenmannschaft macht. Daran lassen wir uns gerne messen. Aber wir sehen, wie wir im Jugend- und Frauenbereich investiert haben und wie sich das jetzt auszahlt. Wir haben in der BBL aktuell 22 Spieler, die bei Alba groß geworden sind und dazu haben wir die beiden Wagners in die NBA bekommen (Anm.: die gebürtigen Berliner Moritz und Franz Wagner spielen bei den Orlando Magic). Der andere Teil ist, dass wir ein sehr breit gestreutes Programm für Kinder und Jugendliche haben, in Gegenden, wo das Sportangebot nicht so groß ist, die so einen Zugang zum Basketball finden. Einige schaffen es sogar bis nach ganz oben. Das ist unsere Positionierung, an der wir seit vielen Jahren arbeiten.
Wie wichtig ist Ihnen der sportliche Erfolg?
Ich will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass es egal ist, ob man Titel gewinnt. Ganz im Gegenteil: Dem haben wir uns verschrieben. Ich bin vom ersten Tag an da und es ist jetzt meine und Albas 34. Saison. Wir haben in dieser Zeit 23 Titel gewonnen. Das ist außergewöhnlich. Insofern haben wir alles darauf ausgerichtet, möglichst viele sportliche Erfolge zu sammeln. Dass wir aber in er heutigen Zeit über den Sport mehr in die Begegnung gehen, ist ein ganz wichtiger Aspekt. Das sehen wir genauso als unseren Auftrag.
Sportlich lief es für die 1. Herren zuletzt weniger gut, in der Liga ist man nur Sechster. Woran liegt es, dass Alba nicht an die Leistungen der Jahre zuvor anknüpfen kann?
Uns haben zentrale Spieler verlassen, wie Luke Sikma oder Maodo Lo, die eine sehr wichtige Rolle eingenommen hatten, was das Gefüge des Teams anging. Das waren Spieler, die man nicht Eins-zu-Eins ersetzen kann. Darum mussten wir eine neue Statik entwerfen mit vielen jüngeren Spielern, die aber noch nicht bei ihrem Leistungs-Peak angekommen sind und die jetzt unter Druck stehen.
Wie schwer wiegen die derzeitigen Verletzungsprobleme?
Es ist eine sehr schwierige Situation. Zunächst sind uns alle Center ausgefallen. Mittlerweile haben wir selbst mit der Unterstützung von Jugendspielern Probleme, eine vollständige Mannschaft aufs Parkett zu führen. Wir können kaum trainieren und sind in einem reinen Überlebensmodus. Erst wenn wir diese Phase mit unserer Rumpfmannschaft überstanden haben, können wir wieder in die Verbesserung und in die Entwicklung gehen. Darum schaue ich momentan gar nicht auf die Tabelle.
Halten Sie angesichts der Verletztenmisere weiterhin Ausschau nach Neuverpflichtungen?
Wir sind dauerhafte Beobachter und Scouter. Das ist ein 12-Monatsgeschäft, was unser Sportdirektor Himar Ojeda mit seinem Team betreibt. Aber es bringt nichts, aus einem Mangel heraus irgendetwas zu machen. Es geht uns sicher nicht um Quantität, sondern um Qualität. Die Spieler müssen zu unserem Profil passen und einen Gewinn bedeuten. Und das ist während der Saison ausgesprochen schwierig. Selbst in der Euroleague kommen viele finanzstarke Teams nicht zum Zug, weil die NBA sehr viele Spieler bindet. Darum ist der Markt relativ übersichtlich.
In der Euroleague steht Alba aktuell auf dem letzten Platz. Reichen die finanziellen Rahmenbedingungen von Alba nicht, um in Europa konkurrenzfähig zu sein?
Die Euroleague ist eine unfassbar wettbewerbsorientierte Liga. Jedes Spiel ist auf Messers Schneide und wenn man sich eine kleine Schwäche erlaubt, dann war's das. Das ist für unser junges Team mit all den Verletzungen keine Situation, in der wir träumen dürfen. Dauerhaft ist es unser Ziel, uns dort zu etablieren und uns zu verbessern. Wir sind noch kein ernsthafter Anwärter auf die Playoffs, das muss man klar sagen - auch aus wirtschaftlichen Gründen. Aber wir werden weiter versuchen, uns in diese Richtung zu entwickeln.
Ihr Weltmeister Johannes Thiemann hatte in Ludwigsburg zuletzt mit 29 Punkten einen Karrierebestwert erzielt, trotzdem reichte es nicht zum Sieg. Er muss gerade enorm viel schultern. Wie bewerten sie seine Rolle?
Dass Johannes so viel schultern muss, liegt einfach daran, dass viele erfahrene Spieler wie Louis Olinde, Matt Thomas oder Sterling Brown allesamt verletzt sind. Da lastet viel auf ihm, aber wir haben auch schon in Bestbesetzung in Ludwigsburg verloren, weshalb ich nicht alles an ihm festmachen würde. Ich sehe gerade aber bei allen Weltmeistern, was so ein Titel auslöst, mit welchem Selbstbewusstsein die Jungs zu Werke gehen. Das ist eine wahre Freude zuzuschauen. Aber vor allem für JT freut es mich, weil er konsequent über die letzten Jahre gearbeitet hat. Man sieht jetzt, dass man sehr weit damit kommen kann.
Welche Rolle spielt die Hallen-Problematik? Alba konnte zwar den Mietvertrag verlängern, muss nun aber mehr Miete für die Arena bezahlen. Gegen Lyon in der Euroleague kamen gerade mal 6.500 Zuschauer. Ist das eine zusätzliche Hypothek?
Wir haben die Ticketpreise nicht erhöht und sind sehr zufrieden mit der Auslastung und was den Zulauf der Fans angeht. Große Probleme sind zum einen die Verfügbarkeit der Arena und der wirtschaftliche Preis, den wir dennoch dafür aufbringen müssen. Das ist dauerhaft eine große Gefahr. Das muss man deutlich sagen. Das ist etwas, wo wir ohne Unterstützung nicht weiterkommen werden. Selbst für die Max-Schmeling-Halle ist es äußerst schwierig, einen Termin zu finden. Hätten wir letztes Jahr in den Playoffs die Halbfinals erreicht, hätten wir nicht in Berlin spielen können. Und wir laufen auch in diesem Jahr auf eine solche Situation zu. Es ist ein strukturelles Thema, das deutlich auf Kosten unserer Wettbewerbsfähigkeit geht
Im Gegensatz zu den Männern reiten die Alba-Damen gerade die Erfolgswelle. Im Sommer 2022 aufgestiegen, ist man mittlerweile Titelkandidat. Befinden wir uns gerade beim Auftakt einer ähnlichen Erfolgsgeschichte wie bei den Männern?
Das ist über viele Jahre organisch gewachsen. Und als die Frauen so weit waren, dass sie aus eigener Kraft ans Tor der ersten Liga geklopft haben, war für uns klar, dass wir diesen Prozess weiter unterstützen werden. Wir arbeiten mit sehr vielen jungen Spielerinnen aus den eigenen Reihen, dazu kommen erfahrene Profispielerinnen, die dem Team eine neue Stabilität geben. Sportlich hat man sich damit in eine gute Position gebracht, sodass man davon träumen darf, dass man sich mittelfristig zu einem echten Spitzenteam entwickelt, vielleicht auch einen Titel gewinnen kann. Was besonders schön ist: dass die Sömmeringhalle bei den Heimspielen wirklich voll ist. Da tut sich was im Frauensport. Im Publikum sitzen viele junge Mädchen, die vielleicht auch selbst anfangen, Basketball zu spielen.
Sie sind jetzt fast 30 Jahre Geschäftsführer von Alba, haben den Verein Anfang der 90er Jahre mit aufgebaut. Waren bei allen sportlichen Höhepunkten dabei. Was muss passieren, dass Sie dem Basketball Goodbye sagen?
Es ist alles so gebaut, dass ich früher oder später ersetzbar bin. Das ist mir auch wichtig. Wir sind so aufgestellt, dass wenn ich nicht mehr dabei wäre, es in hoher Qualität weitergehen kann. Was allerdings meine Zugehörigkeit zu diesem Verein angeht, die wird sich nicht ändern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Fabian Friedmann, rbb Sport.
Sendung: rbb24 Inforadio, 29.11.2023, 17:10 Uhr