Analyse | 3:0-Sieg im DFB-Pokal - Hertha BSC "dardait" Mainz 05
Hertha BSC setzt sich im Pokal gegen Mainz 05 hochverdient mit 3:0 durch. Dass die Berliner gegen einen Bundesligisten keinen Qualitätsunterschied aufkommen ließen, lag maßgeblich an ihren Prinzipien. Prinzipien, die Trainer Pal Dardai seit jeher predigt. Von Marc Schwitzky
Hachja, Hertha BSC, wie es singt und lacht. Oder so ähnlich. Normalerweise sind Berliner ja nicht unbedingt für ihre überschwängliche Euphorie bekannt. "Kannste nich meckern, wa", ist oftmals schon das höchste der Gefühle. Und Hertha-Fans zeichnen sich meist auch nicht durch grenzenlose Jubelarien aus. Allein schon aufgrund des Mangels an Anlässen. Aber am Mittwochabend war es anders. Es war ohnehin vieles anders.
Allein schon, weil die "alte Dame" ihre Robin-Hood-Manier zu Hause ließ. Zwar sagen viele Vereine über sich, gerne auch mal der Aufbaugegner für am Boden liegende Mannschaften zu sein, doch Hertha ist in dieser Disziplin ein gefühlter Spitzenreiter. Sobald der Gegner nicht bei 100 Prozent ist, sind es die launischen Blau-Weißen ebenso nicht – muss ja auch so reichen. Und dann reicht es meistens eben nicht. Doch nicht so in der 2. Runde des DFB-Pokals gegen Bundesligist Mainz 05. Und vor allem nicht mit Trainer Pal Dardai.
Dardai zieht Konsequenzen aus dem Ligaalltag
Dardai veränderte die Startelf gegen Mainz im Vergleich zum letzten Ligaspiel gegen den SC Paderborn auf gleich mehreren Positionen. Florian Niederlechner, Pascal Klemens und Marc Oliver Kempf rotierten in die erste Elf, sie alle ersetzten zuletzt schwach aufspielende Mannschaftskollegen. "Ich hatte drei Spieler ausgetauscht. Da geht es um Zweikampfführung und Leidenschaft", erklärte Trainer Dardai nach dem Spiel. "Manchmal muss man die Mannschaft nicht nach Laptop aufstellen, sondern nach menschlichen Gefühlen." Er zog mit all seinen Wechseln also Konsequenzen aus dem Ligaalltag, der zuletzt trotz einiger Siege von wechselhaften Leistungen durchzogen war. Von einer typischen Pokalrotation konnte daher keine Rede sein.
Abseits oder gerade durch die personellen Wechsel war auch das Auftreten der Berliner am Mittwochabend ein anderes als noch in den Wochen zuvor. Das lag weniger an der ersten Viertelstunde, denn der schwungvolle Beginn Herthas und das hohe Pressing gegen Mainz waren Elemente, die bereits aus den letzten Ligaspielen bekannt waren. So gingen die Blau-Weißen in den letzten Wochen oft früh in Führung. Das Tor sollte zunächst ausbleiben, auch weil Hertha in Person von Marten Winkler in der 10. und 16. Spielminute, später durch Haris Tabakovic (42.) gute Chancen ausließ.
Passivität passé
Die Weiterentwicklung in Herthas Spiel bestand darin, nach der engagierten Anfangsphase nicht wieder in eine eigenartige Passivität zu verfallen. Hertha kontrollierte die erste Halbzeit beinahe durchgehend, nur von der 25. bis zur 35. Minute konnte Mainz das Spiel ausgeglichener gestalten, es aber nie wirklich auf seine Seite ziehen. Bis zur 45. Minute konnte sich Hertha nur das fehlende Tor vorwerfen, in allen anderen Belangen – spielerisch wie kämpferisch – waren die Hausherren die deutlich bessere Mannschaft. Es war ein Klassenunterschied der anderen Art: der Zweitligist überrumpelte den Erstligisten.
Und das, weil sie das zentrale Prinzip des Pal Dardai befolgten: das Spiel aus einer geordneten, aggressiven Defensive heraus kontrollieren und darüber in eigene Ballbesitzmomente und Angriffsszenen kommen. "Seit langer Zeit war das von uns mal wieder eine Mannschaftsleistung - jeder macht die Wege und das Mittelfeldpressing, jeder hat bei der Spieleröffnung nachgedacht und alle sind immer aktiv geblieben", zeigte sich Dardai nach der Partie zufrieden. "Ich muss ein bisschen frech sein: So kompakt habe ich Hertha BSC seit ein bis zwei Jahren nicht mehr gesehen - ob ich hier war oder nicht."
Tore zu goldenen Zeiten
Durch eine geschlossene Mannschaftsleistung ließ Hertha die verunsicherten Mainzer nie wirklich in die Partie kommen. Die Blau-Weißen waren in allen Grundtugenden des Fußballs besser, waren unnachgiebig im Zweikampf und zogen so das Spiel an sich. Eine besondere Leistung, da sich Gegner Mainz unter Trainer Bo Svensson genau über diese Attribute definiert.
Aber auch das Spiel mit Ball folgte einer klaren Idee. Hertha machte das Spiel nur sehr selten schnell, oftmals zirkulierte die Kugel gemächlich durch die Viererkette. Hertha wollte die Mainzer dadurch in die eigene Hälfte locken, um dann – vor allem über Marton Dardai und Pascal Klemens – blitzartig Vertikalpässe auf die schnellen Außenspieler Fabian Reese und Marten Winkler zu spielen. Ein Stilmittel, das oft von Erfolg gekrönt war. Mainz hatte durch seine Formation der Dreierkette und jeweils nur einem Flügelspieler Probleme, den von Hertha bespielten Raum zu schließen. Und selbst wenn der Pass nicht initial ankam, rückten die Hauptstädter so konsequent nach, um den Großteil der zweiten Bälle zu gewinnen.
Die Belohnung für all das waren die Tore zu goldenen Zeitpunkten – wenn auch jeweils nach Elfmetern. Das 1:0 Sekunden vor dem Halbzeitpfiff und das 2:0 nur fünf Minuten nach Wiederanpfiff waren Momente, die Hertha perfekt in die Karten spielten und Gegner Mainz den letzten Funken Hoffnung nahmen. Das nötige Glück, das sich Hertha an jenem Tag erarbeitet hatte.
Dardai: "Das war ein bisschen mein Fußball"
Der Treffer zum 2:0 hatte die Begegnung eigentlich schon entschieden – doch auch zeigte Hertha ein anderes Gesicht, denn selbst die vermeintlich komfortable Führung ließ sie nur kurz durchschnaufen. In der 61. Minute fiel das 3:0, erneut durch Tabakovic, der zehn Minuten zuvor seinen ersten Treffer erzielt hatte. Nichts zu spüren von der Passivität, die Hertha zuletzt nach Führungen umgab und Gegner noch einmal unnötig in die Partie hievte. "Und trotzdem sind wir aggressiv geblieben, denn für uns war die Null wichtig. Dass diese Mannschaft versteht, dass jeder für den anderen mitmachen muss – auch defensiv – ist sehr wichtig für die Zukunft", lobte Dardai das Weitermachen seiner Spieler bis zum Abpfiff.
"Das war Zielfußball mit ein paar schönen Szenen. Ich genieße diesen Tag, denn das war ein bisschen mein Fußball: enges Mittelfeldpressing, alle arbeiten gemeinsam. Dadurch bin ich heute sehr zufrieden", sagte Dardai nach Abpfiff. Vor einigen Wochen erklärte der Ungar, dass die wilden Auftritte seiner Mannschaft zwar nicht wirklich sein Geschmack seien, doch wenn sie Erfolg hätten, würde er den Weg mitgehen. Nun, nachdem einige Partien infolge trotzt wichtiger Punktgewinne nur wenig überzeugend waren, durfte sich Dardai mit seinem Fußball durchsetzen – und der Erfolg gibt ihm Recht.
Weiterkommen als Meilenstein
Mit dem Weiterkommen im Pokal ist Hertha BSC ein kleiner Meilenstein gelungen. Weil die Leistung der Mannschaft ein klarer Entwicklungsschritt nach vorne ist. Weil sie mal nicht der Aufbaugegner war. Weil die Prämie in Höhe von 862.000 Euro überaus wichtig für den so klammen Verein ist. Weil Trainer und Mannschaft offensichtlich harmonieren. Weil Spieler wie Haris Tabakovic oder Fabian Reese gesehen haben, dass ihre Qualität auch gegen einen Bundesligisten reichen kann. Weil die Mannschaft viel Schwung für die Aufgaben in der Liga mitnehmen kann. Und weil Hertha einen Anreiz dafür gegeben hat, das beim nächsten Pokalabend mehr als nur 29.000 Zuschauer kommen sollten. Tja, kannste nich meckern, wa?
Sendung: rbbUM6, 02.11.2023, 18 Uhr