Bonucci-Abschied von Union - Vom Kommen und Gehen der Liebe
Die Verpflichtung von Weltstar Leonardo Bonucci sollte eine neue Ära einläuten beim Fußball-Bundesligisten Union Berlin. Doch die Wege trennen sich vorzeitig. Gelohnt hat sich der Versuch dennoch. Nachvollziehbar bleibt er allemal. Von Ilja Behnisch
Mit dem Fußball ist es wie mit der Liebe. Was man schon daran erkennt, dass sich so manche Fußball-Weisheit direkt auch aufs Zwischenmenschliche übertragen lässt. "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen" (Otto Rehhagel). Zum Beispiel. Aber auch anders herum haut es hin. So wissen die Italiener über Herzensangelegenheiten zu sagen: "Am Anfang spricht man über die Zukunft. Am Ende über die Vergangenheit." Ganz so wie beim Fußball. Womit wir beim 1. FC Union und Leonardo Bonucci wären.
Als der italienische Europameister Anfang September sensationell nach Berlin wechselte, waren die jeweiligen Zukunftshoffnungen klar umrissen. Hier der kometenhaft aufgestiegene Bundesligist, der vor der ersten Champions-League-Saison der Vereinsgeschichte gut jemanden gebrauchen konnte, der in der Königsklasse quasi Hausrecht hat. Dort der 36-jährige Bonucci, der in der Vor-Saison auch aufgrund von Verletzungen auf das Abstellgleis von Juventus Turin geraten war, der aber unbedingt noch einmal angreifen wollte, weil er unbedingt noch einmal mit Italien zur Europameisterschaft will. Kurzum: Es lag Liebe in der Luft.
Bonucci fehlte die Spritzigkeit
Unumstritten war der Wechsel dabei vor allem aufgrund von Bonuccis Alter und seiner Krankenakte keinesfalls. Andererseits hatte sich der 1. FC Union in den Jahren unter Trainer Urs Fischer und Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert zurecht das Ansehen erworben, schon zu wissen, was er tut. Zumal auch in den Jahren zuvor nicht jeder Transfer (Tymoteusz Puchacz, Leon Dajaku, Kevin Möhwald) saß, der Klub sich dennoch von Saison zu Saison immer weiter steigerte. Gerade auch deshalb, weil er gar nicht darauf angewiesen war, dass jeder Neuzugang ein Volltreffer wird. Dafür schien das Kader-Gerüst, schien die Achse der Mannschaft stark genug.
Doch wie in die Liebe schleicht sich auch im Fußball irgendwann das Gift ein. Gern ohne Warnhinweis, mitten hinein in ein noch trügerisches Gefühl der Leichtigkeit und Vorfreude. Und dann geht es dahin. Oft unaufhaltsam. So wie bei Union und Urs Fischer. Und Leonardo Bonucci. Lediglich vier Monate und zehn Tage dauerte die Liaison schließlich.
Warum genau es nur 3.168 Stunden brauchte, damit aus einer gemeinsamen, rosa Zukunft eine eher graue Vergangenheit wurde, ist kaum eindeutig zu benennen. Ein paar Indizien immerhin liegen auf der Hand. Bonucci kam ohne richtige Saison-Vorbereitung nach Berlin. Zu den schnelleren Spielern gehörte er ohnehin nicht mehr. Gehörte er nie. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens löste er jedoch vieles wie ein Hellseher des Fußballs. Wie einer, der qua Spielintelligenz ganz genau wusste, wo die Gefahr als nächstes aufschlagen würde. Und doch war inzwischen gerade gegen wendige Gegenspieler zu bemerken, dass auch die beste Antizipation zumindest ein Mindestmaß an Spritzigkeit benötigt, um angemessen einschreiten zu können.
Union brach die Achse weg
Vielleicht hätte Bonucci die fehlenden Prozentpunkte seiner Physis Tag für Tag und Woche für Woche aufholen und dabei sukzessive mehr und mehr Einsätze erhalten können. Doch erst verletzte sich der bisherige Abwehrchef Robin Knoche, dann Nebenmann und Shooting-Star Danilo Doekhi. Und Bonucci war, womöglich früher als geplant, zumindest aber früher als es gut für ihn und die Mannschaft war, gezwungen, aufzuspielen.
Statt sich nach und nach in ein funktionierendes System zu integrieren, musste er sofort funktionieren. Zu allem Überfluss erlitt Union dann auch noch außerhalb der Abwehrzentrale einen Achsenbruch. Insbesondere die Ausfälle der Mittelfeld-Strategen Rani Khedira und Andras Schäfer schlugen (zu) schwer zu Buche.
In der Folge spielte Union selten richtig schlecht, wenn auch noch seltener richtig gut. Vor allem aber: immer erfolgloser. Gleiches gilt für Leonardo Bonucci. Zehn Pflichtspiele sind es letztlich geworden. Die Bilanz? Acht Niederlagen, ein Remis, ein Sieg. Nicht gerade die Kennzahlen einer großen Love-Story.
Sympathisch und hilfsbereit
Weil das Leben, die Liebe und der Fußball aber bekanntlich weiter, immer weiter gehen, galt es für alle Beteiligten, sich die Zukunft neu auszumalen. So setzt Unions neuer Trainer Nenad Bjelica voraussichtlich vermehrt auf eine Vierer- statt Dreierkette. Eine Innenverteidiger-Position weniger also für Bonucci. Der mit seinen 36 Jahren und der im Sommer wartenden Europameisterschaft schlicht keine Zeit mehr hat, abzuwarten, in welche Richtung sich wohl alles entwickeln würde in Berlin. Der stattdessen nun für Fenerbahce Istanbul auflaufen und angesichts derer Verletzungssorgen sehr wahrscheinlich auf genügend Einsatzzeiten kommen wird. Gut verdient wird im türkischen Fußball dank günstiger Steuersätze und frenetischer Sponsoren ohnehin.
Es ist schnöder Pragmatismus, der die Verbindung zwischen Union und Bonucci vorzeitig gekappt hat. So wie es schnöder Pragmatismus war, sie überhaupt erst einzugehen. Nur dass allen Anfängen der Zauber der Ungewissheit innewohnt. Wer nicht weiß, wie es wird, kann immerhin träumen. Und träumen ließ sich gut mit Leonardo Bonucci.
Allein deshalb sollte man mit Nachsicht auf die italienische Episode in Berlin-Köpenick schauen. Zumal sie dort auch nach dem Abgang des Weltstars voll des Lobes über ihn sind. Hört man sich um unter den Anhängern und Beobachtern des Vereins, hört man nur Gutes. Sympathisch, offen und immer und jedem gegenüber auf Augenhöhe soll er sich verhalten haben. Jungen Spielern soll er immer helfend zur Seite gestanden haben. An der Seitenlinie wirkte er zuweilen wie ein weiterer Co-Trainer der Mannschaft, so leidenschaftlich gestikulierte er während der Spiele. Allein, es sollte nicht sein.
Mit dem Fußball ist es eben wie mit der Liebe: Nicht jede Romanze endet in einer funktionierenden Beziehung. Aber wäre doch schade, es nicht trotzdem immer wieder zu versuchen.
Sendung: rbb24, 12.01.2024, 22 Uhr