Müsli, Mommsenstadion, Mobilität - Wo Berlin und Deutschland die Fußball-EM verstolperten
Die Europameisterschaft steuert aufs Finale zu. Schon jetzt lässt sich feststellen: Das Turnier war insgesamt ein Erfolg. Doch an einigen Stellen ruckelte es. Eine Übersicht. Von Shea Westhoff
Nur Oranje will ins Mommsenstadion
Nach der WM 2014 in Brasilien gerieten manche Stadien in die Schlagzeilen, weil dort gähnende Leere statt Fußball-Euphorie herrschte. Prachtvolle Arenen waren einst extra für das Großturnier hochgezogen worden, allerdings teilweise an entlegenen Orten ohne große Fußballklubs. Eine teure Fehlplanung. Nicht nachhaltig, mäkelte man in Deutschland.
Nun haben die Brasilianer ihrerseits gute Gründe, sich über ein deutsches Stadionprojekt zu wundern, genauer gesagt über das Mommsenstadion in Berlin-Charlottenburg. Für die traditionsreiche Sportstätte erfolgte im Vorfeld der EM 2024 noch eilig eine Sanierung für zwei Millionen Euro. Das Gelände sollte als Trainingsplatz für teilnehmende Teams fungieren und außerdem für die Drittliga-Nutzung aufgerüstet werden.
Jedoch blieb das Mommsenstadion während der Europameisterschaft weitgehend verwaist. Erst am vergangenen Samstagvormittag hat das niederländische Nationalteam das aufgepeppte Sportgelände im Westend für eine Trainingseinheit genutzt, am Tag des Viertelfinales gegen die Türkei. Das lässt die Senatsverwaltung auf Anfrage wissen.
Auch den Finalteilnehmern werde das Mommsenstadion für Übungen zur Verfügung stehen. Ob sie es nutzen werden? "Laten we eens kijken", würden die Niederländer sagen, die am Mittwochabend erst noch die Engländer überwinden müssen. Schaun mer mal.
Was den Berlinern auf jeden Fall bleibt: ein drittligataugliches Stadion. Jetzt fehlt nur noch ein Berliner Drittligist.
Knusprige Kampagne, fader Beigeschmack
Betont nachhaltig sollte es bei einer Müsli-Aktion zugehen, die von der "Stabsstelle Bildung für nachhaltige Entwicklung" des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf initiiert wurde. "Dit is Müsli" heißt es seitdem auf der Packung einer Cerealien-Mischung, die extra für die Europameisterschaft auf den Markt geworfen wurde und für eher happige 6,49 Euro zu erwerben ist. Das Müsli soll nicht weniger als 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen unterstützen.
Neugierig fragte der Bund der Steuerzahler: Was kostet diese Aktion eigentlich die Bürgerinnen und Bürger?
Für den Wettbewerb des besten Verpackungsdesigns fielen 8.328,81 Euro an, hieß es vom Umweltbezirksstadtrat. Zu den Gesamtkosten könne man noch nichts mitteilen, eine "Gesamtbilanzierung" werde erst nach Projektende übermittelt [steuerzahler.de].
Bei der Kundschaft wird das Müsli immerhin "solide" angenommen, heißt es auf Nachfrage beim Wilmersdorfer Weltladen A Janela, wo die Dinkelflocken unter anderem zu haben sind. 27 von 48 vorrätigen Packungen seien dort bislang verkauft worden (Stand: Dienstag).
Fanmeile zeigt nicht alle Spiele
Wer hätte gedacht, dass sich das Angebot bei einem Public Viewing einmal zu einem Politikum auswachsen kann? In Berlin ist das durchaus möglich. Denn auf der Fanmeile am Brandenburger Tor wurden einige mit Spannung erwartete Paarungen der Fußball-EM ausgeklammert, etwa das letztlich hochdramatische Vorrundenfinale zwischen Kroatien und Italien. Insbesondere der Verzicht, alle Partien mit türkischer Beteiligung zu zeigen, rief Kritik hervor, zumal die türkische Auswahl gerade in Berlin eine riesige Anhängerschaft hat.
Und dann gab es Abende, an denen statt packender EM-Begegnungen Fußballfilme über die Leinwände flimmerten.
Die für das Programm in den Fan-Zonen federführende Abteilung Kulturprojekte Berlin begründete das Alternativprogramm damit, auch für Menschen ein Angebot schaffen zu wollen, "die nicht unbedingt Fußballfans sind". Zudem betonte sie, dass auch in vorhergehenden Fanmeilen nicht alle Spiele übertragen wurden.
Einige Fans zeigten sich wenig offen für solcherlei Argumente. Sie wollten während der Fußball-EM nämlich vor allem: Fußball schauen. Letztlich vollzog die Stadt Berlin eine Kehrtwende. Auch die Achtelfinalspiele Türkei gegen Österreich sowie Niederlande gegen Rumänien wurden auf der Straße des 17. Juni gezeigt. Ab den Viertelfinalbegegnungen standen dann ohnehin sämtliche Partien auf dem Fanmeilen-Programm.
Gastgewerbe hat sich mehr erhofft
Wer sollte von einem Fußball-Großturnier profitieren, wenn nicht die Gaststätten? Diese Rechnung schien in Deutschland bislang aufzugehen. Gluck, gluck, Fußballguck. Doch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Berlin sprach nach der Vorrunde von gemischten Rückmeldungen der Betriebe und einer eher enttäuschenden Zwischenbilanz. Sowohl Gastronomiebetriebe als auch Hotels hätten sich "wesentlich mehr Geschäft" erwartet.
Doch die detaillierte Auswertung der EM-Effekte auf die Branche liege erst im August vor. Ob sich die Bilanz nach dem Viertelfinal-Ausscheiden der DFB-Auswahl verbessert hat, darf allerdings bezweifelt werden.
Na klar: Probleme mit der Bahn
Ein formvollendeter Satz, der wohl wie kein anderer für den Zugverkehr in Deutschland steht: "Wir haben genug Bier mitgehabt, so war alles ertragbar".
Das gab ein gut gelaunter Fan der österreichischen Mannschaft auf die Frage des rbb nach seinen Erfahrungen mit der Deutschen Bahn zu Protokoll. Ja, man kann sich die Performance der Bahn schöntrinken. Aber für Pünktlichkeit sorgt auch das nicht.
Das internationale Fußballturnier in Deutschland legte die Probleme rund um den Zugverkehr offen. Einige Fans aus der Alpenrepublik verpassten die gesamte Partie ihrer ÖFB-Auswahl gegen Polen im Olympiastadion, weil bei einer Verbindung nach Berlin zu viel schief ging [merkur.de]. Die Österreicher waren es denn auch, die den Fan-Schlachtruf prägten: "Die Deutsche Bahn ist so im Oasch". Auf hochdeutsch knallt der Satz allerdings noch mehr: "Die Deutsch Bahn ist so im Arsch".
Legendenstatus erreicht hat mittlerweile das Abreise-Chaos von Gelsenkirchen samt stundenlanger nächtlicher Wartezeit der englischen und serbischen Fans am Stadion.
Die Niederländer traf es ebenfalls: Sie mussten die Pressekonferenz vor dem Halbfinale gegen das englische Team Dienstag wegen massiven Bahn-Verspätungen absagen.
Wegen einer Gleisblockade stieg das Team Oranje aufs Flugzeug um. Erst zugreisende Niederländer, dann fliegende Holländer.