Außerordentliche Hauptversammlung - Studio Babelsberg verliert voraussichtlich seine Eigenständigkeit
Das Studio Babelsberg hat in den letzten 111 Jahren mehrfach den Besitzer gewechselt - und die Ausrichtung. Jetzt steht ein Vertrag zur Abstimmung, der das Studio wohl seine Eigenständigkeit kosten wird. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Von Julia Baumgärtel
Am 12. Februar 1912 fiel die erste Klappe in Neubabelsberg. Asta Nielsen stand vor der Kamera, gedreht wurde "Der Totentanz", der erste Stummfilm aus Babelsberg und der Beginn von 111 Jahren Filmgeschichte in Berlin-Brandenburg. Am Freitag könnte der Totentanz dieser legendären Geschichte real beginnen, befürchten Kenner des Standorts. Denn auf einer außerordentlichen Hauptversammlung sollen die Aktionäre der Studio Babelsberg AG über einen "Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag" abstimmen – damit wird Studio Babelsberg höchstwahrscheinlich seine Eigenständigkeit verlieren.
Nur der Name bleibt
Einen Teil seiner Unabhängigkeit hatte die Studio Babelsberg AG bereits 2021 aufgegeben, als ein US-amerikanischer Investmentfonds die Mehrheit bei dem Unternehmen übernahm. Mehrheitseigner von Studio Babelsberg ist aktuell die deutsche Firma Kino BidCo, eine hundertprozentige Tochter der Cinespace-Gruppe, die wiederum dem Immobilienfonds TPG Real Estate Partners (TREP) gehört. Das Firmengeflecht erstreckt sich vom US-Staat Delaware über die Kaimaninseln und Luxemburg bis nach Deutschland. Der Schwerpunkt des Konzerns liegt auf Hotelbetrieben und Filmstudios in Nordamerika mit insgesamt 90 Filmstudios in Toronto, Chicago und nun eben auch Babelsberg.
Die beiden Vorstände von Studio Babelsberg, Carl L. Woebken und Christoph Fisser, hatten bereits seit längerem nach internationalen Partnern gesucht. Zu unsicher sei das Filmgeschäft, in dem große Produktionen schnell mal absagten, wenn andere Standorte in Ungarn oder Großbritannien bessere Bedingungen oder Förderung böten, sagten sie dem rbb mehrfach. Im Vorstand sitzen seit 2022 neben Fisser und Woebken nun auch Andy Weltman, früher US-Repräsentant der britischen Pinewood-Filmstudios und Geschäftsführer der weltweit wichtigen Filmagentur APA, Ashley Rice, Vorstand der Cinespace Studios, sowie André Bleecker von A&O Hotels und Hostels, die ebenfalls zu TREP gehören.
"Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag"
Die Stimmen des US-Konzerns TREP machen mehr als die notwendigen 75 Prozent der Anteile aus, deswegen ist die Verabschiedung des „Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags“ so gut wie sicher.
Drei wichtige Punkte stehen in dem Vertrag: erstens kann der Vorstand von Studio Babelsberg keine eigenständigen Entscheidungen mehr treffen, ohne diese von der Muttergesellschaft in den USA absegnen zu lassen. Zweitens werden alle Gewinne an den US-Haupteigner abgeführt. Und drittens werden Verluste der Studios durch den Mutterkonzern ausgeglichen. Letzteres könnte ein Beweggrund für die deutschen Studiochefs gewesen sein, den Deal einzugehen. Studio Babelsberg äußert sich derzeit nicht zu der Sache.
Film-DNA auch bei den neuen Bossen?
Carl L. Woebcken und Christoph Fisser übernahmen das Studio Babelsberg 2004 und zeigten, dass sie Filmfans sind. Ob die Film-DNA auch bei den neuen Bossen so stark ausgeprägt ist, weiß derzeit niemand. Was wird aus Investitionen in den Standort, wenn die Gewinne von Studio Babelsberg an die Muttergesellschaft abfließen? Ist Studio Babelsberg nur ein glänzendes Element im Portfolio oder brennen die neuen Eigentümer auch für die deutsche Filmproduktionstradition? Was, wenn es Studio Babelsberg mal schlecht geht? TPG Real Estate Partners äußerten sich auf rbb-Anfrage bisher nicht.
Bangen um rund 100 Arbeitsplätze in Babelsberg
Mit dem Studiobetrieb und der Filmproduktion soll es in Babelsberg erst einmal weitergehen wie bisher. Das hoffen zumindest die 107 Angestellten der Studios. Denn neben den Verwaltern und Vermietern der traditionsreichen Studiohallen arbeiten in Babelsberg auch gefragte Künstler und Handwerker des Art Department, die berühmt sind für ihre Kulissen.
Studio Babelsberg ist Dienstleister - eigene Filmproduktionen sind in Babelsberg selten oder nur Randgeschäft. Kunden sind in der Regel große US-Produktionen, die das Studiogelände mieten und Kulissen dort anfertigen lassen. Quentin Tarantino ließ hier "Inglourious Basterds" drehen, Steven Spielberg kam für "Bridge of Spies" und Keanu Reeves für "Matrix Resurrections". Und auch die Streamingdienste und Serienproduzenten haben Babelsberg entdeckt: In Babelsberg entstanden zuletzt internationale Serien wie "Dark" oder "1899" und die Außenkulisse Neue Berliner Straße ist das Setting für „Babylon Berlin“. Für modernste Produktion rühmen sich die Studios neuerdings einer 55 mal sieben Meter großen LED-Wand, vor der Filme ohne Greenscreen wie vor einer Realkulisse gedreht werden können.
Studio Babelsberg wechselte schon oft die Ausrichtung
Eigentlich ist das eine gute Ausstattung für die Studios, die in ihrer nun 111-jährigen Geschichte schon diverse System- und Eigentümerwechsel erlebten. Nach eigenen Angaben ist Studio Babelsberg das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt. Filmklassiker wie "Metropolis", "Der Blaue Engel" oder "Die Feuerzangenbowle" entstanden hier zu Ufa-Zeiten. Goebbels und die Nationalsozialisten interessierten sich für die Macht des Bilder und ließen Propagandafilme drehen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ging es weiter mit der DEFA - bis zu 2.500 Menschen arbeiteten damals in Babelsberg.
Nach der Wende verkaufte die Treuhand die ehemaligen Defa-Studios an den französischen Konzern Compagnie Générale des Eaux (heute: Vivendi Universal), geleitet wurden sie von Volker Schlöndorff. Er holte Gérard Dépardieu und Roman Polanski nach Babelsberg, war aber wirtschaftlich nicht erfolgreich. 2004 wurden die Studios an Carl L. Woebken und Christoph Fisser verkauft und 2005 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Das Areal umfasst heute 21 Studios auf insgesamt 173.000 Quadratmetern. Was davon Bestand haben wird, ist derzeit nicht klar.
Wirtschaftsministerium fordert Arbeitsplatzerhalt
Für Brandenburger Wirtschaftsministerium, das die Entwicklung von Studio Babelsberg seit der Übernahme durch US-Investoren genauestens verfolgt, zählen vor allem zwei Aspekte: "Für die Landesregierung ist wichtig, dass die rund 100 Arbeitsplätze am Standort Babelsberg erhalten bleiben", sagt Staatssekretär Henrik Fischer. Technologisch seien die Studios bestens ausgestattet, das sollte man auch in Zukunft nutzen. "Das bedeutet, dass weiterhin verstärkt in den Standort investiert werden muss. Gewinne sollten nicht nur abfließen, sondern auch in die Weiterentwicklung der Studios gesteckt werden."
Was wird aus dem Babelsberger Filmgelände?
Michael Kunert von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger ist nicht sicher, ob die Studios in Gänze erhalten bleiben. Er vertritt die Kleinaktionäre bei Studio Babelsberg. Für den Dachkonzern, einen US-Immobilienfonds, könnten leerstehende Hallen auch eine Verlockung sein, sie abzureißen und lukrativere Objekte wie Wohnungen oder Bürokomplexe an ihrer Stelle zu errichten. Für die historische Marlene-Dietrich-Halle ist das ausgeschlossen, sie steht unter Denkmalschutz. Aber auf ein paar alte Baracken, in denen das Art Department und der Requisitenfundus untergebracht sind, trifft das nicht zu. Die Ziele der Mehrheitseigner seien völlig unbekannt, sagt Kunert und fordert mehr Transparenz und mehr Informationen.
Nachdenkliche Stimmen in der Branche
Auch in der Branche selbst herrscht eine gewisse Unruhe. "In jedem Fall muss das Studio in Babelsberg als Name und Marke erhalten bleiben", sagt Peter Hartwig. Er ist als Filmproduzent seit 25 Jahren in Babelsberg ansässig und erschafft Filme zusammen mit Andreas Dresen und anderen deutschen Filmgrößen. Das tut er selten auf dem Studiogelände, denn das ist für seine Filme eine Nummer zu groß und wohl auch zu teuer. Der Standort ist für Hartwig aber mehr als die Marlene-Dietrich-Halle: Das Studio selbst müsse mehr eigene Initiative zeigen als nur auf große internationale Projekte zu warten.
Happy End noch nicht in Sicht
Carl L. Woebken ist 67 Jahre alt, Christoph Fisser 60. Noch im Februar feierten sie zusammen mit dem Schmuckkonzern Cartier als Sponsor eine exklusive Berlinale-Party zum 111-jährigen Bestehen der Filmstudios in Babelsberg. Beide haben aber in der Vergangenheit immer wieder wissen lassen, dass sie sich irgendwann aus dem Filmgeschäft zurückziehen werden und man die Studios nicht so einfach vererben kann. Wohin Studio Babelsberg dann steuert, wissen vielleicht sie selbst noch nicht.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 30.03.2023, 19:30 Uhr