Steigende Preise, längere Wartezeiten - Mietwagenfirmen für Uber, Bolt & Co nutzen Brandenburg zunehmend als Schlupfloch
Nachdem das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten den Mietwagenmarkt überprüft und 1.600 Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen hat, steigen Wartezeiten und Preise. Doch in Berlin gesperrte Firmen tauchen jetzt in Brandenburg auf. Von S. Adamek und J. Göbel
- Zahl der Mietwagenfirmen aus dem Umland steigt
- Kontrollen und Abstimmungen mit Brandenburg lückenhaft
- Berliner Politiker fordern parteiübergreifend sofortigen Konzessions-Stopp für Mietwagenfirmen
Wer dieser Tage in Berlin ein Auto von Bolt, Uber, Freenow oder Bliq bestellt, muss Geduld mitbringen. Die Wartezeiten haben sich deutlich verlängert, seit etwa 1.600 Mietwagen gesperrt wurden. Das belegen auch Zahlen des Vermittlers Freenow, die rbb24 Recherche exklusiv vorliegen: Demnach haben sich die Wartezeiten für Fahrgäste um 50 bis 70 Prozent verlängert, die Preise seien um bis zu 20 Prozent gestiegen. Auch die Firma Bolt bestätigt diese Tendenz und führt als Grund an, dass der "vorhandenen Nachfrage derzeit nicht genügend Angebot gegenübersteht".
Die bislang häufig prekär bezahlten Chauffeure freut diese Entwicklung. Bei Testfahrten von rbb24 Recherche gaben sie Auskunft, wie sich ihre Situation verändert hat. Sie profitierten von dem Preisanstieg, weil damit ihre Provisionen pro Fahrt stiegen, berichteten mehrere. Die Chauffeure freut auch, dass die vielen "schwarzen Schafe" unter den Mietwagenfirmen aus dem Straßenbild verschwunden sind. "Es gab so viele Kontrollen, so viel Zoll, da haben viele aufgehört, sind einfach weg", sagt einer.
Behörden bestätigen Anstieg der Mietwagen-Anbieter aus Brandenburg
Gleichzeitig beobachten viele Fahrer eine Zunahme von Autos mit Kennzeichen aus dem brandenburgischen Umland – vor allem aus den Landkreisen Dahme-Spreewald, Teltow-Fläming und Barnim. Auf Anfrage von rbb24 Recherche schreibt der Landkreis Dahme-Spreewald: "Ein Zulauf an Konzessionsanträgen von Mietwagen-Firmen aus Berlin kann bestätigt werden." Auch die Direktorin des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo), Kirsten Dreher, bestätigte diesen Trend in einer Anhörung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus.
In einer sogenannten "Grundsatz-Vereinbarung" des Landesamtes mit Uber, Bolt, Freenow und dem neuen Anbieter Bliq wurde im März beschlossen, dass die brandenburgischen Zulassungsbehörden Informationen über gesperrte Mietwagenfirmen aus Berlin erhalten. Die Vereinbarung umfasst auch einen Informationsaustausch über Firmen, die sich in Berlin vergeblich um eine Konzession bemüht hätten.
Doch nach Informationen von rbb24 Recherche tauchen aktuell Geschäftsführer oder Gesellschafter von in Berlin gesperrten Mietwagenfirmen plötzlich in Brandenburg wieder auf - teils mit neuen Unternehmen.
Ein leerer Bürocontainer auf einem Autofriedhof
Ein Beispiel ist die Firma K, die gleich hinter der Stadtgrenze ihren Firmensitz hat. Sie wird über die Plattform Bolt vermittelt. Ein in Berlin tätiger Fahrer erklärte während einer Testfahrt, dass er hauptsächlich in Berlin unterwegs sei.
Fahrzeuge aus Brandenburg dürfen nur in Berlin tätig sein, wenn sie einen Fahrgast aus Brandenburg mitbringen. Unmittelbar danach dürfen sie auch Anschlussfahrten durchführen. Wer keinen Auftrag hat, darf aber nicht warten, sondern muss an den Brandenburger Betriebssitz zurückkehren – so sieht es das Personenbeförderungsgesetz vor. Die Firmen müssen dort Aufenthaltsräume, Parkplätze und Büros haben.
Aber hat die Firma K an ihrer Meldeadresse all dies? Ein Test vor Ort: Es gibt einen Container, in dem die Firma residieren soll. Der Container ist bei dem Besuch von rbb24 Recherche verschlossen, das Areal mit abgemeldeten Autos vollgestopft. Ein verbeulter Bolt-Wagen ohne Nummernschild ist der einzige Hinweis auf das Mietwagengeschäft. Ein junger Mann will wissen, wen wir suchen. Wir sagen, dass wir gern mit dem Geschäftsführer und Inhaber des Mietwagenunternehmens sprechen würden. Der sei nicht da, sagt der junge Mann. Vor Ort deutet nichts auf Aufenthaltsräume für die Fahrer oder Stellplätze für zurückkommende Fahrzeuge hin.
Mietwagen-Firmenchef: "Belästigen Sie mich nicht weiter!"
Laut Handelsregister hatte der abwesende Geschäftsführer in Berlin bis Dezember 2023 die Mietwagenfirma A geleitet. Die A gehört zu den mittlerweile gesperrten Firmen in Berlin. Nach mehreren Versuchen, den Geschäftsführer telefonisch zu erreichen, meldet er sich und sagt, wir sollten ihn "nicht weiter belästigen". Weder zur gesperrten Berliner Firma, noch zur Firma K will er sich äußern.
Das zuständige Amt im Landkreis Dahme-Spreewald verweigert unter Verweis auf den Datenschutz jegliche Auskunft zur Firma K. Die Plattform Bolt indes bestätigt, dass das Unternehmen für sie tätig sei und auch die Erlaubnis habe, in Berlin zu fahren. Bolt bezieht sich nach eigener Aussage auf Informationen des Berliner Labo, wonach das Unternehmen eine gültige Konzession im Landkreis Dahme-Spreewald besitzt. Bolt dürfe deshalb Fahrten an das Unternehmen vermitteln.
Dass die Firma womöglich gegen die Rückkehrpflicht an den Brandenburger Betriebssitz verstößt, kommentiert Bolt nur kurz: "Wir weisen die Unternehmen, die Bolt nutzen, innerhalb der App auf ihre gesetzliche Rückkehrpflicht hin." Die Rückkehrpflicht greife aber nur, wenn nach einer Fahrt kein Folgeauftrag ergehe: "Aufgrund der konstant hohen Auslastung ist es deshalb auch Brandenburger Unternehmen möglich, ihre Dienste in Berlin regelkonform anzubieten."
Politiker von SPD, CDU und Grünen fordern nun Konsequenzen
Dass es an dem angeblichen Firmensitz regelkonform zugeht, bezweifelt Tino Schopf, SPD-Verkehrspolitiker im Berliner Abgeordnetenhaus und Experte für Mobilitätsplattformen. "Wenn ich am Betriebssitz niemanden antreffe, wirft das Fragen auf", sagt Schopf. "Die Kontrollbehörde hat darauf zu achten, ob die Rückkehrpflicht eingehalten wird."
Auch Antje Kapek von den Grünen hält den Fall für hochproblematisch: "Es ist natürlich ein Skandal und beweist, dass viele von diesen Firmen, die jetzt in Berlin aufliegen, in den Speckgürtel umziehen."
Das Behörden-Wirrwarr ist das perfekte Schlupfloch
Die Zulassungsbehörde im Landkreis Dahme-Spreewald schreibt, eine Prüfung der Rückkehrpflicht erfolge im Rahmen "der zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten." Nur bei "einer größeren Anzahl an beantragten Konzessionen" würden Büroräume überprüft.
Das Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) wiederum erklärt, man könne und dürfe den Brandenburger Behörden keine Vorschriften machen. Die Konstellation ist ein ideales Schlupfloch für kriminelle Machenschaften.
Folgerichtig fordert der CDU-Verkehrspolitiker Christopher Förster gegenüber rbb24 Recherche einen allgemeinen Datenabgleich aller bisher konzessionierten Mietwagenfirmen zwischen Berlin und Brandenburg. Wie seine Kollegen von SPD und Grünen fordert Förster vom Labo: "Alles ermitteln, auswerten, schwarze Schafe aus dem Markt holen, anstelle jetzt weiter Konzessionen zu vergeben."
Sein Koalitionskollege Tino Schopf teilt das: "Kriminelle Unternehmen, die wir hier in Berlin hatten, die wechseln jetzt natürlich die Seite, die gehen jetzt nach Brandenburg. Ich glaube, die Brandenburger Behörden wissen noch gar nicht, was für eine Lawine auf sie zukommt."
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.06.2024, 19:45 Uhr