Theaterkritik | Premiere am Schlosspark Theater - Whisky zum Frühstück
Morphium, Alkohol, Tuberkulose und Geiz zerstören eine amerikanische Familie Anfang des 20. Jahrhunderts. Torsten Fischer inszeniert die Familienhölle als zeitloses Kammerspiel mit Judith Rosmair als exzentrisches Drogenopfer. Von Barbara Behrendt
Den Titel von Eugene O'Neills Drama "Eines Langen Tages Reise in die Nacht" kann man wörtlich nehmen, denn das Stück spielt an einem einzigen Tag, von Morgen bis Mitternacht. Oder man liest ihn symbolisch: Eine Familientragödie in Nordamerika Anfang des 20. Jahrhunderts, bei der Mutter, Vater und zwei Söhne an Alkohol, Morphium und Tuberkulose zugrunde gehen.
Am Schlosspark Theater hat Torsten Fischer diesen düsteren Klassiker jetzt ganz ohne Zeitkolorit inszeniert. Auf der Bühne nur ein Sofa, ein Ledersessel und ein riesiger Spiegel, der die linke Bühnenseite einnimmt. Darin spiegeln sich die Figuren, noch bevor sie die Bühne betreten – so als wären sie schon zu Beginn jene Gespenster, zu denen ihre Süchte und Krankheiten sie im Laufe des Stücks entstellen.
Identifikation mit dem Elend gelingt nur bedingt
Später zeigt der Spiegel ins Publikum, sodass sich auch die Zuschauer:innen in diesem Spiel wiederfinden. Torsten Fischer, der Bühnenbildner Herbert Schäfer und der Kostümbildner Vasilis Triantafillopoulos, die schon oft gemeinsam am Renaissance-Theater inszeniert haben, legen es auf Identifikation mit der Leidensfamilie an. Doch sie gelingt nur bedingt.
Zum einen liegt das am Stück selbst. Eugene O'Neill hat zwar für dieses autobiografisch gefärbte Drama 1957 posthum den Pulitzer-Preis bekommen. Fast eins zu eins hat er darin seine desaströse Familiengeschichte aufgeschrieben. Deshalb sollte das Stück erst 25 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden – seine Witwe wartete allerdings kaum drei Jahre damit.
Vor dem Mittagessen die erste Flasche Whisky
Doch das geballte Elend dieser Familie an einem einzigen Tag zu erleben, am Tiefpunkt ihrer Existenz, wo alles ausnahmslos schrecklich ist und alle mit Schuldzuweisungen um sich werfen, wirkt fast zu monströs, als sich darin einfühlen zu können. Schon vor dem Mittagessen ist hier die erste Flasche Whisky leer.
Vater James, ein abgehalfterter Schauspieler und Trinker, war zeit seines Lebens so geizig, dass er seiner Frau Mary nur schlechte Ärzte bezahlte. Kurpfuscher, die ihr mit Morphium das Leben zerstört haben. Sie selbst ist mit ihrem Mann jahrzehntelang auf Tournee gewesen und hat sich nie das Zuhause aufbauen können, das sie nun so sehr vermisst. Der älteste Sohn James Junior ist ein Säufer und Taugenichts, nicht zuletzt, weil seine Mutter ihn beschuldigt, seinen Bruder als Kind absichtlich mit den Masern angesteckt zu haben. Das Baby starb. Edmund, der Jüngste, leidet an Tuberkulose – derselben Krankheit, an der Marys Vater gestorben ist. Direkt nach ihrer Entzugskur erfährt Mary von Edmunds Leiden und hängt daraufhin sofort wieder an der Nadel.
O'Neill klingt immer ein bisschen nach Henrik Ibsen, der ebenfalls häufig über den Neurosenherd Familie geschrieben hat – allerdings deutlich weniger verquasselt und psychologisch versierter als sein nordamerikanischer Kollege.
Zyniker, Säufer, Geizhälse, die geliebt werden wollen
Es ist nicht leicht, diesen gebrochenen Figuren gerecht zu werden – einerseits sind es fiese Zyniker, Säufer, Geizhälse, andererseits arme Schlucker, die nichts als geliebt werden möchten. Judith Rosmair ist als bedauernswertes Drogenopfer Mary der Star, um den der Abend kreist. Zu Beginn noch nervös, zittrig, beängstigt, dann, mit mehr Morphium, immer aufgekratzter, lasziver: Im Negligee setzt sie sich ihren Söhnen auf den Schoß und labert wie ein Wasserfall. Am Ende starrt sie weggetreten ins Leere. Den Männern ihrer Familie hilflos ausgeliefert.
Auch diese drei männlichen Spieler geben ihren Figuren starke Konturen: Peter Kremer als jovialer Vater James scheint noch immer nicht zu wissen, warum ihn seine Söhne derart hassen, Igor Karbus, der junge James, kann seinen Zorn und Schmerz mit mehr und mehr Whisky kaum noch im Griff behalten und der depressive Edmund, Fabian Stromberger, ist zwar sichtlich sterbenskrank, doch er bleibt der Zugänglichste der Familie.
Die Liebe schmeckt nach Zwang und Enge
Torsten Fischer hat das Stück stark gekürzt. Die Regisseurin Andrea Breth brachte es vor einigen Jahren in Wien auf vier Stunden Spielzeit, am Schlosspark Theater sind es inklusive Pause immer noch unter zwei. Das tut dem Text sichtlich gut.
Auch die symbolischen Bilder, die neben dem realistischen Kammerspiel aufscheinen, sind stark: Immer wieder halten die drei großen, kräftigen Männer die kleine, zarte Judith Rosmair wie in einer Gruppenumarmung fest – die Liebe, sie riecht und schmeckt hier nach Zwang und Enge.
Doch oft sind die Szenen schlicht zu demonstrativ: Mitten auf der Bühne muss sich Rosmair einen Schuss setzen, damit auch der letzte Zuschauer ihre Sucht begreift. Peter Kremer springt ihr und seinem Sohn an die Gurgel, bis beide röchelnd auf der Couch zusammenbrechen. Es wird Whisky gesoffen und Schuld verteilt ohne Ende. Bis man sich wie eine Zuschauerin vor einem exotischen Raubtierkäfig fühlt, statt vor einem Bühnen-Guckkasten. Auf die Leiden der Süchtigen kann man sich nur bedingt einlassen. Am stärksten ist der Abend, wie so oft im Theater, an seinen leisesten Stellen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.01.2023, 8:55 Uhr