Konzertkritik | Band Måneskin in Berlin - Einer muss den Job ja machen
Die Musiker:innen von Måneskin haben als Straßenband in Rom begonnen. Spätestens seit Gewinn des ESC 2021 sind sie ganz oben angekommen und füllten auch bei ihrem Berlin-Konzert die größte Halle der Stadt. Mit viel Power und sämtlichen Rock'n'Roll Klischees, meint Hendrik Schröder.
ESC Gewinner 2021, weltweite Charthits, zig Millionen verkaufte Platten weltweit, Vorband für die Rolling Stones und eine Grammy Nominierung. Und das alles in wenigen Jahren. Måneskins Karriere ist wirklich außergewöhnlich. Kein Wunder, dass die fast ausverkaufte Mercedes Benz Arena vor Vorfreude regelrecht zittert. Die Bühne ist in ein riesiges rotes Tuch gehüllt, die Band legt krachend los, ihre Silhouetten blitzen im Strobo Licht überlebensgroß auf dem Stoff. Dann geht ein Schrei durch die Arena, das Tuch fällt und stampfend legen sie los. Die Bassistin in schwarzen Stiefeln bis zu den Oberschenkeln, Sänger und Gitarrist in Schlaghosenanzügen wie aus den frühen 70ern, das Mikro hängt von der Decke, der Drummer schwingt die lange Mähne.
Popmusik ist dumm, Rock ist geil
Schon hot, wie nur vier Leute so viel komponierten Krach in so ein riesiges Gebäude zaubern können. Ohne elektronische Helferlein, ohne Keyboards, Synthis oder Backgroundsänger. Drei Alben hat die Band mitterweile veröffentlicht, aus allen Schaffensphasen bringen sie an diesem Abend Songs auf die Bühne. Nur diese Vier, die sich seit der Schule kennen, die als Straßenband angefangen haben und sich jetzt so blind und gut verstehen, dass sie wie ein mit Selbstbewusstsein gefluteter Organismus Riff an Riff legen.
Die Bassistin spielt einen Ampeg Turm, der Gitarrist einen Marshall Stack. Mehr muss man dazu nicht sagen: klassischer Rock'n'Roll Sound, laut, verzerrt, dominant, aus den Tiefen der Vollröhren gespeist. Måneskins musikalisches Weltbild ist dabei einfach und von irgendwo aus den 80ern, das liest man in ihren Interviews, das hört man in ihren Texten. Popmusik ist böse und falsch, nur handgemachtes ist richtig gut. Rock gegen Pop, E Gitarre gegen Drumcomputer. "Cool kids don't like Rock, they listen to Trap and Pop" singen sie angrifflustig gegen die vermeintlich hippen jungen Leute,"but I don't give a fuck being a cool kid, eat my shit". Hui! Und man schaut kurz noch mal gen Bühne, ob da irgendwo irgendeine Prise Selbstironie mitschwingt? Nein.
Konzert wie im Film
Diese Abgrenzung funktioniert heutzutage, wo sich alle überall bedienen und die Genres verschwimmen, allerdings nur noch bedingt. Umso seltsamer auch diese Unterscheidung zwischen Gut und Böse, als das Måneskin das Produkt einer riesigen kommerziellen Musikindustriemaschine ist. Schon vor Jahren gewannen sie in Italien eine Talentshow im Fernsehen, bekamen daraufhin einen dicken Plattenvertrag und die Karriere nahm ihren Lauf. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach einfach musikalischen Antworten in komplizierten Zeiten, die Måneskin so erfolgreich macht. Viel zu sagen haben sie auf der Bühne nicht. "Hello, Berlin, great", zack, kommt auch schon der nächste Kracher. Gut so, was soll das Gelaber immer? Sänger Damiano schmeißt sich ins Publikum, lässt sich auf Händen durch die Halle tragen, singt weiter dabei, später hüpft auch Bassistin Victoria in die Menge.
Alle liegen irgendwann mal auf der Bühne, also mit Absicht natürlich. Dann brennt der Mikroständer und der Sänger steht mit nacktem Oberkörper, Tattoo übersät wie ein Hafenarbeiter, daneben. Eine Måneskin Show ist wie ein Konzert in einem Film. Von allem ein bisschen zu viel, damit auch jeder merkt: "Hallo, hier, Achtung, jetzt ist gerade ganz doll RocknRoll". Im Publikum sind gefühlt 80 Prozent Frauen, die paar Männer mussten offenbar mit. Einige der Frauen tragen blinkende Kränze auf dem Kopp und schwenken Italien Fahnen. Was man halt so macht, wenn man eine Band richtig gut findet.
Rocken muss reichen
Und man kann der Band wirklich gar nichts vorwerfen, sie verausgaben sich, bis der Sänger so außer Atem ist, dass er einen Hustenanfall bekommt und eine halbe Strophe lang das Publikum weitermachen lässt. Sie lassen Fans auf der Bühne mittanzen, umarmen, klatschen ab, suchen die physische Nähe zum Publikum. Sie arbeiten und schwitzen und spielen grandios. Die 100 Minuten Konzert vergehen wie im Rausch. Übrig bleibt davon nach dem Rausch aber nichts. Für Tiefgang, Botschaften, Zwischentöne, Zärtlichkeit, zweite Ebenen, Gefahr, Diskurs, Nähe, Provokation, Herausforderung oder was auch immer Musik noch sein kann, sind andere zuständig. Vielleicht die Bösen mit den Computern oder wer auch immer. Måneskin rocken, das reicht. Das reicht auch. Einer muss den Job ja machen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.03.2023, 6:55 Uhr