"Halt die Ohren steif" in der Akademie der Künste - Eine Ausstellung über eine Freundschaft, die es eigentlich gar nicht geben durfte
Obwohl sie verfeindeten Welten angehören, entwickelt sich zwischen DDR-Fotografin Gundula Schulze Eldowy und US-Fotograf Robert Frank eine innige Freundschaft. Die Ausstellung "Halt die Ohren steif" lässt sie in Fotos, Filmen und Briefen aufleben. Von Marie Kaiser
Dass sie fotografiert wurden, bemerkten Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank in diesem Moment sicher nicht. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto des DDR-Fotografen Roger Melis sitzen sie ganz konzentriert und ins Betrachten versunken auf einer Wiese und schauen sich Bilder aus einer großen Fotomappe an. Was auch Roger Melis damals nicht wissen konnte: Er drückte genau in dem Moment auf den Auslöser, in dem eine intensive Künstlerfreundschaft ihren Anfang nahm.
"Wir haben uns immer geschrieben"
Es war das Jahr 1985 in Ost-Berlin. Auf einem Künstler-Sommerfest lernt die DDR-Fotografin Gundula Schulze Eldowy den US-amerikanischen Fotografen und Filmemacher Robert Frank kennen. Frank war damals schon ein weltberühmter Fotograf und hatte mit seinem Fotoband "The Americans" ein ernüchterndes Gegenbild zum American Dream gezeichnet.
Als er die Fotos der 30 Jahre jüngeren DDR-Fotografin anschaut, spüren beide gleich so etwas wie eine Seelenverwandtschaft, erzählt Gundula Schulze Eldowy kurz vor der Eröffnung der Ausstellung. Es ist der Beginn einer langen Brieffreundschaft: "Wir haben uns immer geschrieben - 20 Jahre lang."
Fotos als Schmuggelware
"Halt die Ohren steif!" war eine Floskel, die beide immer wieder verwendeten und die jetzt zum Titel einer Ausstellung in der Akademie der Künste geworden ist.
Sie haben einander auf Deutsch geschrieben. Robert Frank, der 2019 im Alter von 94 Jahren gestorben ist, wurde in Zürich geboren. Gundula Schulze in Erfurt. Die Briefe mussten über einen Mittelsmann in West-Berlin geschmuggelt werden. Auch Fotos tauschten beide so miteinander aus. Die meisten der gut 30 Fotos von Robert Frank in der Ausstellung kommen aus der privaten Sammlung von Gundula Schulze Eldowy, die durch diesen Brief- und Foto-Austausch entstanden ist. Als Original-Schmuggelware sind die Fotos also auch historisch interessante Dokumente.
Der Schmuggel ging fast immer gut, erzählt Gundula Schulze Eldowy. Nur einmal sei einer ihrer Briefe an der Grenze von der Stasi abgefangen worden. Der Brief, der nie bei Robert Frank ankam, liegt in einem Schaukasten in der Ausstellung aus.
Zum Leben erweckt wird die Brieffreundschaft der beiden gleich im ersten Raum in einer Video-Installation der Filmemacherin Helke Misselwitz. Auf zwei Leinwänden lernen die Besucherinnen und Besucher beide Künstlerpersönlichkeiten kennen, sehen die Fotos, über die sie sich austauschten und hören viele Zitate aus den Briefen. Robert Frank schreibt ihr, die nicht reisen konnte, an einer Stelle: "Ein wenig in die Welt spazieren wäre doch schön" und "Ich hoffe, dass du einen Pass bekommst - sag denen, du hast einen Onkel in Amerika."
Gleich 1989, nach dem Fall der Mauer, lädt Robert Frank sie nach New York ein. "In New York konnte ich meine Träume ausleben, die ich im Osten hatte", sagt Gundula Schulze Eldowy heute. "Ich habe das genossen und bin wirklich mit offenen Armen aufgenommen worden. Ich bin heute noch ganz und gar gerührt, wenn ich mich daran erinnere, wie mich Robert Franks Frau empfangen hat. Sie umarmte mich, als würde sie mich schon lange kennen - wie eine Mutter."
Die Galerie von Robert Frank habe sie auch gleich mit einem Startkapital für das Leben in New York versorgt. "Peter McGill, der Galerist von Robert Frank, drückte mir gleich einen Zweitausend-Dollar-Scheck in die Hand, damit ich es mir gut gehen lasse." Das Geld habe er beim Verkauf ihrer Bilder auch später nicht mehr abgezogen. Es sei also ein Geschenk gewesen, erinnert Schulze Eldowy.
"Ich bin mit drei Kameras durch Manhattan gelaufen"
Viele Fotos in der Ausstellung in der Akademie der Künste stammen aus dieser New Yorker Zeit Anfang der 1990er Jahre. Ganz lebendige und unmittelbare Straßenfotografien in schwarz-weiß aus Gundula Schulze Eldowys Serie "In einem Wind aus Sternenstaub".
Ein grimmig dreinblickender Straßenmusiker im Matrosenanzug spielt Akkordeon. Vier Männer in Jeans, mit nacktem Oberkörper und Wallemähne, die auf der Straße wie Revuegirls posieren. Aber auch viele Polaroid-Fotos und sogar Videos aus der New Yorker Zeit sind zu sehen. "Ich habe natürlich gesehen, dass Robert gar keine Kleinbildkamera in der Hand hatte, sondern nur eine Videokamera und eine Polaroid. Und da ich ja auch gerne spiele, habe ich mir auch eine Polaroid und eine Videokamera gekauft." Anschließend sei dann selbst mit drei Kameras durch Manhattan gelaufen.
Die Seelenverwandtschaft der beiden Künstler, von der Gundula Schulze Eldowys erzählt, lässt sich in dieser sehr gelungenen Ausstellung auch erspüren. Beide hatten eine Vorliebe für Spiegelungen und Schatten. Beide haben gerne und viel auf der Straße fotografiert. Und beide hatten diesen ganz besonderen Blick für die Menschen, die ihnen dort begegnet sind. Voller Würde hält Robert Frank im Foto "Public Park" einen Mann fest, der im Park auf Decke schläft - in Socken. Seine Schuhe stehen fein säuberlich neben ihm aufgestellt.
Besonders schön ist es immer, jene Fotos zu betrachten, für die sich die beiden gegenseitig fotografiert haben. Aus manchen dieser Porträts lässt sich sogar noch mehr über die innige Freundschaft der beiden herauslesen als aus den Briefen. Gundula Schulze Eldowy fängt Robert Franks Augenpartie während der Auto-Fahrt im Rückspiegel ein. Ein kleiner Augenblick aus dem jede Menge Vertrautheit spricht. "Halt die Ohren steif!" ist eine Ausstellung für alle, die Street Photography mögen. Aber auch für alle, die etwas darüber lernen wollen, wie wichtig Freundschaft für die Kunst ist.
Sendung: radioeins, 24.01.2024, 8:40 Uhr