Foto-Ausstellung in Berlin - Auf Augenhöhe mit dem Grünzeug

Do 12.10.23 | 18:28 Uhr | Von Marie Kaiser
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Foto-Ausstellung "Grünzeug" in der Berlinischen Galerie (Quelle: rbb/Marie Kaiser)
Bild: rbb/Marie Kaiser

Mangrovenwälder in Indonesien, Nadelbäume in Berlin oder stark vergrößerte Pflanzen, die wie außerirdische Wesen wirken. Die neue Foto-Ausstellung "Grünzeug" in der Berlinischen Galerie lotet unser Verhältnis zur Natur aus. Von Marie Kaiser

Ein Bild ganz ohne Grün eröffnet die "Grünzeug"-Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Viele karge dürre Baumstämme stehen beieinander wie bei einer losen Versammlung. Das Foto "Schonung" ist in Schwarz-Weiß aufgenommen. Selbst wenn es ein Farbfoto wäre, würde die Farbe Grün hier nur durch Abwesenheit glänzen: Der Fotograf Felix Haberkorn hat die Wipfel der Bäume einfach abgeschnitten. Wir sehen nicht eine Nadel am Baum und doch dürfte jeder, der ab und zu einen Waldspaziergang in Berlin oder Brandenburg unternimmt, die Bäume sofort als Kiefern erkennen. "Ich bin am Rand von Berlin aufgewachsen mit diesen Kiefernforsten, die im Wesentlichen im 18. Jahrhundert entstanden sind", sagt Felix Haberkorn.

Ein leergefegter Märchenwald

Auf seinem Foto verleiht er dem Kiefernwald eine unglaubliche Tiefe, die ihm in der Wirklichkeit oft fehlt. Als könnte sich der, der sich hineinwagt, für immer in einem dunklen und dichten Wald verlieren wie in einem Märchen. "Als Kind haben mich die Märchen der Brüder Grimm geprägt. Die Idee, dass sich im Wald etwas Unbekanntes verbirgt", sagt Haberkorn, der den Wald auf seinem Foto wie eine leere Bühne inszeniert.

Um diesen Effekt zu erreichen, hat der Künstler den Wald nach seinen Vorstellungen verändert. "Die Nadeln lagen nicht so, wie ich es wollte. Es lagen diese Kiefernzapfen in größeren Mengen herum. Ich habe dieses Waldstück einfach geharkt und alles weggefegt." Der Wald, der trotz unserer romantischen Vorstellungen von Urwüchsigkeit weit entfernt davon ist "natürlich" zu sein, wurde durch den Künstler hier also maximal kultiviert.

Plastikmüll im Mangrovenwald

Das ambivalente Verhältnis von Mensch und Pflanze zieht sich durch die gesamte Ausstellung "Grünzeug. Pflanzen in der Fotografie der Gegenwart". Insgesamt zeigt die Berlinische Galerie Arbeiten von sechs verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern aus der eigenen Sammlung. Es sind Fotos, die in den vergangenen 20 Jahren entstanden sind.

Die Fotografin Susanne Kriemann ist für ihre Fotoserie "Mngr polymersday" bis auf die indonesische Insel Pulau Bintan gereist, wo es noch unberührte Mangrovenwälder geben soll. Aktivisten haben die Künstlerin mit dem Kanu in die Mangrovenwälder mitgenommen. Die Natur ist überwältigend schön und verwunschen. Doch zwischen Schlamm und Morast sehen wir deutliche Spuren der Menschen: Fischernetze oder Plastiktüten, die sich in den Pflanzen verfangen.

Wo reist der Müll hin, den ich hier in Deutschland in die Verwertungskette gebe? Denn 30 Prozent des deutschen Plastikmülls wird ins Ausland exportiert.

Susanne Kriemann, Fotografin

Es sei auch unser Müll, sagt Susanne Kriemann. "Im Grunde war die Idee, zu fragen, wo reist der Müll hin, den ich hier in Deutschland in die Verwertungskette gebe. Denn 30 Prozent des deutschen Plastikmülls wird ins Ausland exportiert." Die Künstlerin hat den Kreislauf des Recyclings erneut in Gang gesetzt, den Plastikmüll in den Mangroven eingesammelt und das darin enthaltene Schweröl benutzt, um die Fotos mit dem Tintenstrahldrucker auszudrucken.

Infobox

"Grünzeug" - Pflanzen in der Fotografie der Gegenwart

Berlinische Galerie

12. Oktober 2023 bis 22. Januar 2024

Alte Jakobstraße 124–128

Berlin-Kreuzberg

Was hat ein Spiegelei oder ein Schlafsack mit Grünzeug zu tun?

Doch nicht alle Fotos zeigen auch wirklich Pflanzen. Überraschend ist die Serie "Aschenbecher und Yogamatte", die extra für die "Grünzeug"-Ausstellung entstanden ist. Der deutsch-polnische Fotograf Andrzej Steinbach hat dafür Alltagsgegenstände fotografiert wie Löffel, einen Schlafsack oder ein Spiegelei in der Pfanne. Doch was hat ein Spiegelei mit Grünzeug zu tun?

Sehr viel, sagt der Künstler. "Immer, wenn man auf Bilder von Natur schaut, muss man auch auf Bilder von Menschen schauen." In Vitrinen-Schaukästen begegnen uns Steinbachs schwarz-Weiß-Aufnahmen von banalen Dingen des Alltags gleichberechtigt neben Makrofotografien von Pflanzen, die um 1930 entstanden sind und Teil der Fotosammlung der Berlinischen Galerie sind.

Blütenkelche, Pilze oder Blätter, die in etwa zehnfacher Vergrößerung gar nicht so natürlich, dafür überraschend sinnlich und fremd wirken. Als würden wir fantastischen oder außerirdischen Wesen begegnen.

Natur als Vorbild

Genau das hat Andrzej Steinbach an diesen Makrofotografien interessiert, wie er sagt. "Diese Fotos tragen ja immer dieses Versprechen in sich, ganz nah an etwas heranzukommen und so den Gegenstand durchdringen zu können. Aber eigentlich scheitern sie an diesem Anspruch. Denn die Bilder haben fast etwas von surrealistischer Fotografie." Andrzej Steinbach tritt für seine Serie in den Dialog mit diesen Detailfotografien von Pflanzen, wobei sich immer wieder interessante Analogien ergeben.

Ein Mann hält das Rad eines Fahrrads in den Händen, daneben sehen wir eine Blüte, die sich entfaltet und in ihrem Aufbau auch an ein Rad mit Speichen erinnert. Wir erkennen die Geometrie, die in der Natur steckt und die oft Vorbild ist für Gegenstände, die wir jeden Tag benutzen.

Mit solch überraschenden, künstlerischen Positionen gelingt es der "Grünzeug"-Ausstellung wirklich unseren Blick auf die Natur herauszufordern. Pflanzen in all ihrer Eigenartigkeit zu betrachten, sie aber auch als Verwandte zu erkennen. Eine Ausstellung, die unseren Blick dafür öffnet, der oft so despektierlich als "Grünzeug" abgetanen Pflanzenwelt, öfter mal auf Augenhöhe zu begegnen.

Sendung: rbb Kultur, 13.10.2023, 16:00 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

6 Kommentare

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  1. 6.

    Das der Mensch zur Natur gehört, eine Funktion darin zu erfüllen hat, blenden Sie aus. Diese Funktion sollten Sie sich vor Augen führen, bei allen Fehlern wird mehr richtig gemacht...werden. Warum? Sonst gäbe es uns nicht...zum Schaffen.

  2. 5.

    Ja, ein Biber gestaltet - zweckmäßig, nur der Erhaltung der eigenen Art dienend, ohne Moral, fast schon brutal aber im Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten. Die Änderungen erfolgen langsam, andere Tiere können sich drauf einstellen, Pflanzen sich anpassen oder Platz für Neue machen. Das ist die Natur. Der moderne Mensch, eigentlich ein "Fliegenschiß" in den zeitlichen Abläufen, fingert oft in Dingen rum deren Tragweite er nicht überblicken kann oder wischt "neues", eigentlich aber uraltes, Wissen aus eigener, vermeindlicher, Machtvolkommenheit einfach weg. Quantität statt Qualität, Form vor Inhalt.

  3. 4.

    Selbst der Biber gestaltet...
    Moralisten gibt es viele. Gerne bin ich streitbar. Wer als Moralist besonders häufig auffällt, ohne was an Mittelstreifen (!)zu leisten, kann man an der falschen Grammatik schnell erkennen. Von alleine „die Natur wird es schon richten“ passiert da gar nichts.

  4. 3.

    Was ist die "richtige" Moral bei einer Gestaltung der Natur? Kann ein, bitte nicht persönlich nehmen, Moralist überhaupt mit Dingen, die nicht seiner Moral entsprechen, auf Augenhöhe agieren? Ich denke nicht. Er wird aus seiner Position immer auf sie herabsehen - Gestalten wollen. Am Besten nach seinem vermeindlichen Vorbild.
    ... und ganz ehrlich - wir müssten uns alle weit strecken um der Natur in die Augen sehen zu können.

  5. 2.

    Ähm, und ich dachte es geht um die Partei.

  6. 1.

    Also mir gefällt die Einsicht auf gescheiterte Mittelstreifenprojekte viel besser, um das Verhältnis der Berliner zur Natur auszuloten. Aus überaus praktischeren Gründen. Und auch aus Gründen der richtigen Gestaltungsmoral, bei aller Geschmacksunterschiede.

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