Ausstellung Mark Dion Nikolaikirche - "Spielzeug ist nicht unschuldig"

Sa 07.10.23 | 16:48 Uhr | Von Marie Kaiser
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Präsentation der Spielzeug-Wunderkammer für die Ausstellung "Mark Dion. Delirious Toys" im Oktober 2023 im Museum Nikolaikirche. (Quelle: © Stadtmuseum Berlin | Foto Michael Setzpfandt)
Präsentation der Spielzeug-Exponate für die Ausstellung "Mark Dion. Delirious Toys" im Museum Nikolaikirche | Bild: © Stadtmuseum Berlin | Foto Michael Setzpfandt)

Für seine labyrinthische Spielzeug-Installation "Delirious Toys" in der Nikolaikirche hat Mark Dion 700 Objekte aus der Spielzeugsammlung des Stadtmuseums Berlin so in Szene gesetzt, wie es sein sechsjähriger Sohn gemacht hätte. Von Marie Kaiser

So bunt ist es in Berlins ältester erhaltener Kirche wohl selten zugegangen. Mitten in der Nikolaikirche thront ein rosa-blau-rot-gestreifter Podest mit doppelspuriger Fahrbahn. Dicht an dicht drängen sich hier alle möglichen Gefährte. Ein hölzerner Miniatur-Pferdewagen aus dem Erzgebirge. Ein Blechharlekin im blaugepunkteten Anzug auf rotem Roller. Ein Polizeiauto aus Metall aus den 1960er Jahren neben einem grauen Plastikauto mit gelbem Tigerkopf, das aussieht, als hätte es der Künstler erst vor ein paar Tagen aus einem Kinderzimmer stibitzt.

Wie würde ein Sechsjähriger das kuratieren?

Dieses Durcheinander ist gewollt, betont Mark Dion im Gespräch mit rbb|24. "Ich bin kein Historiker. Ich bin kein Experte für Spielzeug. Ich habe mich bei der Entwicklung der Ausstellung immer gefragt, wie würde ein Sechsjähriger das kuratieren? Und ich habe einen sechsjährigen Sohn und weiß, wie er spielt. Für ihn ist es kein Widerspruch, wenn Batman gegen einen Dinosaurier kämpft und ein Pokémon an seiner Seite hat. Deshalb habe ich mich entschieden, alles zu mischen. Kleine und große Spielzeuge, Spielzeuge aus unterschiedlichen Materialien und aus unterschiedlicher Zeit nebeneinander zu stellen, denn das bietet viele aufregende Möglichkeiten."

Der US-amerikanische Objekt- und Installationskünstler beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit der Frage, wie Wissen in Museen durch die Präsentation von Sammlungsstücken vermittelt wird. Dabei hat er immer einen besonders wachen Blick für Systeme der Ausbeutung und Unterdrückung. Mark Dion findet neue Arten der Präsentation, welche die gewohnte Sicht auf die Dinge auf den Kopf stellen soll.

In der Vergangenheit hat Mark Dion häufig mit naturkundlichen und naturwissenschaftlichen Museen zusammengearbeitet. Als das Stadtmuseum Berlin ihn fragte, ob er sich eine Zusammenarbeit vorstellen könne, zeigte sich der Künstler sofort begeistert. Denn das Stadtmuseum Berlin besitzt eine der größten Spielzeugsammlungen Deutschlands. "Ich sammle viel für mich selbst und natürlich auch für meine Arbeit", erklärt Mark Dion. Er sei ständig auf Flohmärkten, in Secondhand-Läden und Antiquitätengeschäften unterwegs, "und ich fühle mich zu Spielzeug hingezogen. Spielzeug hat einfach diese unglaubliche Art und Weise, den Betrachter in seinen Bann zu ziehen", so Dion.

Mark Dion arrangiert im Oktober 2023 seine Spielzeug-Wunderkammer für die Ausstellung "Mark Dion. Delirious Toys" im Museum Nikolaikirche. (Quelle: © Stadtmuseum Berlin | Foto Michael Setzpfandt)Mark Dion bereitet die Ausstellung "Delirious Toys" vor.

Der Künstler hat den Kindern eine Falle gestellt

Der Künstler hat Wochen im Depot des Stadtmuseums verbracht, um eine Auswahl zu treffen. Von den 70.000 Objekten der Sammlung sind in der Nikolaikirche nun 700 zu sehen, also ein Prozent der Sammlung. An sieben Stationen, die überall in der Kirche verteilt sind, inszeniert der Künstler die Spielzeuge auf ganz unterschiedliche Weise. Die Ausstellung zu entdecken, das soll sich für die Besucher ein wenig anfühlen, als würden sie in ein Spiel spielen, sagt Mark Dion.

"Jeder kann frei entscheiden, in welcher Reihenfolge er sich die Stationen ansieht. Also ich mag die Idee, dass man durch diesen Raum mäandern kann wie durch ein Labyrinth." In diesem Labyrinth aus bunten Vitrinen werden Brett- und Kartenspiele ausgestellt, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. In kleinen Nischen, in denen wir eher eine Heiligenfigur erwarten würden, lässt Mark Dion Spielzeugtiere eine Pyramide erklimmen. Oder er arrangiert Teddybären sorgsam in einer Spielkiste. Ein Teddybär liegt am Boden, als wäre er versehentlich herausgefallen. "Das ist ein Test für alle Kinder, die die Ausstellung besuchen", erklärt Mark Dion. "Werden sie es schaffen, nicht nach dem Teddy zu greifen? Denn falls sie es tun, wird ein sehr lauter Alarm ausgelöst. Also habe ich das Gefühl, dass ich den Kindern eine Art Falle gestellt habe."

Genau damit habe ich doch früher auch gespielt!

Die Ausstellung "Delirious Toys" ist wirklich eine Wunderkammer des visuellen Genusses, in der gestaunt werden darf. Immer wieder gibt es beim Betrachten der Spielzeuge auch emotionale Momente des Erinnerns und Wiedererkennens. Genau mit diesem Holzauto oder diesem Angelspiel habe ich doch früher auch gespielt! "Mir ist es ganz wichtig, dass die Menschen sich in meinen Ausstellungen selbst wiederfinden", sagt Dion. "Sehr junge Menschen, aber auch ältere Menschen werden hier Spielzeuge wiedererkennen, mit denen sie einst gespielt haben. Ich glaube, dass genau durch diese Momente ein tieferes Verständnis für die Ausstellung entsteht."

Manche von Mark Dions Arbeiten treten sogar in einen direkten Dialog mit der Nikolaikirche. Am Ende der Kirche befindet sich das Denkmal eines großen Generals, das mit allen Symbolen der Kriegsführung wie Rüstungen und Kanonen ausgestattet ist. Ganz in der Nähe hat der Künstler eine Vitrine mit einem großen Kriegs-Diorama aufgebaut. Jeder kämpft hier gegen jeden. Kriegsspielzeug aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg trifft auf modernes Spielzeug wie Dinosaurier und Außerirdische.

Präsentation der Spielzeug-Wunderkammer für die Ausstellung "Mark Dion. Delirious Toys" im Oktober 2023 im Museum Nikolaikirche. (Quelle: © Stadtmuseum Berlin | Foto Michael Setzpfandt)

"In Spielzeugen wie diesen steckt eine inhärente Gewalt und die Idee, dass Spiele ein pädagogisches Werkzeug sein können, um die nächste Generation von Kriegern vorzubereiten", sagt Mark Dion, der beim Aufbau dieser Kriegslandschaft auch den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine im Hinterkopf hatte. "In einer Ecke des Dioramas sieht man eine verwüstete Kleinstadt, die ganz stark an Szenen erinnert, die wir aus der Ukraine kennen."

Infobox

Ausstellung

Mark Dion. Delirious Toys | Die Berliner Spielzeug-Wunderkammer

Vom 7. Oktober 2023 bis 11. Februar 2024

täglich 10-18 Uhr

Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, 10178 Berlin

Ein Giftschrank für "toxisches Spielzeug"

Und was hat es mit dem Titel "Delirious Toys", also "wahnsinniges Spielzeug", auf sich? "In Spielzeug steckt eine Menge drin und manchmal sogar Ideologie", antwortet Mark Dion. "Spielzeug ist nicht unschuldig. Obwohl es spielerisch und fröhlich ist, sieht man auch, dass es eine dunklere Agenda im Spielzeug gibt. Das ist Spielzeug, das eine Kultur der Diskriminierung und Gewalt und des Sexismus fördert."

In einem verschlossenen knallroten Schrank versteckt sich die Ausstellungsstation "When toys go bad". Nur wer die Aufsicht bittet, diesen mit toxischem Spielzeug vollgestopften Giftschrank aufzuschließen, kann sich die Petra-Puppe anschauen, das "Schwarze Peter"-Kartenspiel oder das "Mensch ärgere dich nicht" Spiel mit Hakenkreuz. "Wir konnten diese Art von Spielen nicht außen vor lassen. Gleichzeitig können diese Spielzeuge bei den Menschen Traumata auslösen, sie verstören. Also haben wir einen Schrank gebaut, damit die Zuschauer selbst entscheiden können, ob sie hineinschauen wollen oder nicht."

Beitrag von Marie Kaiser

13 Kommentare

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  1. 13.

    Da möchte ich widersprechen. Das Kartenspiel ist nicht rassistisch. Die Auffassung, das dem nicht so ist, kommt wohl eher aus der, warum auch immer, falschen Verquickung mit dem "Zwarten Piet" aus den Niederlanden. Wörtlich übersetzt heisst das natürlich "Schwarzer Peter", ist aber inhaltlich was völlig anderes. Es handelt sich hier um den Gehilfen von "Sinterklaas" - vergleichbar mit Knecht Ruprecht, dem Gehilfen des Nikolaus. Dieser "Zwarte Piet" wurde von einem Amsterdamer Gericht als rassistisch eingestuft. Vor dem höchsten Niederländischen Gericht wurde dies aber verworfen.
    https://www.wn.de/welt/vermischtes/zwarte-piet-siegt-vor-gericht-1878096

  2. 12.

    Am Schlimmsten dabei finde ich Computerspiele, die im Mainstream einfach dafür da sind die Kinder an Töten, Verfolgen, Krieg...zu gewöhnen..als ob es nichts anderes Spannendes auf der Welt gibt. Jede innige Umarmung wird im Film mit fsk verboten aber Gewalt im Computer...alles o.k, keinerlei Kontrolle...

  3. 11.

    Wenn ich die Kommentare hier lese, möchte ich gerne meine Meinung von gestern wiederholen. Oh mein Gott, haben wir....und die Welt keine anderen Probleme....Schade um das Geld für die Ausstellung, hätte man an anderer Stelle weit nötiger gebraucht. Es ist mittlerweile nur noch schlimm, dass kein Geld für wirklich wichtige und sinnvolle Projekte mehr da ist, z.B. für die Tafeln oder die "Arche" , aber ein Kartenspiel plötzlich gaaaanz schlimm ist, und diese Feststellung auch noch unbedingt in einer Ausstellung präsentiert werden muss. Die hungernden Menschen dieser Welt werden nullkommanix Verständnis für diese Art von Geldverschwendung haben. Und zu Recht!!!

  4. 10.

    Sind es nicht wir Erwachsene, die in alles Rassismus hinein interpretieren und unsere Kinder damit "belasten"?
    Kinder in Schule / Kita wachsen mit sovielen verschiedenen Nationalitäten auf - ganz normal.
    Und wir Erwachsene dürfen nicht mehr "Schwarzer Peter" (heute "Schwarzes Schaf") sagen oder das Kinderlied "Alle Kinder lernen lesen" zur Einschulung singen?
    Andererseits kann man per Internet Panzer, Gewehre, Maschinenpistolen ect. für Kinder in allen Größen und Nachbildungen bestellen. Ganz zu schweigen, von Ballerspielen.
    Wohin führt das nur alles?

  5. 9.

    Einigen Kommentaren hier ist nicht klar, wie weit Rassismus reicht. Und auch wenn keiner die Rassismuskeule mag, weil man denkt man wäre ja tollerant, ist "Schwarzer Peter" nun mal rassistisch. Aber weiterführendes findet man in sehr viel Literatur zum Thema Rassismus und Alltagsrassismus.

  6. 8.

    Kinder verarbeiten aber auch im Spiel das Erlebte. Schauen Sie sich doch einmal in der Welt, bzw in Ihrer nächsten Umgebung um. Wie oft ist dort Aggression und „Kampf“ zu sehen? Wie oft kämpfen Kinder oder junge Männer bzw Erwachsene um die Alphaposition? Und genau das bilden Kinder in ihrem Spiel ab!

  7. 7.

    Es geht um ein ""Mensch ärgere dich nicht" Spiel mit Hakenkreuz". Steht im Text. Bei dem "Schwarze Peter Spiel" könnte es sich um eine Ausführung aus der Kolonialzeit handeln. Menschen mit dunkler Hautfarbe wurden derzeit darstellerisch verunglimpft, sicherlich auch auf einem, für sich gesehen erst einmal unschuldigen, Kartenspiel. Bei der Petra -Puppe ist vermutlich die Bekleidung entscheidend. Da fiele mir einiges ein... Am besten, wir schauen uns einmal die Ausstellung an. Vielleicht werden darin unsere Fragen beantwortet.

  8. 6.

    Komisch, sonst sind es immer die Männer, welche die NS-Zeit verharmlosen. Geht es aber um Spielzeug mit Hakenkreuzen, zeigen sich die Frauen aufgrund des 'harmlosen Spielzeugs' empört.

    Aber ja, ich gehe mit, dass ein Besucher einer solchen Ausstellung sicher nicht durch Ausstellungsstücke aus der Zeit vor 45 zu 'traumatisieren' ist. Man kann dem Bürger ruhig etwas zutrauen.

  9. 5.

    Als gelernter Spielzeugmacher war mein erster Impuls da muss ich mal hin! Beim lesen des Textes muss ich feststellen, das unsere Stadt einfach nicht mehr zu retten ist! Oh jeh was für ein Abstieg, natürlich kann ich in vielen Spielzeug was negatives finden, nur sollten sich die/der Macher dieser Ausstellung mal tatsächlich in die Gedankenwelt eines unschuldigen völlig freien Kindes versetzten, dann werden sie Spaß finden! Wenn ich aber nur negatives sehen will werde ich nur negatives finden!

  10. 4.

    Was bitteschön löst denn beim " Schwarzen Peter" oder bei der Petra- Puppe Traumata aus? Langsam reicht es wirklich.

  11. 3.

    Kinder sind, genau wie deren Spielzeug, unschuldig. Erst durch die Phantasien von Erwachsenen wird Kinderspielzeug per se "toxisch", ebenso wie Kinder durch Umgang mit den Eltern, Älteren, Medien, Schule geformt werden.
    Herr Dion sollte vll. mal unvoreingenommen MIT seinem Sohn zu spielen - also das vielbeschriebene "Kind im Manne" (gibts bei Frauen übrigens auch) mal rauslassen.
    Tipp am Rande: Macht echt Spass und vll. wird man von Anderen dann mal gefragt "Wirst du auch mal erwachsen?"
    Nöööö. (Nur wenns wirklich sein muss).

  12. 2.

    Mensch ärgere dich nicht, Schwarzer Peter.....ist toxisches Spielzeug???
    Drehen jetzt alle durch ?
    Sind dann alles Mörder oder Psychopathen geworden die noch nach 1945 mit Panzer aus Blech gespielt haben....es gab ja nix anderes.
    Total aggressiv sind doch erst die meisten geworden , seitdem die Eltern ihre Kinder noch noch Handys in die Hand drücken um sich selbst nicht kümmern zu müssen. Das ist toxisch für die ganze Gesellschaft

  13. 1.

    Oh mein Gott, Berlin hat zum Glück keine anderen Sorgen als ne Spielzeugausstellung, die dann obendrein noch mit "Toxischem " Spielzeug daherkommt. Ich könnte vor lauter Kopfschütteln fast ne Gehirnerschütterung kriegen. Fahrt doch mal früh um 5.00 mit den Öffis zur Arbeit, da seht ihr die echten Probleme dieser Stadt. Steckt das Geld für diese "kulturelle Bereicherungen " lieber mal in Kitas, Schulen, Tafeln,Hilfe für bedürftige Rentner und Obdachlose.

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