Ausstellung Mark Dion Nikolaikirche - "Spielzeug ist nicht unschuldig"
Für seine labyrinthische Spielzeug-Installation "Delirious Toys" in der Nikolaikirche hat Mark Dion 700 Objekte aus der Spielzeugsammlung des Stadtmuseums Berlin so in Szene gesetzt, wie es sein sechsjähriger Sohn gemacht hätte. Von Marie Kaiser
So bunt ist es in Berlins ältester erhaltener Kirche wohl selten zugegangen. Mitten in der Nikolaikirche thront ein rosa-blau-rot-gestreifter Podest mit doppelspuriger Fahrbahn. Dicht an dicht drängen sich hier alle möglichen Gefährte. Ein hölzerner Miniatur-Pferdewagen aus dem Erzgebirge. Ein Blechharlekin im blaugepunkteten Anzug auf rotem Roller. Ein Polizeiauto aus Metall aus den 1960er Jahren neben einem grauen Plastikauto mit gelbem Tigerkopf, das aussieht, als hätte es der Künstler erst vor ein paar Tagen aus einem Kinderzimmer stibitzt.
Wie würde ein Sechsjähriger das kuratieren?
Dieses Durcheinander ist gewollt, betont Mark Dion im Gespräch mit rbb|24. "Ich bin kein Historiker. Ich bin kein Experte für Spielzeug. Ich habe mich bei der Entwicklung der Ausstellung immer gefragt, wie würde ein Sechsjähriger das kuratieren? Und ich habe einen sechsjährigen Sohn und weiß, wie er spielt. Für ihn ist es kein Widerspruch, wenn Batman gegen einen Dinosaurier kämpft und ein Pokémon an seiner Seite hat. Deshalb habe ich mich entschieden, alles zu mischen. Kleine und große Spielzeuge, Spielzeuge aus unterschiedlichen Materialien und aus unterschiedlicher Zeit nebeneinander zu stellen, denn das bietet viele aufregende Möglichkeiten."
Der US-amerikanische Objekt- und Installationskünstler beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit der Frage, wie Wissen in Museen durch die Präsentation von Sammlungsstücken vermittelt wird. Dabei hat er immer einen besonders wachen Blick für Systeme der Ausbeutung und Unterdrückung. Mark Dion findet neue Arten der Präsentation, welche die gewohnte Sicht auf die Dinge auf den Kopf stellen soll.
In der Vergangenheit hat Mark Dion häufig mit naturkundlichen und naturwissenschaftlichen Museen zusammengearbeitet. Als das Stadtmuseum Berlin ihn fragte, ob er sich eine Zusammenarbeit vorstellen könne, zeigte sich der Künstler sofort begeistert. Denn das Stadtmuseum Berlin besitzt eine der größten Spielzeugsammlungen Deutschlands. "Ich sammle viel für mich selbst und natürlich auch für meine Arbeit", erklärt Mark Dion. Er sei ständig auf Flohmärkten, in Secondhand-Läden und Antiquitätengeschäften unterwegs, "und ich fühle mich zu Spielzeug hingezogen. Spielzeug hat einfach diese unglaubliche Art und Weise, den Betrachter in seinen Bann zu ziehen", so Dion.
Der Künstler hat den Kindern eine Falle gestellt
Der Künstler hat Wochen im Depot des Stadtmuseums verbracht, um eine Auswahl zu treffen. Von den 70.000 Objekten der Sammlung sind in der Nikolaikirche nun 700 zu sehen, also ein Prozent der Sammlung. An sieben Stationen, die überall in der Kirche verteilt sind, inszeniert der Künstler die Spielzeuge auf ganz unterschiedliche Weise. Die Ausstellung zu entdecken, das soll sich für die Besucher ein wenig anfühlen, als würden sie in ein Spiel spielen, sagt Mark Dion.
"Jeder kann frei entscheiden, in welcher Reihenfolge er sich die Stationen ansieht. Also ich mag die Idee, dass man durch diesen Raum mäandern kann wie durch ein Labyrinth." In diesem Labyrinth aus bunten Vitrinen werden Brett- und Kartenspiele ausgestellt, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. In kleinen Nischen, in denen wir eher eine Heiligenfigur erwarten würden, lässt Mark Dion Spielzeugtiere eine Pyramide erklimmen. Oder er arrangiert Teddybären sorgsam in einer Spielkiste. Ein Teddybär liegt am Boden, als wäre er versehentlich herausgefallen. "Das ist ein Test für alle Kinder, die die Ausstellung besuchen", erklärt Mark Dion. "Werden sie es schaffen, nicht nach dem Teddy zu greifen? Denn falls sie es tun, wird ein sehr lauter Alarm ausgelöst. Also habe ich das Gefühl, dass ich den Kindern eine Art Falle gestellt habe."
Genau damit habe ich doch früher auch gespielt!
Die Ausstellung "Delirious Toys" ist wirklich eine Wunderkammer des visuellen Genusses, in der gestaunt werden darf. Immer wieder gibt es beim Betrachten der Spielzeuge auch emotionale Momente des Erinnerns und Wiedererkennens. Genau mit diesem Holzauto oder diesem Angelspiel habe ich doch früher auch gespielt! "Mir ist es ganz wichtig, dass die Menschen sich in meinen Ausstellungen selbst wiederfinden", sagt Dion. "Sehr junge Menschen, aber auch ältere Menschen werden hier Spielzeuge wiedererkennen, mit denen sie einst gespielt haben. Ich glaube, dass genau durch diese Momente ein tieferes Verständnis für die Ausstellung entsteht."
Manche von Mark Dions Arbeiten treten sogar in einen direkten Dialog mit der Nikolaikirche. Am Ende der Kirche befindet sich das Denkmal eines großen Generals, das mit allen Symbolen der Kriegsführung wie Rüstungen und Kanonen ausgestattet ist. Ganz in der Nähe hat der Künstler eine Vitrine mit einem großen Kriegs-Diorama aufgebaut. Jeder kämpft hier gegen jeden. Kriegsspielzeug aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg trifft auf modernes Spielzeug wie Dinosaurier und Außerirdische.
"In Spielzeugen wie diesen steckt eine inhärente Gewalt und die Idee, dass Spiele ein pädagogisches Werkzeug sein können, um die nächste Generation von Kriegern vorzubereiten", sagt Mark Dion, der beim Aufbau dieser Kriegslandschaft auch den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine im Hinterkopf hatte. "In einer Ecke des Dioramas sieht man eine verwüstete Kleinstadt, die ganz stark an Szenen erinnert, die wir aus der Ukraine kennen."
Ein Giftschrank für "toxisches Spielzeug"
Und was hat es mit dem Titel "Delirious Toys", also "wahnsinniges Spielzeug", auf sich? "In Spielzeug steckt eine Menge drin und manchmal sogar Ideologie", antwortet Mark Dion. "Spielzeug ist nicht unschuldig. Obwohl es spielerisch und fröhlich ist, sieht man auch, dass es eine dunklere Agenda im Spielzeug gibt. Das ist Spielzeug, das eine Kultur der Diskriminierung und Gewalt und des Sexismus fördert."
In einem verschlossenen knallroten Schrank versteckt sich die Ausstellungsstation "When toys go bad". Nur wer die Aufsicht bittet, diesen mit toxischem Spielzeug vollgestopften Giftschrank aufzuschließen, kann sich die Petra-Puppe anschauen, das "Schwarze Peter"-Kartenspiel oder das "Mensch ärgere dich nicht" Spiel mit Hakenkreuz. "Wir konnten diese Art von Spielen nicht außen vor lassen. Gleichzeitig können diese Spielzeuge bei den Menschen Traumata auslösen, sie verstören. Also haben wir einen Schrank gebaut, damit die Zuschauer selbst entscheiden können, ob sie hineinschauen wollen oder nicht."